: Führer der Islamisten in Algerien festgenommen
■ Abassi Madani und Ali Belhadsch verhaftet und der „Verschwörung“ angeklagt/ Parteizentrale der „Islamischen Heilsfront“ gestürmt
Algier/Berlin (afp/dpa/taz) — Die politische Konfrontation in Algerien hat sich gestern zugespitzt, nachdem Polizeieinheiten die beiden Führer der „Islamischen Heilsfront“ (FIS), Abassi Madani und Ali Belhadsch, verhaftet und die Parteizentrale der FIS gestürmt hatten. Die Festnahmen der beiden wichtigsten Figuren der islamistischen Bewegung erfolgten am Sonntag abend. Ali Belhadsch, der als Leitfigur des radikalen Flügels der FIS gilt, wurde in der Zentrale des algerischen Fernsehens verhaftet, FIS-Präsident Abassi Madani wenige Stunden danach in dem von Anti-Aufruhr-Einheiten der Polizei umstellten Parteigebäude der FIS. Auch andere prominente FIS- Aktivisten sollen bei dieser Aktion inhaftiert worden sein. Ihr Aufenthaltsort ist nicht bekannt.
Trotz dieser bisher härtesten Maßnahme der algerischen Militärbehörden gegen die FIS blieb Algier gestern ruhig.
Wie es in einem Militärkommuniqué heißt, werden die beiden FIS- Führer der Bildung einer „bewaffneten Verschwörung gegen die Sicherheit des Staates“ angeklagt. Jeder von ihnen werde sich einzeln vor Gericht verantworten müssen. Sie seien für den Versuch verantwortlich, „Zwietracht zu säen, um die Macht an sich zu reißen“. Dabei seien Menschen umgekommen und Güter beschädigt worden.
Unmittelbarer Anlaß für die Verhaftungen ist offensichtlich eine am Sonntag von der staatlichen Nachrichtenagentur 'aps‘ verbreitete „Erklärung“ einer „Kampforganisation gegen die Tyrannen in Algerien“ gewesen, die mit Mordanschlägen und Flugzeugentführungen gedroht haben soll, um Parlamentswahlen binnen 20 Tagen zu erreichen. Die Medien des Landes beschäftigten sich ausdauernd mit dieser angeblichen Terrororganisation, erklärten, sie werde von „dunklen Kräften“ gesteuert, und stellten fest, ihre Forderungen würden mit denen der FIS übereinstimmen — Grund genug, um die Führer der Islamisten der Vorbereitung des Terrorismus zu beschuldigen und festzusetzen.
Bereits vor zwei Wochen war der 37jährige FIS-Vize Belhadsch vom Militär beschuldigt worden, zusammen mit dem damals festgenommenen Franzosen Didier Roger eine „bewaffnete Organisation“ gebildet zu haben. Seitdem hatte Algerien täglich mit der Festnahme Belhadschs gerechnet. Daß jetzt auch Madani inhaftiert wurde, kommt einer vollständigen Enthauptung der FIS gleich. Erst Ende letzter Woche waren mehrere FIS-Führungsmitglieder, die Madanis autoritären Führungsstil kritisiert und den 60jährigen Philosophieprofessor als „Gefahr für alle Moslems“ bezeichnet hatten, aus der Front ausgeschlossen worden. Nun bleibt niemand mehr, der als Leitfigur der äußerst heterogenen Islamistenbewegung dienen könnte.
Am Freitag letzter Woche hatte Madani bei einer Predigt einen scharfen Ton gegenüber der Regierung angeschlagen, wie ihn bis dahin nur der Scharfmacher Belhadsch gebraucht hatte. Von „nicht eingehaltenen Zusagen“ der Regierung sprach Madani und erklärte: „Wir haben noch nicht zum Heiligen Krieg aufgerufen und noch keinen Befehl zum Waffeneinsatz gegeben. Aber wir haben das Recht dazu, wenn die Armee nicht in ihre Kasernen zurückkehrt.“ Deutlich wird in solchen Sätzen, daß sich Madani von den algerischen Machthabern über den Tisch gezogen fühlte. Denn noch vor wenigen Wochen hatte er den Eindruck erweckt, bei Verhandlungen mit der Regierung substantielle Erfolge erzielt zu haben.
Nachdem tagelange Unruhen am 5. Juni zur Verhängung des Ausnahmezustandes über Algerien und zum Rücktritt der Regierung geführt hatten, war Madani vom neuen Premierminister Ghozali zu Gesprächen empfangen worden. Dabei will er, wie er am 7. Juni bei einer Freitagspredigt erklärte, ein Abkommen mit der algerischen Führung geschlossen haben, welches unter anderem Parlaments- und Präsidentschaftswahlen innerhalb von sechs Monaten vorgesehen habe; im Gegenzug rief Madani das Ende des FIS-Generalstreiks aus. Auf dieses „Abkommen“, dessen Existenz von staatlicher Seite jedoch nie bestätigt wurde, berief sich der FIS-Führer in den darauffolgenden Wochen öfters, wenn wenn er seine Anhänger zur Mäßigung aufrief. Selbst als Polizeieinheiten vor einer Woche begannen, islamische Parolen von FIS-Ratsgebäuden zu entfernen, hielt Madani still. Gleichzeitig wuchs innerhalb der FIS die Kritik an seinem undurchsichtigen Führungsstil.
Deutlich wird nun, daß die FIS über keinerlei Strategie verfügt, um den Militärbehörden und dem neuen Premierminister Ghozali entgegenzutreten. Diese präsentieren sich gegenüber den Algeriern als neutrale, parteiunabhängige Instanzen, die dabei sind, die lähmende Konfrontation zwischen der FIS und der bisherigen Einheitspartei FLN zu überwinden. Und diese Perspektive erscheint attraktiver als die Erklärungen einiger FIS-Anhänger vom Sonntag abend, man werde Algerien in ein „zweites Libanon“ verwandeln. D.J.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen