: Wird defekter Pilotbrüter wieder angeworfen?
■ Betreiber wollen den nach Störfall stillgelegten Karlsruher Testreaktor vor der endgültigen Abschaltung noch einmal anfahren
Karlsruhe (taz) — Den Stillegungsbeschluß für Deutschlands letzten Atom-Brüter, den Testbrüter im Kernforschungszentrum Karlsruhe (KfK), hatten die Atomkraftgegner am 16. Mai noch zünftig mit Sekt begossen. Nach einem gravierenden Störfall an der Abschaltvorrichtung der „Kompakten natriumgekühlten Kernanlage“ (KNKII) am 8. Januar war allgemein erwartet worden, daß der umstrittene Pilotmeiler nun bis zum ins Auge gefaßten Stillegungszeitpunkt Anfang 1992 nicht wieder in Betrieb genommen würde. Es schien, der Aufsichtsrat der KfK habe nach langem inneren Ringen offiziell das Ende der nationalen Brüterentwicklung verkündet.
Doch dann stellten die Betreiber unerwartet einen Antrag auf Wiederinbetriebnahme: Der Pilotbrüter soll, so Betriebsleiter Robert Pleetz, jetzt doch noch 150 Vollasttage für eine Versuchsreihe im Rahmen des Projektes „Eurobrüter“ dienen. Der Zwanzig-Megawatt-Reaktor hatte seit seiner Inbetriebnahme 1978 zunächst Forschungsergebnisse für den abgewickelten Kalkar-Brüter geliefert. Erst in jüngster Zeit forschten die Karlsruher auch für das europäische Brüterprogramm European Fast Reactor (EFR).
Für die 150 Tage Schlußbetrieb brauchen die Betreiber sowohl das Plazet des Süd-West-TÜV als auch das des zuständigen CDU-Umweltministers Erwin Vetter. Das Umweltministerium will dieses Plazet nun offenbar erteilen. Das Ministerium sei „zuversichtlich, die Zustimmung erteilen zu können“, so Vetters zuständiger Bereichsleiter Keil. Mit einem abschließenden Gutachten des TÜV rechne man in den nächsten vier Wochen, so daß eine Wiederinbetriebnahme „Ende Juli“ denkbar sei.
Die Brisanz des Januar-Störfalls scheint die Ministerialbeamten dabei nicht zu irritieren. Der Defekt, eine „geringfügige Schwergängigkeit“ der Abschaltvorrichtung, wie das Betriebsleiter Robert Pleetz nennt, ist so etwas wie ein Standardmacke des Pilotbrüters. Bereits im Jahre 1986 war eine Schwergängigkeit an einem Abschaltstab der ersten Abschaltvorrichtung festgestellt worden, Ende 1988 an einem der zweiten Abschalteinrichtung, was damals sogar zu einer Eil-Störmeldung geführt hatte.
Wenig Vertrauen in das Atomfossil flößt auch eine Betriebsbeschränkung für den Brüter ein. Nach einem Defekt an der Hauptkühlmittelpumpe im Verein mit mehrfachem Brennelementeversagen und fehlerhafter Leistungssteuerung darf der Pilotbrüter seit 1986 nur noch mit sechzig Prozent seiner Kapazität laufen.
Opposition gegen eine etwaige Wiederinbetriebnahme kündigten Grüne und Atomkraftgener an. Harry Block, seit langen Jahren Brüter-Kritiker und grüner Stadtrat in Karlsruhe, hält die Abschaltvorrichtung für „die Achillessehne“ der ganzen Anlage. Die insgesamt über hundert Störfälle sind für Block Anlaß genug, einem letzten Aufmucken des Brüters „härtesten Widerstand“ entgegenzusetzen.
Block weist darauf hin, daß bei den meisten Störfällen das als Kühlmittel umstrittene Natrium eine unrühmliche Rolle gespielt habe. In den siebziger Jahren hatte die Natriumkühlung den Vorgängertyp KNKI durch einen Brand zerstört. Bekanntes Problemkind der Natriumhandhabung ist der französische „Superphenix“, der in Karlsruhe entwickelt wurde.
Die Menge der Brennelemente- Schäden im Pilot-Brüter machen die Karlsruher Atomgegner darüber hinaus für eine erhöhte Strahlenbelastung sowohl der Umgebung als auch der Bedienungsmannschaft verantwortlich. Die Struktur des Reaktorgebäudes, das sogenannte Deckelsystem, sei für die Wartungsmannschaft „ein Horrortrip“, kritisiert Block.
Sündhaft teuer waren die Karlsruher Brutexperimente bis dato allemal. Für das „Projekt Schneller Brüter“ sind allein in Karlsruhe bislang 2,7 Milliarden Mark an Bundes- und Landesmittel aufgewendet worden, Schätzungen über die Kosten der Stillegung und Entsorgung belaufen sich nach 1990 veröffentlichten Zahlen der Bundesregierung auf weitere 370 Millionen Mark.
Zuwachs nach oben nicht ausgeschlossen. Dieter Balle
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