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Die Ostwirtschaft wird noch weiter schrumpfen

■ OECD-Experten können kaum Anzeichen für Wiederbelebung entdecken

Paris/Berlin (afp/taz) — Mit einem langsameren industriellen Wachstum und schneller steigenden Preisen müssen nach Prognosen der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die Westdeutschen in den kommenden sechs Monaten rechnen. Nach dem Boom von 1990 werde sich das deutsche Wirtschaftswachstum verringern, weil aus anderen Ländern, die großenteils unter Rezessionen leiden, weniger Bestellungen an den einstigen Exportweltmeister Bundesrepublik gerichtet werden. Deshalb wird das Wachstum in den West-Bundesländern sich auf durchschnittlich 2,5 Prozent für 1991 und 1992 verringern. Durch den raschen Anstieg der Arbeitsstückkosten und vor allem die Erhöhung der indirekten Steuern ab Jahresmitte wird den Berechnungen der Experten zufolge die Teuerungsrate nach oben tendieren (3,3 Prozent 1991 und vier Prozent 1992). Bei einer weiterhin restriktiven Geld- und Kreditpolitik könnte sich der Preisauftrieb 1992 möglicherweise wieder etwas verlangsamen.

Die Produktion in den neuen Bundesländern hat nach den OECD-Experten „das Ende ihrer Talfahrt noch nicht erreicht“. Es seien kaum Anzeichen vorhanden, daß es schon in nächster Zukunft zu einer Wiederbelebung kommen könnte, heißt es in dem jüngsten Wirtschaftsausblick der Organisation. Sie unterstreicht, daß die volle wirtschaftliche Integration der ehemaligen DDR nun doch wesentlich mehr Zeit zu beanspruchen scheine, als von vielen Beobachtern angenommen worden war. Für 1991 sei in den neuen Bundesländern eine Schrumpfung des Bruttosozialprodukts um 15 bis 20 Prozent zu erwarten, nachdem es bereits 1990 zu einem ähnlich hohen Rückgang gekommen war.

Der Leistungsbilanzüberschuß, der sich 1990 deutlich zurückgebildet hat, wird 1991 wohl ganz verschwinden und Deutschland vorübergehend zu einem Nettokapitalimporteur werden. Nach den Projektionen des OECD-Sekretariats ist jedoch 1992 erneut mit einem Überschuß in der Leistungsbilanz zu rechnen. Ausgangsbasis dafür ist jedoch eine stabile D-Mark. Wenn sie jedoch erneut unter Abwärtsdruck geriete, würden die Zügel der Geld- und Kreditpolitik möglicherweise so stark angezogen, daß eine ungünstigere Entwicklung für die gesamtdeutsche Wirtschaft zu erwarten wäre. Monetärer Überhang und die Erhöhung der indirekten Steuern seit 1.Juli erhöhten die Gefahr der Entstehung einer Preis-Lohn-Spirale.

Trotz des anhaltenden Zustroms von Arbeitskäften aus den neuen Bundesländern sowie aus Mittel- und Osteuropa werde die Arbeitslosigkeit in Westdeutschland vermutlich nur geringfügig zunehmen. Im Osten werde es dagegen kaum möglich sein, die effektive Erwerbslosigkeit in den kommenden achtzehn Monaten unter zweieinhalb Millionen zu halten, heißt es in dem Bericht. Eine baldige konjunkturelle Wende, namentlich in der Industrie, sei nicht in Sicht. Die Organisation bedauert den raschen Anstieg der ostdeutschen Löhne, die von Anfang an auf ein Niveau angehoben worden seien, das „in keinem rechten Verhältnis zur Produktivität“ stehe.

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