TNF: eine gen-iale Totgeburt

Die BASF will in Ludwigshafen mit Hilfe genmanipulierter Coli-Bakterien das Antikrebsmittel Tumornekrosefaktor industriell herstellen/ Krebsforscher kritisieren das Medikament als unbrauchbar: Die Nebenwirkungen übersteigen den Nutzen  ■ Von Joachim Weidemann

Die Ankündigung des Chemiekonzerns BASF klang fast wie eine neue Wunderwaffe gegen Krebs: das Protein „Tumornekrosefaktor“ (TNF). An der Universtätsklinik Heidelberg, so frohlockte der Konzern hoffnungsvoll, „konnte gezeigt werden, daß die krebsbedingte Wassersucht durch Gabe von TNF erfolgreich therapiert werden kann“. Diese Wasserblasen, machte die BASF angst, könnten „bis zu 10 Litern betragen“ und träten „häufig im Endstadium von Tumoren der Eierstöcke und des Magen-Darm-Traktes auf“. Die zusätzlichen Leiden der Krebskranken: „Verdauungsprobleme, Bauchschmerzen, Atembeschwerden und Angstzustände“.

Im Heidelberger Versuch dagegen, so die BASF, sei die Bauchwassersucht bei „allen“ Eierstock-Patientinnen und „bei etwa 70 Prozent“ der Magen-Darm-PatientInnen „dauerhaft“ beseitigt worden. Fazit: Die Menschheit braucht dringend eine Gen-Tech-Anlage zur Produktion von TNF!

Billiggenehmigung für die BASF

Beantragt — genehmigt. Die Stadt Ludwigshafen, die darum fürchten mußte, daß die BASF sonst ihre Gen- Tech-Wurzeln statt am Rhein künftig in Boston (USA) schlagen würde, erteilte sogar die Genehmigung zum Sofortvollzug. Aber die „genialen“ Produktionspläne der BASF haben einige Haken, an denen die Aufmerksamkeit einiger Ludwigshafener Gen-Tech-Gegner hängenblieb: Die 20 von der BASF angeführten, mit TNF behandelten Eierstock-PatientInnen überlebten nämlich nur zwischen sechs und 62 Wochen. Der Bändigung der Bauchwassersucht standen zudem erhebliche Nebenwirkungen gegenüber (Fieber, Schocksyndrome). In einem TNF-Gutachten für die Grünen Rheinland-Pfalz hegt Wolfang Hien von der Frankfurter Informationsstelle für arbeitsmedizinische Fragen bereits den „Verdacht einer sich bildenden TNF-Resistenz im Verlaufe der Behandlung“. Der Grund für diese Vermutung: das „beschleunigte Tumorwachstum nach einigen Wochen“ Therapie. Gutachter Hien zufolge geht sogar selbst das Deutsche Krebsforschungszentrum Heidelberg davon aus: „Der Einsatz des TNF als Anti-Krebsmittel ist absolut aus der Diskussion.“ Und so wartet das angebliche Krebs-Wundermittel noch immer auf seine Zulassung als Pharmakon. Für den Ludwigshafener Grünen-Stadtrat Elmar Strifler Argumente genug, gegen die Genehmigung der TNF-Anlage zu klagen. Das städtische Umweltamt, so werfen er und andere Gen-Tech-GegnerInnen der Stadt vor, habe bei der Genehmigung von der BASF nicht einmal jene Sicherheitsstandards verlangt, die bei vergleichbaren Anlagen üblich waren, etwa denen der Behringwerke in Marburg oder der Grünenthal GmbH in Aachen: „Die BASF bekam eine Billiggenehmigung.“

Jahresproduktion von „nur“ 500 Gramm

Striftlers Rechtsanwalt Günter Urbanczyk und der baden-württembergische Grünen-Abgeordnete Jürgen Rochlitz sehen von der TNF-Anlage auch ein Umweltrisiko ausgehen. Denn der Eiweißkörper TNF — ein natürlicher Botenstoff des menschlichen Immunsystems — soll in Ludwigshafen künstlich aus genmanipulerten Bakterien gewonnen werden: aus „Escherichia Coli“, Typ E.ColiK12 (W3110). Mit diesen Bakterien, die dem menschlichen Darmbakterium verwandt sind, experimentiert die BASF bereits seit längerem in Ludwigshafen — bislang aus reinen Forschungszwecken und daher ohne Genehmigungspflicht. TNF kommt in einer Konzentration von 150 bis 200 Nanogramm im menschlichen Körper vor. Bei Krebskranken soll der Stoff zusätzlich in das kranke Gewebe gespritzt werden. BASF-Experten gehen davon aus, daß jährlich weltweit 500 Gramm TNF von Krebskranken benötigt werden. Dazu benötigt das Unternehmen 260 Tonnen bakterielles Rohprodukt jährlich.

Das bei der TNF-Produktion verwandte genmanipulierte Bakterium wird von BASF als „Sicherheits- Stamm“ gepriesen. Dieser Bakterien-Stamm könne „in der Umwelt mit anderen Mikroorganismen nicht konkurrieren“, sich nicht aktiv mit anderen Organismen verbinden. Aber TNF-Gutachter Hien bezweifelt das. Die Erfahrungswerte seien gering und noch längst seien nicht alle Wirkungen von TNF und dem Ausgangsbakterium untersucht.

So wollen denn auch die Gegner der Anlage wissen:

—Welche Krankheitsrisiken bestehen für MitarbeiterInnen und die Bevölkerung? Dies betrifft vor allem die Inhalation von TNF- oder Coli- haltigen Aerosolen, was bislang nur unzureichend untersucht wurde. Getestet wurden nur das Schlucken von kontaminiertem Material und die Blutinfektion durch Ritzen.

—Können sich die genmanipulierten Mikroorganismen bei einem Entweichen aus der Anlage in Ökosysteme „einnisten“?

—Kann ihre manipulierte Genstruktur passiv von anderen Organismen, etwa Viren, integriert werden? Wie überlebensfähig wären diese neuen Mutanten?

Unerforschte Risiken und zweifelhafter Nutzen

Auf eine der Fragen gibt die BASF- Studie eine bedenkliche Antwort. So heißt es etwa dort zur Überlebensfähigkeit des genmanipulierten Bakteriums: „In der belebten Umwelt, z.B. Gartenerde, Flußwasser, Klärschlamm... war der Produktionsstamm (des TNF-Bakteriums, d. A.) ... nach sechs Tagen im Klärschlamm und Flußwasser bzw. nach zehn Tagen im Erdboden nicht mehr nachweisbar.“ Aber gerade diese Überlebensdauer von sechs oder zehn Tagen stellt ein nicht zu unterschätzendes Risiko dar: In dieser Zeit können sich die Bakterien vermehren, sowohl untereinander als auch mit ähnlich gearteten Coli-Bakterien. Außerdem könnte die Gen- Masse der Bakterien von Viren geschluckt werden und deren Eigenschaften verändern. Die Endprodukte solcher Gen-Mutationen sind jedoch bislang nahezu unerforscht.

Diese unerforschten Risiken einerseits und der zweifelhafte Nutzen von TNF andererseits, lassen erhebliche Zweifel an dem TNF-Projekt aufkommen. Aber da die BASF, um hohe Sicherheitsstandards bemüht, weiter an diesem Projekt festhält, liegt die Vermutung nahe, daß der Chemiekonzern andere Pläne im Auge hat. Das geht aus einem BASF- Papier zur Gen-Tech hervorgeht: „Bei der industriellen Nutzung der Gentechnologie durch die BASF geht es um die Übertragung einzelner genetischer Informationen in Mikroorganismen und Zellkulturen. Diese können dadurch eine gezielte Stoffumwandlung durchführen und dabei z.B. TNF produzieren.“ TNF wird hier nur als ein Beispiel aufgeführt. Offenbar gibt es weiteregentechnische Forschungsvorhaben. Diese, so die BASF, hätten „nichts zu tun mit Manipulationen oder Experimenten am genetischen Material des Menschen“. Gentherapie lehne der Chemiekonzern genauso ab wie Genomanalyse oder die Züchtung von Menschen im Reagenzglas.