: Berber-betr.: "Die Ossis halten doch nur die Hand auf", taz vom 25.6.91
betr.: „Die Ossis halten doch nur die Hand auf“, taz vom 25.6.91
Was wir schon immer wußten, so sind sie also, diese Penner: Versoffene, krakeelende, sprücheklopfende und einander bestehlende Subjekte, Outlaws mit sogenannten Ehrenkodices und Hierachien einer schillernden Subkultur. Dermaßen renitent geben sie nicht viel her als Objekte für eine Solidarisierung oder Vereinnahmung durch eine kritische Öffentlichkeit. Nicht einmal organisiert sind sie.
Wenn sie dann einmal doch im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, schwelgen sie in Solidaritätsgefühlen und Medieninteresse. Eine Veranstaltung wie der Kongreß der Berber in Uelzen liefert eben eine hervorragende Folie zur Berichterstattung: Losgelöst von einer Kenntnisnahme der realen Lebensbedingungen avancieren die Penner bestenfalls zum Bürgerschreck für die einen, zum Mythos der Berber für die anderen.
Im Zweifelsfall wird das vorhandene Material gegen die Angeklagten verwendet. „Du bist ein gefragter Penner. ,Bevor Sie hier erfrieren, dürfen wir noch kurz ein Foto von Ihnen machen?‘“ kommentierte der Obdachlose Klaus L. auf einer Lesung der Berliner Obdachlosen GmbH & Co. KG in der Stadtbücherei Uelzen während des Berberkongresses das Funktionsprinzip einer Journalistik, die leider immer noch weitigehend dem Schein des Unmittelbaren aufsitzt. Dahinter offenbart sich möglicherweise ein grundlegendes Problem: Die Nicht-Wohnungslosen wissen nicht so recht was anzufangen mit diesen Pennern.
Die Gestaltung des Kongresses und seines Verlaufs durch die Teilnehmer, der Austausch von Erfahrungen von Menschen, die zunächst einmal nur sich selbst vertreten, das Knüpfen von Kontakten, sofern es in einzelnen Städten Anfänge von Organisationsformen gibt, zum Beispiel in Wärmestuben und sonstigen ambulanten Einrichtungen oder Projekten zeigt vielmehr, daß Bewegung — im Sinne einer Artikulation von Interessen und Bedürfnissen — zuallererst eine Frage von selbstbestimmter Verfügung über Ressourcen ist. Die Wirklichkeit sieht in der Regel anders aus: Die Penner haben ihre liebe Mühe und Not, sich zunächst einmal selbst zu produzieren. Wen wundert's wenn diese Spannung einen solchen Kongreß bestimmt. Es ist kennzeichnend für den Stand der Auseinandersetzung, wenn bestimmte Forderungen — zum Beispiel das Recht auf Wohnung — aufgrund vorhandener Mittel und Möglichkeiten nur diskutiert, aber nicht durchgesetzt werden können. [...] Immerhin, die Betroffenen artikulieren sich, durchaus wiedersprüchlich zwar, aber „die“ Berber hat es sowieso nie gegeben. Wenn der Personenkreis der Besitzlosen, Penner, Berber und Stadtstreicher sich gegen vereinfachte Denkmuster sperrt, sollte das Anlaß genug sein, ihnen jenseits des devianten Blicks einmal genauer zuzuhören und Zusammenhänge zu entdecken. Klischees gibt es schon genug, Bündnispartner sind gefragt, die dialogfähig sind. Stefan Schneider,
Projekt „Lebenslage und biographische Entwicklung Wohnungsloser in Berlin“, Berlin- Forschung der FU
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