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»Wir haben uns zusammengerauft«

■ Unterschiedliches Know-how, differierende Lohngruppen: Wenn Ostler und Westler in derselben Firma zusammenarbeiten, gibt es Probleme/ Gewerkschaft fürchtet Verdrängung und Lohndrückerei

Berlin. »Was kommt heraus, wenn man einen Wessi und einen Ossi kreuzt? Ein arroganter Arbeitsloser.« Der Zynismus derzeit kursierender »BesserWessi«-Witze spart Nuancen aus, die im Arbeitsleben durchaus inzwischen vorhanden sind. Nach anfänglichen Querelen am Arbeitsplatz zwischen den Deutschen Ost und West scheinen sie nun allmählich zu einem Team zu werden. »Wir haben uns zusammengerauft«, beschreibt Peter-Michael Schroetter, Betriebsrat beim elektrotechnischen Unternehmen Krone AG in Berlin, die Situation.

Auch in anderen größeren Betrieben in West-Berlin, wo Kollegen hauptsächlich aus Ost-Berlin zur Belegschaft gehören, sind Grabenkämpfe inzwischen passé. Nicht ohne Spannungen geht es jedoch zwischen ausländischen Mitarbeitern und ostdeutschen Kollegen ab. Das betonen viele Betriebsräte größerer Unternehmen in West-Berlin.

Auch das Verhältnis zwischen DDR-Bürgern und Westdeutschen war zunächst nicht ungetrübt. Als nach dem Fall der Mauer Ostdeutsche in Westunternehmen kamen, prallten zwei Welten aufeinander. Akkord, Arbeitszeiten und Pausen nach der Stechuhr sowie Materialnachschub ohne Wartezeiten waren in der DDR weitgehend unbekannt. Da kam es schon mal vor, so der DeTeWe-Betriebsratsvorsitzende Thomas Grein, daß nach der Lektüre der Sonderangebote in der Zeitung ein Arbeitsplatz vorübergehend verwaiste, weil der neue Kollege glaubte, wie in alten Zeiten für ein Schnäppchen Schlange stehen zu müssen. Mit Spind-Schmierereien wie »Stasi-Knechte« reagierten die Wessis, für die die neuen Kollegen am Anfang Fremde waren.

Ein freundlicheres Miteinander entwickelte sich erst nach und nach. Vielfach mußten sich die neuen Mitarbeiter westliches Know-how aneignen, um ihre Chancen auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu verbessern. Während in den neuen Ländern derzeit noch meist zwischen 55 und 75 Prozent der Westeinkommen gezahlt werden, sind die Löhne und Gehälter in den großen Betrieben in West-Berlin oft schon gleich. »Bei uns gibt es keine Extrabehandlung«, sagt Detlef Lück, Betriebsratsvorsitzender im Maschinenbau-Konzern Babcock-Borsig. Gleiche Rechte für alle forderten auch andere Betriebsräte, um Reibereien unter der Belegschaft von vornherein auszuschließen: »Wir haben vom Wirtschaftswunder profitiert. Das wollen die Ossis jetzt eben auch.«

»Die Idylle täuscht«, meint Michael Böhm, Sprecher der IG Metall von Berlin-Brandenburg. Durch zunehmende Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern werde der Druck auf den Arbeitsmarkt in Westdeutschland wachsen. Ein Facharbeiter Ost sei beim derzeitigen Tarifgefälle bereit, im Westen »einige Lohngruppen tiefer anzufangen«, weil er dann trotzdem mehr als zu Hause verdiene. Dadurch könnte das Lohnniveau im Westen gedrückt werden, fürchtet der Gewerkschafter.

Wenn Angst um den Arbeitsplatz zum Dauerzustand wird, wie dies Gewerkschafter im Zusammenhang mit drohenden Massenentlassungen im Osten beklagen, dann greifen Depression, Unsicherheit und Zorn um sich. Eine »Verdrängung zwischen Deutschen und Ausländern« in den unteren Lohngruppen beobachtet Volker Brucks, Betriebsratsvorsitzender von Bosch-Telekom in Berlin. Seit der Maueröffnung seien in seinem Unternehmen »so gut wie gar keine Ausländer mehr eingestellt« worden. Jutta Lauterbach/dpa

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