: Felsige Kosmos-Konstrukte
■ Eine Werkschau der Experimentalfilmerin Barbara Hammer
Ein Zeitungsartikel erscheint in 'Bild‘, die Kamera gleitet über die Zeilen, das Wort Film leuchtet auf. Es folgt ein Bombardement von Röntgenbildern des menschlichen Körpers. Das Ganze nennt sich Sanctus. Um diesem Titel und dem hehren Thema des Körpers gerecht zu werden, erklingt die hohe Musik der Eucharistie. Das Problem des Fleisches ist hier jedoch schon gelöst, Röntgenstrahlen durchleuchten den Körper, das Röntgenbild selbst bleibt fleischlos. Die Regisseurin Barbara Hammer griff für ihren Beitrag zum »Verschwinden des Körpers« auf Röntgenbilder des Avantgardefilmemachers Dr. James Sibley Watson aus den 50er Jahren zurück.
Mit Hilfe eines Optical Printers verändert sie die einzelnen Röntgenbilder bis zur Reduktion des Menschen auf seine Funktionalität: Ein kräftiger Männerröntgenarm spannt seinen Bizeps an, der Hauptmuskel leuchtet rot auf, das Röntgenbild trinkt Milch, wir sehen, wie die Flüssigkeit zum Magen eilt, die Innereien erhalten einen bunten Anstrich und der Schädel scheint mit den Farben in seinem Inneren zu implodieren.
Sanctus ist eine von vier neueren Arbeiten der amerikanischen Experimentalfilmerin Barbara Hammer, die derzeit mit einigen früheren Werken auf Einladung des Vereins für feministische Film- und Bildungsarbeit, der Pelze Multimedia, und des Arsenals in Berlin vorgestellt wird. Hammer hat bislang rund 50 Filme und Videos gemacht und gilt als Pionierin des lesbischen Films. Aufsehen erregte sie unter anderem mit Double Strengh (1978), einer Studie über die Liebesbeziehung zweier Trapezkünstlerinnen.
Überzeugt von der Existenz einer »Lesbian Construction«, einer Art weiblichen Kosmos-Konstrukts, versucht sie dieses filmisch umzusetzen. Mitte der 70er Jahre waren pornographische Bilder von Frauen für Frauen, die sich zudem noch mit Liebe zwischen Frauen auseinandersetzten, eine noch größere Seltenheit als heute, dennoch wirken die früheren Filme von Barbara Hammer mittlerweile verbraucht. Man fragt sich, ob das bloße Zeigen des weiblichen Geschlechts überblendet mit felsigen Gebirgsschluchten und Tropfsteinhöhlen (Multiple Orgasm, 1977) oder der Ringelrein blumenbeschmückter nackter Damen (Dyke Tactics, 1974) — wir denken an den Lustgarten von Natalie Barney — als Thematisierung des lesbischen oder des weiblichen Körpers genügt.
Anfang der 80er Jahre zog Barbara Hammer um, sie ging vom Land in die Stadt. In New York hoffte sie neben neuen Inspirationen, bessere Arbeitsmöglichkeiten als Experimentalfilmerin zu finden. Inhaltlich wie auch stilistisch macht sich dieser Ortswechsel in ihren Filmen bemerkbar. Zeigte Barbara Hammer früher mit Vorliebe Frauen in idyllischen Landschaften, was eine Gleichsetzung Frau/Natur nahelegte, so mixt sie heute das Leben von Lesben daheim mit Bildern von Obdachlosen in New York (Stillpoint, 1989) — ein Vergleich drängt sich auf, Schlüsse möchte man nicht ziehen. Doch Barbara Hammer scheint eine Freundin kühner Parallelen zu sein. In Endagered (»Gefährdet«) von 1988 sieht sie den Film im allgemeinen und den experimentellen Film im besonderen von der digitalisierten Welt des 20. Jahrhunderts bedroht. Das gleiche gilt nach Hammer auch für die Tiere der Galapagos- Inseln.
Eine freudige Experimentierwut durchzieht der Regisseurin neue Werke, viergeteilte Bilder eilen über die Leinwand, Reales wird mit Farben zersetzt, Figuren werden auseinandergezerrt und wieder zusammengedrückt, Computergraphiken kommen mit ins Spiel, hin und wieder zeigt sie sich selber für eine Zehntelsekunde bei ihrer Arbeit. Barbara Hammers Filme gleichen einer Bilderflut, die kaum einzudämmen ist, nach dem Sehen rauscht einem der Kopf, und man hat schon seine Schwierigkeiten, sich die vorbeihuschenden Bilder wieder in Erinnerung zu rufen, was vielleicht daran liegen mag, daß die Filme keinerlei strukturbildendes Prinzip beherbergen. Anke Leveke
Werkschau Barbara Hammer, heute ab 20 Uhr im Arsenal, morgen und übermorgen in der Pelze Multimedia (Ladies only). In der Reihe »Kino im Aufbruch« zeigt das Arsenal in diesem Monat noch einige andere Filme amerikanischer Filmemacherinnen (siehe Tagesprogramm).
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