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„Geht heim und macht einen kleinen Kroaten“

In fast allen Ländern Osteuropas wird das Recht auf Abtreibung angegriffen/ Noch ist die Lage nicht überall so schlimm wie in Polen, doch die katholischen Priester marschieren voran/ Nationalisten wollen um jeden Preis die Zahl ihres Volkes mehren  ■ Aus Berlin Ulrike Helwerth

Die osteuropäischen Länder sind den Realsozialismus kaum los, da werden in der Großen Freiheit schon neue Fußeisen für die Frauen geschmiedet. In allen Ländern des ehemaligen Ostblocks, in denen der Schwangerschaftsabbruch bisher re- lativ liberal geregelt war, haben in- zwischen LebensschützerInnen, NationalistInnen, die katholische Kirche und der Staat zum Angriff auf das Recht auf Abtreibung geblasen. In welchem Ausmaß das bereits geschieht, darüber berichteten Teilnehmerinnen aus fast allen osteuropäischen Ländern auf einem Ost- West-Frauentreffen mit US-amerikanischen Feministinnen Anfang Juni im jugoslawischen Dubrovnik.

Extrem ist die Situation in Polen, wo das Thema Abtreibung mittlerweile die ganze Nation gespalten hat. Seit 1956 gilt in Polen eine Art Fristenlösung. Radikale LebensschützerInnen aber, angeführt von der katholischen Kirche, fordern ein absolutes Abtreibungsverbot und drakonische Strafen. Ein geringfügig entschärftes Gesetz, das bei Le- bensgefahr der Schwangeren und nach einer Vergewaltigung straffreie Abtreibung, in allen anderen Fällen jedoch bis zu zwei Jahre Gefängnis für ÄrztInnen vorsieht, sollte Mitte Mai im polnischen Parlament verabschiedet werden. Nach heftigen Debatten wurde die Entscheidung jedoch vertagt und statt dessen die Regierung beauftragt, einen Maßnahmenkatalog zum Schutz von Mutter, Kind und Familie auszuarbeiten.

In der benachbarten Tschechoslowakei können Frauen seit den 70er Jahren bis zur 12. Schwangerschaftswoche abtreiben lassen, wenn sie vorher einen Arzt oder eine Ärztin aufgesucht haben. Die hohen Abtreibungsziffern alarmieren jedoch die Öffentlichkeit. Mit 180.000 Abtreibungen auf 15 Millionen EinwohnerInnen im Jahre 1990 liege die CSFR nach der Sowjetunion und Rumänien an europäischer Spitze, heißt es von offizieller Seite. Bisher aber ist kein schärferes Gesetz in Vorbereitung. Das Parlament in der katholischen Slowakei hat allerdings ein Dekret erlassen, das es ÄrztInnen erlaubt, Abtreibungen aus Gewissensgründen zu verweigern. Der tschechoslowakische Gesundheitsminister brachte vor kurzem einen Gesetzentwurf ein, wonach jede Frau, die im Krankenhaus abtreiben läßt, mit 3.000 Kronen, einem durchschnittlichen Monatsverdienst, zur Kasse gebeten werden soll. Pille und Kondom soll es zum Ausgleich umsonst geben. Doch woher soll das Geld für die Verhütungsmittel kommen, wenn das ganze Gesundheitssystem umgestellt und drastisch gekürzt wird?

Auch in Bulgarien, so der Plan, werden Frauen künftig kräftig zahlen, wenn sie abtreiben lassen. Ein neuer Gesetzentwurf sieht vor, daß unverheiratete Frauen ein Drittel ihres Monatseinkommens berappen, verheiratete die Einkommensbescheinigung ihres Ehemanns vorlegen müssen. Steigende Geburtenziffern sind der bulgarischen Regierung ein großes Anliegen. „Damit unser Volk nicht ausstirbt, müssen wir die Frauen dazu bringen, daß sie mindestens drei Kinder in die Welt setzen“, erklärte eine Journalistin einer bulgarischen „Familienzeitschrift“. Das Gesetz ist auf das „demographische Problem“ zugeschnitten: Seit den 70er Jahren ist Abtreibung erst nach dem dritten Kind erlaubt. Wer vorher abbrechen lassen will, muß vor einer speziellen Kommission überzeugende Gründe angeben.

In Bukarest kamen 1990 5,2 und im rumänischen Landesdurchschnitt 3,1 Abbrüche auf ein geborenes Kind, so die offiziellen Zahlen. Diese besorgniserregende Entwicklung und die Frage, wie die Abtreibung als Verhütungsmethode reduziert werden kann, waren jüngst Thema einer nationalen Konferenz. Es erheben sich Stimmen, die für ein restriktives Gesetz plädieren: die Kostenbeteiligung der Frauen soll von 30 auf 500 Lei erhöht werden.

Im Norden Jugoslawiens, vor allem in Kroatien, ist die Abtreibung zur nationalen Frage geworden. Waren Abbrüche bisher bis zur 12. Woche erlaubt, billig und meist komplikationslos, melden sich nun NationalistInnen und die katholische Kirche zu Wort. So berichtete eine Serbin von einer Wahlveranstaltung der führenden kroatischen Partei „Kroatische Demokratische Gemeinschaft“, auf der die Zuhörer aufgefordert worden seien: „Liebe Freunde, geht nach Hause und macht einen kleinen Kroaten.“ Aus re-katholizierten nationalistischen Kreisen kam auch der Versuch, in der neuen kroatischen Verfassung ein Recht auf Leben „von der Empfängnis bis zum Tod“ festschreiben zu lassen. Liberale und Feministinnen konnten einen solchen Passus bisher verhindern. Doch die LebensschützerInnen, unter Führung einer katholischen Ärztin, gewinnen allmählich an Terrain. Zur Zeit versuchen sie, mit einer Klage vor dem kroatischen Verfassungsgericht ein totales Verbot von Abtreibung, Verhütungsmitteln und künstlicher Befruchtung zu erwirken. In Slowenien liegt der Antrag vor, in die zukünftige Verfassung aufzunehmen, daß das Leben ab Empfängnis „heilig“ ist.

Und der Widerstand? In Kroatien, Slowenien und Serbien wächst seit Ende der 70er Jahre ein kleines Netz von feministischen Gruppen. Im vergangenen November hielten in Zagreb über 500 Kroatinnen und Gäste anderer Nationalitäten eine „Frauenversammlung“ ab. Sie endete mit einem Marsch zum kroatischen Parlament, wo die Teilnehmerinnen gegen eine Lebensschutzklausel in der neuen Verfassung protestierten. In Polen führen die heftigen Angriffe auf das Abtreibungsgesetz zu wachsenden Aktivitäten und zur Bildung vieler kleiner Frauengruppen. „Wir hoffen, daß dies der Beginn des Feminismus in Polen ist“, so eine Rechtsanwältin aus Warschau.

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