: Musik nach Sonnenuntergang
■ Die Sabri Brothers zum Auftakt der »Heimatklänge 91« im Tempodrom
Wenn es überhaupt so etwas wie das ewig bejammerte Sommerloch gibt, dann nicht im Sommer, oder jedenfalls nicht im Juli. Freunde guter Musik gehen entweder jeden Abend ins Quasimodo zu Jazz in July, waren am Dienstag abend außerdem bei Pere Ubu im Loft (das Konzert von David Thomas und seinen Ubus war so großartig, daß es hier einfach noch einmal erwähnt werden muß), und jetzt führen uns auch die Heimatklänge wieder in Entscheidungsnöte.
In seiner vierten Saison präsentiert das Weltmusikfestival Musik Mahal — Musik aus Indien. Auch die Heimatklänge profitieren in diesem Jahr erstmals von der vorolympischen Disziplin des Kultursponsorings: Das Olympiabüro füllt mit 100.000 Mark die Kasse, die der Kultursenator nicht mehr begleichen kann oder will. Der Rest des Etats mußte beim Haus der Kulturen, beim Tempodrom und beim SFB zusammengesammelt werden. Durch die Finanzierungschwierigkeiten verkürzte man die Reihe, die im letzten Jahr auf acht Wochen ausgedehnt worden war, wieder auf sechs Wochen. Als Bonus gibt es diesmal aber noch ein kleines Filmfestival mit Schmachtfetzen aus der Produktion der indischen Filmindustrie, die mehr Film herstellt als Hollywood (sonntags um 21.30 im HdKdW nebenan). Bis 18. August werden sechs unterschiedliche Bands unter der hölzernen Dachkonstruktion des Tempodroms zu hören sein. Jeweils ab Sonnenuntergang und nicht ab »21.30«, denn diesmal geht es nicht nur um Musik, sondern auch gleich noch um Spiritualität.
Beim Heimatklang-Eröffnungskonzert am Mittwoch saß man in den vorderen Reihen brav lotusmäßig im Schneidersitz, als die Sabri Brothers ihre Quawwali-Musik ausbreiteten. Die zwei Sabri-Brüder hatten noch acht andere Herren aus Pakistan mitgebracht (was eine Zuhörerin denn auch sogleich anregte, von einer »Mackerband« zu sprechen). Zum Musizieren setzte man sich, die Beine schwungvoll verknotet wie es nie einem deutschen Guru gelingen würde, auf die mit Perser(?)-Teppichen belegte Bühne. Über den Sabris der dunkelblaue Himmel (Sonnenuntergang!) und das Porträt einer nicht sehr hübschen Lotusblume. Die wiederum hängt bedeutungsvoll genau dort, wo im letzten Jahr noch das Motto Beat Apartheid prangte.
Die Sabri Brothers emigrierten nach der Teilung Indiens 1947 aus dem heute wieder umkämpften Punjab nach Karachi. In Pakistan wurden sie zu Superstars des Quawwali, einer Mischung aus Gesang und rhythmischem Klatschen. Sie heimsten diverse goldene Schallplatten ein. Auch im Tempodrom beginnt alles ganz langsam und bedächtig. Die Sabris öffnen ihr Harmonium - die indische Variante des Schifferklaviers wird nach vorn gezogen - drücken einige Tasten, und es entsteht ein zunächst kleines Melodie-Rinnsal, das unaufhörlich anschwillt. Parallel dazu steigert sich der religiöse Singsang. Kaum merklich entwickelt sich das Gebräu zu einem musikalischen Sturzbach, der von den Kollegen der Sabris händeklatschend und tablatrommelnd begleitet wird. Ist ein Titel beendet, was gut und gerne eine halbe Stunde in Anspruch nehmen kann, folgt der nächste mit einem ähnlichen Aufbauschema. Die Monotonie der Gleichförmigkeit, die den europäischen Geist schnell nach einer knalligen E-Gitarre verlangen lassen, wird hier zum Stilprinzip.
Auf dem schon am ersten Abend fast überfüllten Gelände des Tempodroms wollte aber keine so rechte Meditationstimmung aufkommen. Es war einfach zu eng zum sinnigen Dösen. Außerdem fehlten dazu einige Pfund gutes Gras. So widmete man sich wieder einmal dem qualitativ minderwertigen Berliner Kindl, das seine Spiritualität zunächst im Plastikbecher und dann im Kopf heftig entfaltete. Andreas Becker
Bis Samstag ab 21.30 Uhr Tempodrom, Sonntag 16 Uhr Werkstattkonzert im Haus der Kulturen, Sonntag 21.30 Uhr ebenfalls dort: Filme aus Indien.
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