Es kreuzbergelt in der Stadt Brandenburg

■ Kreuzberger Stadterneuerer und nordrhein-westfälische Beamte sanieren das Zentrum der Stadt Brandenburg/ Mieten steigen von zwei auf fünf Mark/ Spekulanten inspizieren die Innenstadt/ Bund zahlt der »Modellstadt« Millionen

Brandenburg. Tief unten im Keller der Heidrichschen Mühle, in der Stadt Brandenburg, ruht noch das breite, hölzerne Schaufelrad. Es dreht sich schon lange nicht mehr. Darüber, in den lichten Räumen des alten Fabrikgebäudes am Mühlendamm mit Blick auf die Havel, ist die künftige Planung der Stadt zu besichtigen: von Fotos denkmalgeschützter Gebäude und historischen Straßenpflasters über den Entwurf eines Flächennutzungsplanes bis zu einem Umweltkataster, auf dem industrielle Altlasten eingetragen sind.

Brandenburgs historische Innenstadt soll saniert werden, mit Bundesmitteln und durch eine Tochter der Westberliner GSW, einer gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft. Die fungiert in Brandenburg als treuhänderische Sanierungsträgerin — was soviel heißt, daß die Häuser nach wie vor der Kommune gehören und die GSW nur den Bau organisiert. Die GSW hat auch die — bis Oktober laufende — Ausstellung eingerichtet und wird parallel dazu mit der Stadtverwaltung mehrere Diskussionsrunden veranstalten.

»Brennabor« hieß das Städtchen an der Havel zur Zeit der slawischen Wenden. Im Jahre 1165 ließ Albrecht der Bär den Grundstein für die Domkirche legen, die übrigens 1838 von Karl Friedrich Schinkel restauriert wurde. Im Mittelalter regierten die Hohenzollern-Fürsten von Brandenburg aus die Mark. In den schmalen Gassen der Altstadt gibt es heute noch Häuschen aus der Barockzeit. Die Innenstadt besteht aus drei Teilen: Die Dominsel, die schon im Jahre 925 nach Christus besiedelt wurde, die Altstadt, die im Jahre 1150 aus einem slawischen Fischerdorf entstand und die nur wenig jüngere Neustadt.

Heute leben in der Innenstadt gut 8.000 der rund 100.000 Brandenburger, meist zur Miete und in recht verwitterten Gebäuden. Von den gut 3.000 niedrigen Häuschen der Innenstadt sind 1.500 »dingend reparaturbedürftig«, stellte die GSW fest. Bei über 8.000 Häusern wurde schon mal das Dach neu gedeckt und die Fenster abgedichtet. Um ein Zeichen zu setzen, habe man Schilder an diesen Häusern befestigt, auf denen steht: »Bis bald, altes Haus«, berichtet GSW-Koordinator Jörn Dagel, früher bei den Kreuberger Stadterneuerern von S.T.E.R.N.

Dabei soll es natürlich nicht bleiben: Die Wohnungen werden Zentralheizung und Bäder bekommen, für Mieten, die von anfangs zwei Mark für den Quadratmeter in den nächsten sechs Jahren auf fünf Mark den Quadratmeter steigen, berichtete kürzlich GSW-Chef Klaus Peter Kloss, früher Mitarbeiter des Westberliner Landeskonservators. Einzelne Häuser sollen unter Denkmalschutz gestellt werden. Dazu gehört zum Beispiel das ehemalige Schulhaus in der Altstadt aus dem Jahre 1552. Daraus will die Initiative »Sonnensegel« eine Galerie machen. Weiter sollen zwei Frauenzufluchtswohnungen und ein Arbeistlosenladen eingerichtet werden. Daneben plant die GSW ein Energiesparhaus, mit Hilfe des Kreuzberger Ingenieurbüros »Atlantis«.

Und schließlich gehört zur Sanierung der Innenstadt ein Verkehrskonzept, ein Konzept für die Ansiedlung von Gewerbe — so ist am neustädtischen Markt ein Gewerbezentrum mit Praxen für Ärzte und Handwerker geplant — und die planungsrechtliche Absicherung des Ganzen. Das heißt konkret, daß einige Sanierungsgebiete ausgewiesen werden. Auch eine Erhaltungssatzung soll für die Innenstadt erlassen werden, die die orstsansässigen Bewohner vor allzu hohen Mieten schützt. Und eine sogenannte Bereichsentwicklungsplanung wird derzeit von dem Westberliner Architekten Edvard Jahn erarbeitet. Darin steht beispielsweise, wo die Stadt künftig ihre Kindertagesstätten und Schulen bauen wird. Bezahlt wird das alles vom Bundesbauministerium, das Brandenburg als eine von fünf Modellstätten für die Stadterneurung auswählte, neben Meißen, Weimar, Stralsund und Halberstadt.

Immerhin ist in Brandenburg sehr viel mehr alte Bausubstanz übrig geblieben als in den meisten westdeutschen Städten, Rotenburg ob der Tauber oder Hameln mal ausgenommen [und warum planen dann nur westler die sanierung? damit's hinterher die so beliebte altstadt-fußgängerzone gibt? sezza]. Die obligatorische DDR-typische Plattenvorstadt hat sich erfreulicherweise nicht ins historische Zentrum gefressen. Und selbst das Kopfsteinpflaster ist noch erhalten. Die meisten Einwohner wollen in der Innenstadt bleiben, wie die GSW in einer Umfrage ermittelt. Nach dieser sagen 97 Prozent aller befragten Brandenburger, daß sie gerne dort wohnen, von denen allerdings ein Viertel gerne eine größere oder eine bessere Wohnung hätte. Nach der Wende, glauben die meisten Brandenburger, ist zumindest die Versorgung besser geworden, obwohl nach wie vor viele Läden in der Innenstadt leerstehen.

Die Verkehrssituation jedoch hat sich verschlechtert, sagen 78 Prozent der Befragten. Kein Wunder, dröhnen inzwischen täglich Tausende von Autos meist westlicher Bauart durch die engen Straßen, obwohl Brandenburg eine Straßenbahn hat.

Sorge machen sich die Brandenburger auch um die Zukunft ihres Stahlwerkes, eines der wichtigsten Arbeitgeber der Stadt, dem die Abwicklung droht. Das Stahlwerk beschäftigt die All-Parteien-Regierung der Havelstadt — von der CDU über die SPD bis zum Neuen Forum — derzeit mehr als die Sanierung. So ist auch die Bauverwaltung noch im Aufbau: Es gibt nur zwei Mitarbeiter, die Baugenehmigungen erteilen und ebenfalls nur zwei Sachbearbeiter, die die Anträge auf Rückübertragung von Grundstücken prüfen. Dabei geben demnächst zwei Drittel der Altstadthäuser an die ehemaligen Eigentümer zurück, schätzt Dargel.

Unterstützt wird die Stadtverwaltung, wie überall in der Mark, von nordrhein-westfälischen Beratern und Leihbeamten, vornehmlich aus Münster. Auch eine Abordnung der Universität der westdeutschen Partnerstadt Kaiserslautern kampiert derzeit in Brandenburg. Die vielen Westler rufen nicht nur Freude in der Havelstadt hervor, was auch die GSW zugesteht. »Da kommen also die gut bezahlten Herren Planer aus ihren West-Appartements mit dicken Autos angefahren und finden alles so idyllisch, daß sie am liebsten gar nichts verändern wollen, parken die Innenstadt zu und predigen Verkehrsberuhigung«, schrieb der Westberliner Journalist Benny Härlin in der GSW-Sanierungszeitung 'Brand Neu‘.

»Wir Westler dürfen nicht wie die Kolonisatoren daherkommen«, mahnt auch Jörn Dargel. »Wir müssen uns kulturell auf das Gebiet einstellen, in dem wir arbeiten.« Schlimmer ist es noch, daß neben den »guten Westlern«, aus »böse Westler« einen Fuß in Brandenburgs Tür haben. So blitzte Berlins Skandalnudel Dietrich Garski — wegen ihm gingen einst 120 Millionen Senatsmark und dann der ganze Senat verloren — zwar kürzlich ab, als er ein innerstädtisches Grundstück kaufen wollte. Garski hat jedoch nicht aufgegeben: Seit er kürzlich »mit einem der Amtsleiter einen halben Tag durch die Stadt herumgurkte«, wie es hieß, kann er wohl wieder Hoffnung schöpfen.

Und Garski ist nicht der einzige Interessent in Brandenburg. Der Westberliner Architekt Dr. Semmer fungiert quasi als Berater des Brandenburger Oberbürgermeisters Dr. Helmut Schliesing und saniert einige Häuser in der Altstadt. Semmer — übrigens genauso SPD-Mitglied wie Schliesing — wurde in Kreuzberg bekannt, als er Mietern seines Hauses am Kreuzberger Oranienplatz reihenweise kündigte und neue Verträge mit dreimal so hohen Mieten abschloß.

Semmer versuchte kürzlich die alte Mühle zu kaufen, die wieder in die Hand der Heidrichschen Erben übergangen ist. Die jedoch wollten nicht: Das Ehepaar Heidrich plant, dort ein Restaurant einzurichten, möglicherweise auch Büros in den oberen Geschossen. Auch ein Theater können sie sich vorstellen. Auch darüber wird noch geredet werden, versichert Jörn Dargel. Wie sagte Oberbürgermeister Schliesing bei der Eröffnung der Ausstellung? »Es geht nicht nur um Steine, Dächer und Häuser, es geht darum, daß die Sanierung der Stadt eine Leistung aller Bürger sein wird.« Eva Schweitzer

Die Ausstellung Brand Neu läuft bis Oktober 1991 in Brandenburg, Mühlendamm 16-18, di bis fr 12 bis 18 Uhr, sa und so 10 bis 17 Uhr.