„Und wir steigen wieder auf, Halleluja“

Drittes Relegationsspiel zur ersten Fußball-Bundesliga: Stuttgarter Kickers — FC St. Pauli 3:1/ Nach dem tragischen Abstieg blicken die Paulianer und ihre liebenswerten Fans optimistisch und vertrauensvoll in eine aufstiegsträchtige Zukunft  ■ Von Katrin Weber-Klüver

Gelsenkirchen (taz) — „Heinz, wie geht's denn jetzt weiter?“ fragte freundlich und eine Spur verwirrt die gewohnt elegante Frau Weisener. Und er, Heinz Weisener, Präsident des FC St. Pauli, wußte nicht, was er antworten sollte. Davon, daß man jetzt ein ruhiges Lokal finden müsse, sprach er, daß er mit den Spielern reden wolle, mit jedem einzelnen von denen, die er in diesem Augenblick „alle völlig am Ende“ in den Katakomben des Gelsenkirchener Parkstadions wußte. Dann aber nahm er alle Kraft zusammen, die Würde und Gutväterlichkeit auszustrahlen, die er meint, als Präsident und generöser Gönner des Hamburger Stadtteilclubs sich und der Welt schuldig zu sein: „Ich bin jetzt gefordert!“ Und atmete einmal tief durch: „Wir müssen nach vorne sehen.“

Rückschau: Als wenige Minuten zuvor, um 17.21 Uhr, das dritte Relegationsspiel zwischen dem FC aus Hamburg und den Kickers aus Stuttgart abgepfiffen worden war, waren die Paulianer nach drei Jahren in der Eliteklasse abgestiegen. 1:3 geschlagen von einer schwäbischen Equipe, die einfach den weniger verzweifelten Fußball geboten hatte. Im entscheidenden Spiel hatte den Stuttgartern die von Trainer Rainer Zobel verordnete Wiedergabe von „achtzig Prozent der bisher gezeigten Leistungen“ gereicht. Seine Mannschaft sei der „verdiente Sieger“, erzählte Zobel später schwer atmend, weil selbstzufrieden erschöpft.

Da mochte auch Horst Wohlers nicht widersprechen. Trotzdem befand der selbst im Moment der Niederlage unfaßbar gefaßt dasitzende Trainer den Abstieg als „bitter und überraschend“. Sie waren sich ihres Sieges sehr sicher gewesen, die Hamburger. Hatten so auch zu Beginn der Partie sehr ruhig und selbstbewußt den Ball auf dem Feld herumgeflankt. Nicht, daß irgend etwas Spektakuläres passiert wäre — auch der wieder genesene Stürmerstar vergangener Tage, Ivo Knoflicek, hielt sich zurück — doch immerhin machten die Hamburger den sogenannten spielbestimmenden Eindruck. Bis in der 24. Minute erstmals geahndet wurde, was der FC gänzlich nicht zu leisten gedachte: die Verteidigungsarbeit. Da überflog ein hoher Ball drei desorientierte Abwehrspieler, und ein nicht minder konsternierter Keeper Volker Ippig mußte den von Ralf Vollmer abgezogenen Ball aus dem Netz klauben.

Es schwieg zum ersten Mal die Nordkurve, wo sich knapp 10.000 Paulianer aus Hamburg und dem Rest der Republik versammelt hatten. In der gähnenden Leere auf den restlichen Tribünen des trostlosen Stadions wedelten vereinzelte Delegationen von Stuttgartern mit himmelblauen Pompons. Der harte Kern der Schwaben, gutgeschätzt tausend in der Südkurve, gab brav „Nie wieder zweite Liga“-Bekenntnisse von sich.

Und es sollte noch schlimmer kommen. Dreizehn Minuten später waren nochmals weder Ippig noch seine Vorderleute im Bilde, als Cayasso die Gunst der Verwirrung zum zweiten Tor nutzte. „Kämpfen Pauli!“ hallte es vom Norden, die hüpfenden Pompons im Süden empfahlen sich als neue Errungenschaft der ersten Liga.

Einmal noch sollte die Nordkurve Oberwasser bekommen, als — psychologisch enorm aufbauend — eine Minute später Peter Knäbel den Anschlußtreffer erzielte. Da jubilierte das bunte Fahnenmeeer unter grauem Himmel. „Ist doch gar nicht so schwer“, kommentierte ein Sympathisant, und man erwartete das Ausgleichstor. Das nächste Tor fiel in der Tat wenig später. Es war spielentscheidend. Dirk Fengler schoß es für die Kickers, im psychologisch extrem bedeutungsschwangeren Moment der Pausenpfifferwartung. Der Spielzug war die finale Demonstration der Qualitäten, die Stuttgart dem FC St. Pauli in allen Begegnungen voraus hatte: Schnelle Angriffe, weite Pässe, sichere Ballannahmen.

Es wurde ruhiger im Parkstadion. Auf dem Feld rannten in der zweiten Halbzeit die Hamburger vergebens. Sie hatten weder die Kraft, noch den Glauben, noch das Spielvermögen, die raren Chancen umzusetzen. Die auf den Rängen wußten längst, daß es vorbei war. Das Stuttgarter Fangrüppchen baute sich sorgfältig am Zaun auf, ihre Kickers machten sich gar nicht mehr die Mühe, die ungezählten Konter erfolgreich zu verwandeln, wahrscheinlich widmeten sie ihre Gedanken bereits dem Champagnerbad.

Nach dem Schlußpfiff fielen sich in branchenüblicher Art die Sieger irgendwie tiefgerührt in die Arme. Anständig bedankten sie sich mit einem kurzen Besuch bei ihrer Tausendschaft und ließen sich ablichten.

Von Schwaben war im Stadion längst nichts mehr zu sehen und zu hören, da skandierten die in der Nordkurve immer noch unverdrossen ihr „Sankt Pauli“. Die als Folklore-Highlight der Liga gehätschelten Fans hatten ihre Kicker in Ehren in die Zweitklassigkeit begleitet. Nach dem Schlußpfiff hatten sie einem weinenden Volker Ippig zugejubelt und dankbar die Trikots ihrer gescheiterten Helden in Empfang genommen. Und schon in der Schlußphase der Partie weitsichtig die Frage von Frau Weisener beantwortet: „Und wir steigen wieder auf, Halleluja.“

Stuttgarter Kickers: Brasas — Wolf — Imhof, Ritter, Novodomsky — Fengler, Schwartz, Tattermusch (76. Stadler), Cayasso (80. Moutas) — Vollmer, Marin

FC St. Pauli: Ippig — Olck (56. Gronau) — Trulsen, Schlindwein — Sievers, Knäbel, Dammann, Golke, Hollerbach — Ottens (46. Manzi), Knoflicek

Zuschauer: 17.000; Tore: 1:0 Vollmer (24.), 2:0 Cayasso (36.), 2:1 Knäbel (38.), 3:1 Fengler (42.)