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Axel Springer AG modernisiert die Verlagsdoktrin

Nach 43 Jahren in Springers Diensten wird Peter Tamm in den vorzeitigen Ruhestand getreten/ Sein Nachfolger Günther Wille setzt auf Teamarbeit  ■ Aus Berlin Donata Riedel

Peter Tamm wurde am 12. Mai 1928 in Hamburg geboren. In seiner Heimatstadt besuchte er die Schule und wurde im letzten Kriegsjahr noch als Seekadett zur Marine einberufen. 1948 legte er dem 'Hamburger Abendblatt‘ eine Manuskript- und Fotoserie über das Schicksal und den Verbleib Hamburger Schiffe vor, das ihm ein Honorar von 500 DM und einen Vertrag als freier Mitarbeiter, später als Schiffahrtsredakteur, einbrachte. T. finanzierte damit ein fünfsemestriges Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Hamburg.

Muntzinger Archiv

Inzwischen erhält Peter Tamm, bis gestern Vorstandsvorsitzender beim Axel-Springer-Verlag, sechs Millionen Mark Jahressalär, wohnt in Hamburgs vornehmer Elbchaussee mit Blick auf die ein- und auslaufenden Schiffe und widmet seine bald größere Freizeit einer umfangreichen nautischen Sammlung. Gestern leitete der „Admiral“ — wie Tamm sich gerne nennen läßt — seine letzte Hauptversammlung der Springer AG in Berlin. Aufsichtsratsvorsitzender Bernhard Servatius lobte den „von Bord gehenden Lotsen“ für seinen „Widerstand gegen die Auswüchse des Zeitgeistes nach 1968“. Nach 23 Jahren Tamm'scher Alleinherrschaft an der Spitze darf man das möglicherweise im Verlagshaus bald differenzierter sehen.

Auf der Hauptversammlung wurden die Unternehmensgrundsätze den neuen Gegebenheiten angepaßt: Statt „für die friedliche Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit“ tritt das Verlagshaus nun für „den freiheitlichen Rechtsstaat Deutschland als Mitglied der westlichen Staatengemeinschaft“ ein.

Daß der Verlag sich bis in die 90er Jahre sein Weltbild im Springer'schen Schwarz-weiß-Kontrast bewahren konnte, ist vor allem Peter Tamms Verdienst. „Einer muß auf der Brücke stehen“, pflegte der treue Zögling des 1985 verstorbenen Verlagsgründers sein Führungskonzept 'Bild‘-haft auf den Punkt zu bringen. Der Wille des schwergewichtigen Patriarchen war Befehl im Hause Springer. Beim Streit um die Macht im Hause des Privatsenders Sat.1 mit dem Filmgroßhändler Leo Kirch, den Tamm bis zur Peinlichkeit eskalierte, oder 1987 beim Machtkampf gegen den damaligen Mit-Vorstand und ehemaligen 'Bild‘-Chef Günter Prinz — für Tamm ging es stets um Alles oder Nichts.

Den Kampf gegen Kirch hat er schließlich verloren: Mitte letzten Jahres konnte der Filmmogul seine Sat.1-Anteile durch Zukauf der Beteiligungen des Handelsblattverlages und seiner Haus-DG-Bank auf 40 Prozent aufstocken, Springer mußte sich mit 27 Prozent und Platz zwei begnügen. Damals waren die Springer-Erbengemeinschaft, die zusammen mit der italienischen Monti- Verlagsgruppe über 50 Prozent der Aktien hält, sowie der Aufsichtsrat des altertümlichen Tamm'schen Konfliktstils überdrüssig geworden — zumal die 'Bild‘-Kampagnen gegen Kirch negativ auf Springer zurückfielen. Selbst Prinz ist wieder zurück bei Springer — zurückgeholt von Tamms designiertem Nachfolger Günther Wille, nachdem der langjährige 'Bild‘-Chef aus Rache dem Konkurrenten Hubert Burda die 'Super‘-Zeitung als Boulvard-Konkurrenz zu 'Bild‘ konzipiert hatte.

Dem Herrschaftsanspruch Tamms durften nicht einmal Jahrzehnte alte Bäume im Weg stehen. Für den freien Blick auf die geliebten Elb-Schiffe setzte Tamm sich Anfang 1989 über Landschaftsschutzverordnungen hinweg und ließ auf 200 Metern Elbhang alte Bäume und Gebüsch zu Kaminholz zerkleinern.

Nachfolger Wille richtet seinen Blick dagegen auf die Erosion der finanziellen Basis des größten deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenverlages. Der Ex-Marlboro-Mann, der 1990 gegen Tammvom Zigarettenhersteller Philip Morris in den Verlag wechselte, findet, daß die Rendite von 1,8 Prozent des Umsatzes „kein Prädikat für ein Unternehmen mit wachsenden Umsätzen“ sei. Bei 3,534 Milliarden Mark Umsatz brachte das Geschäft mit zahlreichen Zeitungen, Zeitschriften und Privatsendern vergleichsweise magere 65 Millionen Jahresgewinn. In Westdeutschland dümpelt die 'Bild‘- Auflage vor sich hin, im neuen Ostmarkt zehrt die Konkurrenz der 'Super‘ den Anfangserfolg des Springer-Blattes auf.

Die Auslandsengagements des deutschesten der bundesrepublikanischen Medienkonzerne verliefen — so bei der spanischen 'Bild‘-Variante 'Claro‘ — ebenfalls wenig gewinnträchtig. 1,5 Milliarden Mark will Springer in den nächsten Jahren investieren. Um das abzusichern, hätte die gestrige Hauptversammlung eine Kapitalerhöhung beschließen müssen. Doch bereits vorher war klar, daß die Monti-Gruppe mangels Bargeld daran kein Interesse hatte, und Springers Erben verfügen alleine nur über 40,1 Prozent.

So ist im Hause Springer, das seine JournalistInnen gut für ihre Anpassung an die Verlags-Doktrin zu bezahlen pflegt, plötzlich Sparen angesagt. Günther Wille gibt sich zwar mit einem Drittel des Tamm'schen Salärs zufrieden, doch Tamm stehen für seinen eigentlich noch zwei Jahre laufenden Vertrag zwölf Millionen zu. Schwer zu schaffen machen wird Wille wohl auch die alte Springer- Hierarchie mit ihrem kleinlichen Intrigenmief. Der Neue sieht sich nicht wie der Alte als Inkarnation des Frühkapitalisten im dunklen Anzug mit Zigarre. „Führung durch Zwang und Vorschrift ist nicht meine Sache“, sagte er unlängst vor den Tamm-gedrillten Führungskräften. Kooperation im Team und offener Diskussionsstil seien seine Vorstellung von Zusammenarbeit. Ob er die befehlsgewohnten Unteroffiziere des Admirals dafür gewinnen kann?

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