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DEBATTEDie „Neue Weltordnung“

■ Die US-Administration versucht eine politische Neuorientierung

Die Idee kam ihnen beim Fischen. Längst war in Berlin die Mauer gefallen, das Reich des Bösen war im Begriff, sich in ein Reich der Bittsteller zu verwandeln, und Saddam Hussein war gerade in Kuwait einmarschiert, da brachten US-Präsident George Bush und sein Nationaler Sicherheitsberater Brent Scowcroft von ihrem Angelausflug vor des Präsidenten Urlaubssitz nicht nur drei Blaufische, sondern auch einen neuen Begriff mit an Land zurück: den der „Neuen Weltordnung“.

Karriere eines neuen Begriffs

Dieser neugeprägte Polit-Terminus entsprang dem durchaus ernsthaften Versuch der amerikanischen Führung, auf die veränderten globalen Bedingungen mit einer neuen Vision zu reagieren. Nach der „New Frontier“ des 19. Jahrhunderts und dem „New Deal“ der Dreißiger nun zum Ende des 20. Jahrhunderts „The New World Order“? Doch gleichzeitig stellte George Bush mit dieser Polit-Phrase wieder einmal sein Gespür für jenes pragmatische „Sloganeering“ unter Beweis, das ihm 1988 den Sieg über seinen demokratischen Konkurrenten Dukakis eingebracht hatte.

Das Weiße Haus fand schnell heraus, daß sich diese begriffliche Neuschöpfung hervorragend zur Legitimation der recht vordergründigen US-amerikanischen Interessen bei der sonst fragwürdigen Rettung der halbfeudalen „Kuwait G.m.b.H.“ eignete. Zwischen August und Februar durfte die Neue Weltordnung in keiner programmatischen Äußerung des US-Präsidenten fehlen. „Nur amerikanisches Engagement“, so Außenminister Baker, „kann die friedliche Welt formen, die sich unsere Leute aus tiefstem Herzen ersehnen.“ Und in einem Akt politischer Hybris bezog George Bush seinen Lieblingsbegriff in der Siegesrede vor dem US-Kongreß sogar auf die innenpolitischen Herausforderungen der USA. „Unser Erfolg am Golf wird nicht nur die von uns gesuchte Neue Weltordnung prägen, sondern auch unsere Mission hier zu Hause“, erklärte der Präsident vor den fähnchenschwingenden Kongreßmitgliedern.

Wie nötig auch die hier angesprochene „Mission“ in bezug auf die internen Probleme Amerikas sein mag, so hat der Präsident hiermit seinen Kritikern doch unfreiwillig einen Gradmesser für seine zukünftigen innenpolitischen Initiativen gereicht. Was die Außenpolitik angeht, droht die Neubelebung der Idee Woodrow Wilsons vom moralischen Sendungsbewußtsein Amerikas („manifest destiny“) die Fähigkeit der USA zur Einschätzung der Weltlage noch weiter zu verzerren.

Indem der Golfkrieg — der im Vergleich zu zukünftigen Konflikten eher die Ausnahme als die Regel darstellen wird — zum Ausgangspunkt der Suche nach der Neuen Weltordnung gemacht wird, denkt die amerikanische Außenpolitik an den Herausforderungen nach dem Ende des Kalten Krieges vorbei. Und selbst wenn man dieser auf militärische Macht verengten Perspektive der Bush-Administration verhaftet bleibt, hat sich seit dem Ende des Golfkriegs bereits eine weite Kluft zwischen der Realität amerikanischer Außenpolitik und ihrer Weltordnungsrhetorik aufgetan.

Neue Konflikte — alte Strategien

Aus welchen Bausteinen müßte sich denn das Gerüst einer neuen Weltordnung zusammensetzen? Gerade nach den Erfahrungen des Golfkrieges müßte die von George Bush beschworene universelle Gesetzesordnung („rule of law“) mit der grundsätzlichen Anerkennung des Internationalen Rechts und mit einem Waffenkontroll-Regime beginnen. Für Nationen, die in Nicaragua und Panama leichtfertig gegen das Völkerrecht verstoßen, um es dann in Kuwait herbeizuzitieren, darf in der Neuen Weltordnung ebensowenig Platz sein wie für solche Staaten, die die Menschenrechte anerkennen und dann den Saddams dieser Welt bei der Aufrüstung behilflich sind.

Wenn die Abrüstungsbemühungen ernst gemeint sein sollen, dann dürfen diese nicht diskriminieren und müssen mit den hochgerüstetsten Staaten beginnen. Rüstungsverbote für die Länder der Dritten Welt ohne die gleichzeitige Reduzierung der Großmachtarsenale wären nur das, was der britische Expremier Edward Heath als „Neuen Imperialismus“ bezeichnet. Nur bei einem gleichzeitigen graduellen Abbau der bestehenden Atomwaffenarsenale auf das absolute Minimum wird die Proliferationskontrolle in der Dritten Welt überzeugend und wirksam sein können.

Wenn die Waffenexporte als erster Test für die Errichtung der Neuen Weltordnung herangezogen werden, hat die Bush-Administration hier bisher völlig versagt. Einen Tag, nachdem George Bush seine jüngste Abrüstungsinitiative für den Mittleren Osten bekanntgab, nahm sich sein Verteidigungsminister Cheney das Recht heraus, den Freunden Amerikas weiter bei ihrer Verteidigung zu helfen: mit der Errichtung von Waffenlagern in Israel, Angriffshubschraubern für die Emirate und einem 7-Milliarden-Waffendeal für die Saudis. Ein einseitiges Atomwaffentest-Moratorium sowie die Befürwortung einer internationalen Kontrolle des israelischen Atomwaffenkomplexes wären die Minimalsignale aus Washington, es mit der Denuklearisierung der Welt wirklich ernst zu meinen.

Regionale Sicherheitsstrukturen

Der Aufbau regionaler Sicherheitssysteme nach dem Muster der europäischen KSZE wäre der nächste Schritt auf dem Weg zur polyzentralen Steuerung der Neuen Weltordnung. Doch die Bush-Administration scheint die Regelung der Weltaffären in praxi lieber einer schnellen Nato-Eingreiftruppe zuweisen zu wollen als dem neuen 35-Nationen- Forum, dem sie als Symbol amerikanischen Einflußverlustes in Europa nach wie vor mit großer Skepsis gegenübersteht.

Für den Mittleren Osten befinden sich Vorschläge zu einem regionalen Sicherheitssystem nicht einmal in Außenminister Bakers Reisekoffer; über die Entwicklung ähnlicher Strukturen für die Regelung zukünftiger Handelskonflikte im Pazifik haben die Washingtoner Freihandelsstrategen noch nicht einmal nachgedacht. Wenn schon nicht als Weltregierung, so müßten die Vereinten Nationen in einem so vermittelten System aus vertrauensbildenden Maßnahmen, Abrüstungsinitiativen und Sicherheitspakten in jedem Falle eine zentrale Steuerungsfunktion übernehmen. Wenn die Probleme der neuen Welt, wie es der Harvard- Politologe Stanley Hoffman sieht, „aus der Diskrepanz zwischen der formalen Organisation der Welt in Staaten und den Realitäten der Macht“ herrühren, muß die UNO der Ansatzpunkt sein, um die Realitäten der Macht in ein neues und flexibleres Institutionensystem zu kleiden.

In der UNO werden in Zukunft auch die Zielkonflikte der neu zu entwickelnden Weltordnung auftreten und gelöst werden müssen: zwischen Souveränität und Intervention (siehe Kurdistan), zwischen nationalen und ethnischen (Jugoslawien) sowie zwischen nationalen und globalen Ansprüchen (Umweltprobleme, Bevölkerungswachstum). Der Versuch, diese Spannungen durch neue Institutionen gewaltlos aufzulösen, ist weder einfach noch risikolos. Er scheint jedoch angesichts der wachsenden Komplexität internationaler Beziehungen und einer globalen Ökonomie langfristig alternativlos zu sein.

Doch an der Weiterentwicklung der nicht mehr ausreichenden UNO- Charta haben die USA bisher keinerlei Interesse gezeigt. Die Ersetzung eines Generals Schwarzkopf vielleicht durch einen norwegischen Militärführer an der Spitze des „Military Staff Committee“ der UNO käme für die USA auch in zukünftigen Konflikten überhaupt nicht in Frage. Für den Weltpolizisten George Bush bleibt die UNO ein bequemes politisches Instrument, um sich Zugang zu den Kriegsschauplätzen zu verschaffen. Falls einer der fünf Chauffeure in Zukunft streiken sollte, wird er wieder in den US-Jeep umsteigen.

Dabei erfordert die Neue Weltordnung gerade neue Krisenlösungsmechanismen und das Engagement der USA für solche Fälle — und das dürfte in Zukunft die Mehrheit sein —, in denen keine „vitalen Interessen“ der USA berührt sein werden. Rolf Paasch

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