Eine Reportage aus dem Niger-Delta : Delta Christmas Trees
Robin Hinsch und Moritz Frischkorn waren im Nigerdelta, wo Ölfirmen die Lebensgrundlagen der Menschen bereits zerstört haben.
Von MORITZ FRISCHKORN (Text) und ROBIN HINSCH (Fotos)
Wir sitzen im Versammlungsraum von Chief Damian Vidag-Kobani. Der Chief ist eine beeindruckende Gestalt, schwer, groß, massig – vielleicht 120 Kilo schwer – und trägt ein traditionelles nigerianisches Gewand in dunklen Farben. Der Raum ist klein, aber sauber und aufgeräumt, es stehen einige Plastikstühle und ein Sofa darin. Die Wände sind unverputzt, es ist warm und feucht. Auf dem kleinen Tisch vor den Füßen des Chiefs sind einige Gläser und eine Flasche Kai Kai platziert. Kai Kai ist der lokal gebraute Gin.
Der Blick des Chiefs ist undurchschaubar, fast abweisend. Der Tradition entsprechend öffnet er die Flasche Whisky, die wir ihm als Gastgeschenk mitgebracht haben, und schüttet den ersten großen Schluck in ein Whiskyglas. Niemand spricht. Er erhebt sich, geht zur Tür der kleinen Hütte, lässt vorsichtig einige Tropfen aus dem Glas an die Holztür und auf den Boden tropfen und murmelt Worte im lokalen Dialekt der Ogoni.
Chief Damian spricht mit den Vorfahren.
Nachdem er seine Blessings gesprochen hat, hellt sich sein Gesicht auf. Der Reihe nach, vom Ältesten zum Jüngsten, trinken wir jeder ein Glas Whisky. Der Chief begrüßt uns mit einer sonoren Stimme, die aus der Tiefe seines enormen Bauches zu kommen scheint. Wir sind bereit für unsere Tour. Die Sicherheits-Situation ist geklärt, die wichtigen Männer im Dorf sind einverstanden. Und wie der Chief uns bei unserer Rückkehr erzählt, hat er auch die Vorfahren um eine sichere Passage auf dem Wasser gebeten.
Robin und ich sind im Niger Delta unterwegs. Robin ist Fotograf, ich bin Theatermacher. Wir sind hier hingereist, weil wir herausfinden wollen, woher das Öl kommt, mit dem unsere Autos, Schiffe und Flugzeuge angetrieben werden. Das Öl, das unseren privilegierten Lebensstil antreibt. Nigeria ist der größte Erdölproduzent Afrikas, mehr als zwei Drittel der Außenhandelsbilanz des Landes verfallen auf Rohöl. Hier kann man en detail studieren, was es heißt, wenn westliche Kolonialmächte einen großen Ressourcenmarkt erschließen und mit Hilfe korrupter Eliten ausbeuten. Das Nigerdelta ist massiv mit Öl verschmutzt, die Lebensgrundlage der meisten Menschen wurde nachhaltig zerstört, sie können weder fischen noch Landwirtschaft betreiben. Experten gehen davon aus, dass in den letzten 50 Jahren insgesamt mehr als zwei Milliarden Liter Öl ins Delta geflossen sind.
Es gibt keine funktionierende Infrastruktur, keine Elektrizität, kein fließendes Wasser, zum Teil keine Schulen und Krankenhäuser. Die Jugendlichen hier sind zum größten Teil arbeitslos. Deshalb arbeiten sie in illegalen Raffinerien und verarbeiten dort gestohlenes Rohöl. Robin und ich wollen eine sogenannte artisanal refinery besuchen und verstehen, aus welchen Gründen Menschen diese Arbeit aufnehmen. Zugleich ist das Delta von bewaffneten sozialen und politischen Konflikten gezeichnet. Seit vielen Jahre suchen militante Gruppen den Konflikt mit der Zentralregierung und den internationalen Ölproduzenten. Dabei geht es sowohl um Umweltgerechtigkeit, als auch um Geld und Einfluß. Was jeweils im Vordergrund steht, ist schwer zu entschlüsseln.
Wir fahren zur Anlegestelle in Bodo. Einige Jugendliche hängen am Steg herum, das Wetter ist grau, diesig, düster. Ein Holzboot, das mit einem Außenbordmotor angetrieben wird, trägt uns in den Mangrovenwald des Deltas hinein. Der Creek ist breit und übersichtlich. In der Ferne sieht man die Mangroven, die Wurzeln der Bäume sind schwarz vor Öl.
Mangrovenwälder sind eines der fruchtbarsten Ökosysteme der Erde, sie können Salz ausschwitzen, ihre Wurzeln und Äste sind Lebensraum für Fische, Krebse, Vögel und Insekten. Im Nigerdelta sind sie in weiten Teilen von Öl verschmutzt und sterben.
Dann steigen wir aus und stapfen durch schwarzen Schlick. Erde, Blätter und Wasser sind mit Öl verklebt, es quietscht leise unter den Füßen. Wir laufen die Böschung hoch, in den Regenwald hinein. Hier ist die Erde so schwarz und glatt wie ein Tanzboden. Wir schauen auf eine selbstgeschweißte Anlage aus einer Trommel, mehreren Rohren und einem Tank. Unter der Trommel, in die Rohöl eingefüllt wird, entzündet man ein Feuer. Mit zunehmender Hitze evaporieren nach und nach die unterschiedlichen Bestandteile des Rohöls: Zunächst Kerosin, dann Benzin, schließlich Diesel. Indem sie durch einen mit Wasser gefüllten Kühltank geleitet werden, kondensieren sie und werden wieder flüssig. Die so voneinander getrennten Bestandteile des Öls, vor allem Diesel, werden in große quadratische Bassins, die in den Boden hineingegraben sind, eingefüllt, und dann per Boot weitervertrieben.
Die Szenerie ist gespenstisch, sie ähnelt einer leeren Bühne, einem unbewohnten Haus. Niemand ist hier, die Anlage ist tagsüber verlassen. Öl wird nur nachts gekocht, weil sonst die Armee auf die kleine Raffinerie aufmerksam werden könnte.
Später spreche ich mit dem Besitzer der Anlage. Er erzählt mir, dass er noch zwei weitere, größere illegale Raffinerien besitzt, die jedoch tiefer im Delta verborgen sind. Meist kann er eine solche Anlage für zwei bis drei Monate betreiben, bevor sie von der Armee zerstört wird.
Artisanal refineries sind der einzig florierende Wirtschaftszweig im Delta. Es gibt die lokalen, illegalen Raffinerien überall im Delta, sie werden von kleinen bewaffneten Gangs betrieben. Sie sind vollkommen informell, entsprechen keinen Umweltschutzvorgaben, aber sind so gut wie möglich in den Mangrovenwäldern des Deltas versteckt. Die Armee sucht und zerstört die Camps. Die Raffinerien sind Ausdruck eines korrupten Kriegs um Ressourcen und sprechen von der Vernachlässigung ganzer Bevölkerungsteile. Während in Deutschland und Europa Kinder jeden Freitag auf die Straße gehen, um für eine nachhaltige Klimapolitik zu kämpfen, sind Jugendliche im Nigerdelta dazu gezwungen, in diesen illegalen Raffinerien unter Einsatz ihres Lebens Rohöl zu kochen.
Joseph Filima Baritaala ist 35 Jahre alt. Er ist seit einem Jahr verheiratet. Seit etwa 10 Jahren arbeitet er als artisanal refiner. Bevor er diese Tätigkeit aufgenommen hat, hat er, gemeinsam mit seinem älteren Bruder in Kamerun als Fischer gearbeitet. Als die Frau seines Bruders stirbt, muss er nach Nigeria zurückkehren. Aber im Delta gibt es keine Arbeit für ihn. Schon seit 2008 ist die Gegend so von Öl verschmutzt, dass man nicht mehr als Fischer arbeiten kann. Joseph sieht sich gezwungen, die gefährliche Tätigkeit des Cookers aufzunehmen. Als Cooker ist er dafür verantwortlich, das Feuer unter der mit Rohöl gefüllten Trommel anzufachen und am Laufen zu halten. Freunde haben ihn ins Business eingeführt. Am Anfang erschrecken ihn die Wunden und Verbrennungen seiner Kollegen, aber er gewöhnt sich schnell an das gefährliche Arbeitsumfeld. Ihm selbst ist nie ein Unfall passiert, aber er hat Freunde, die schwere Verbrennungen haben, teilweise sogar gestorben sind.
Nach einigen Jahren im Geschäft arbeitet er nicht mehr nur in den Anlagen, zwischenzeitlich ist er zum Mittelsmann aufgestiegen, der die illegal raffinierten Ölprodukte weiterverkauft. Dafür hat er ein gebrauchtes Holzboot gekauft, was er auskleidet und mit raffiniertem Öl füllt. Mit seiner leicht entzündlichen Ladung fährt er früh morgens in die benachbarten Dörfer und verkauft dort das frisch gewonnene Diesel weiter. Mit der Armee hat er keine Probleme. Er muss die Sicherheitsleute einfach bezahlen, dann lassen sie ihn in Ruhe.
Doch dann hat er Pech: Er gerät an einen Neuling, der sich der gängigen Bestechungspraxis verweigert. Kurz vor seiner Hochzeit, vor eineinhalb Jahren, wird sein Boot von der Armee verbrannt. Seitdem ist er wieder als einfacher Cooker tätig.
Auch Frauen sind am weitverzweigten Schwarzmarkt beteiligt. Monica Dinebari Bakel ist 31 Jahre alt. Sie hat sechs Kinder, ihr Mann hat sie verlassen. Sie vertreibt illegal raffiniertes Benzin an Motorrad-Taxifahrer, um zu überleben. Über Zwischenhändler bekommt sie das Produkt und verkauft es vor ihrem Haus an der Hauptstraße in Bodo. In der Woche verdient sie damit etwa 20 bis 30 Euro. Während sie verkauft, unterrichtet sie auch ihre Kinder.
Als ich Joseph frage, woher das Öl kommt, dass in den illegalen Anlagen raffiniert wird, erzählt er mir vom Weihnachtsbaum. Er meint damit einem schwer zugänglichen, von Shell aufgegeben Bohrkopf, den er und seine Leute anzapfen. Bohrköpfe heißen im Pidgin English des Deltas Christmas Tree, weil sie ein bisschen wie Weihnachtsbäume aussehen. Das Delta ist gespickt von Weihnachtsbäumen, aktiven und inaktiven. Andere Refiners aber bohren auch Pipelines an, um an Rohöl zu kommen. Sie müssen dafür die große Öl-Verschiffungsanlage in Bonny Island im Blick haben. Je nachdem, welche Lichter an der Anlage brennen, wissen sie welche Pipelines unter geringem Druck stehen, so dass man sie anzapfen kann.
Der Vandalismus und artisanal refinery sind heute mitverantwortlich für die Umweltverschmutzung im Nigerdelta. Es ist ein Teufelskreis. Die Lebensgrundlage der Menschen ist wegen des Öls zerstört, jetzt pumpen sie selbst Öl ab, und zerstören damit die Umwelt weiter.
Bevor wir die artisanal refinery besuchen, besichtigen wir zwei weitere Dörfer. In B-Dere hat es ein großes Feuer gegeben. Das Flussufer ist komplett schwarz und verkohlt. Einzelne Bootsskelette liegen am Strand, vor allem aber ein großes, ganz mit Rohöl gefülltes Boot. Ich tauche meinen Finger hinein, das schwarze Öl ist weich und klebrig. Am 22. Juni 2019 ist die Armee in das Dorf einmarschiert, nachdem jugendliche Mitglieder einer Gang zwei der Sicherheitsleute angeschossen haben. Daraufhin sperrte das Militär das Dorf mehrere Wochen komplett von der Außenwelt ab, zerstörte drei der etwa fünfzehn bis zwanzig Häuser, vor allem aber verbrannten die Armeemänner alle 67 Boote der Gemeinde, die größtenteils von Fischfang lebt. Zwanzig von ihnen waren mit Außenbordmotoren ausgestattet, auch diese Motoren wurden zerstört. Weil die Boote am Ufer lagen, das seit vielen Jahren ganz von Öl verschmutzt ist, ist ein Feuer ausgebrochen. Es hat fünf Tage und Nächte lang gebrannt. Erst danach konnten die Menschen in ihre Häuser zurückkehren. Auch ihre spärliche Lebensgrundlage als Fischer ist jetzt zerstört.
Das Dorf Goi liegt nur wenige Kilometer entfernt. Hier hat die Gemeinschaft von Chief Damian gelebt, bevor der Staat ihnen im Jahr 2006 befohlen hat, das Dorf zu verlassen, weil die Umweltverschmutzung lebensgefährlich sei. Die Menschen haben keinerlei Entschädigung bekommen. Seit 15 Jahren leben sie in ihrem eigenen Land im Exil. Bis heute wissen sie nicht, wann sie zurückkehren können. Die Dörfer B-Dere, Goi und Bodo liegen östlich von Port Harcourt, in Ogoniland.
Seit 1995 ist dieser Teil des Deltas weltberühmt. Damals wurden der Umwelt-Aktivist Ken-Saro Wiwa und acht weitere Männer vom Militärdiktator Sani Abucha in einem Schauprozess hingerichtet. Zugleich entstand eine Weltöffentlichkeit für die bedrohte Situation der Ogoni-People, die im Delta leben, deren Lebensgrundlage aber nachhaltig zerstört ist. Neben den häufig wiederkehrenden kleinen Lecks in den Pipelines, aus denen immer wieder Öl austritt, hat es zuletzt hat es in den Jahren 2008, 2009 und 2014 größere Ölüberflutungen gegeben, für die mittlerweile Shell die Verantwortung übernimmt.
Beide Gemeinden, Bodo und Goi, haben Gerichtsverfahren gegen Shell angezettelt. In Bodo hat daraufhin ein Remediationsprojekt begonnen, das die zerstörte Umwelt reinigen und aufbereiten soll. Das Verfahren, das unter anderem Landwirte aus Goi angezettelt haben, läuft weiterhin, vor einem Zivilgerichtshof in Den Haag. Es wurde wieder aufgenommen, nachdem 2014 festgestellt wurde, das Shell vor Gericht gelogen hatte. Bis zum heutigen Tag ist aber keine Kompensation an die Community von Goi gezahlt worden. Und bis jetzt warten die Menschen darauf, dass ihre Umwelt gereinigt wird.
Dabei hat das UN Environmental Programm in einem 2011 veröffentlichten Bericht ausführlich dargelegt, auf welch gravierende Art und Weise die Umwelt des Deltas zerstört ist. Der Bericht legt nahe, dass Shell dafür verantwortlich ist, die Umweltschäden zu reparieren, unabhängig davon, ob der Konzern selbst oder Vandalismus verantwortlich für austretendes Öl ist. Die als Folge gegründete staatliche Institution zur Reinigung des Ogonilands, HYPREP – Hydrocarbon Pollution Remediation Project, ist nicht zu einem Interview bereit, obwohl wir uns rechtzeitig vorher angemeldet haben.
HYPREP ist ein Präzedenzfall. Niemals vorher in der Geschichte des Planeten soll so viel Land wie im Nigerdelta gereinigt werden. Allein die Reinigung der Landteile wird mit zehn Jahren veranschlagt, die Reinigung der Flussgebiete und des verseuchten Wassers wird mindestens doppelt so lange dauern. Trotz der riesigen Aufgabe beantwortet der Direktor der Behörde alle eingehenden Mails persönlich, niemand anders als er darf für die Organisation sprechen. Deshalb ist er notorisch überarbeitet. Verschiedene NGOs sprechen von Missmanagement und unnötigen Verzögerungen im Ablauf der Reinigungsaktion.
Der Direktor der NOSDRA, der von der Zentralregierung eingesetzten Behörde für die Detektion und Überprüfung von Ölverschmutzung im Delta, ist bereit, mit uns zu sprechen. Sir Cyrus Titus Nkangwung ist Zonal Director in Port Harcourt und eine respekteinflößende Person. Schwer fällt er in die Sessel seines Offices. Er gibt unumwunden zu, dass seine Organisation viele Orte im Delta, an denen Öl austritt, nur mit Hilfe der Ölfirmen erreichen kann. Dass das unter Umständen ein Problem für die neutrale Ausführung der Arbeit seiner Organisation ist, sieht er nicht: Die NOSDRA ist damit beauftragt, festzustellen, ob jeweils die Ölfirmen selbst oder Vandalismus für austretendes Öl verantwortlich sind. Je nach Ergebnis sind die Ölkonzerne dazu verpflichtet, Kompensationen an die lokale Bevölkerung zu zahlen - oder eben nicht. Die NOSDRA geht davon aus, dass etwa 90 Prozent aller Verschmutzungsvorfälle auf Vandalismus zurückzuführen sind. NGOs beklagen die mangelnde Neutralität der NOSDRA.
Offen spricht der große, diplomatisch auftretende Mann über die illegalen Raffinerien. Obwohl die NOSDRA fast immer Vandalen für die im Delta auftretenden Verschmutzungen verantwortlich macht, ist auch Sir Cyrus überzeugt, dass das Problem der illegalen Raffinerie-Tätigkeiten erst dann in den Griff bekommen werden kann, wenn es für die jungen Menschen im Nigerdelta genügend andere Arbeitsplätze gibt.
Das ist ein aussichtsloses Unterfangen, solange die Zentralregierung nicht für bessere Infrastruktur sorgt, für Elektrizität, Wasser, Bildung. Zwar ist die nigerianische Regierung darum bemüht, ihre Wirtschaft zu diversifizieren, um der notorischen Abhängigkeit von Rohölexporten zu entkommen, diese Bemühungen stecken aber noch in den Kinderschuhen. Solange werden junge Leute im Delta nach Weihnachtsbäumen suchen und das gestohlene Rohöl raffinieren, auch weil es Nigeria keine gute funktionierenden Raffinerien gibt. Das Land ist gezwungen, einen Großteil der raffinierten Ölprodukte zu importieren, außer sie werden heimlich im Mangrovenwald gekocht.
Als wir von der Besichtigung der illegalen Raffinerie zurückkehren, besuchen wir noch einmal Chief Damian. Er ist glücklich, dass wir unbehelligt wiedergekommen sind. Auch er gibt unumwunden zu, dass die Anlagen ein großes Problem für die Umwelt sind. Aber er sieht eben auch die andere Seite. Die Kinder und Jugendlichen seiner Gemeinschaft seien fast alle arbeitslos, sie hätten keine Lebensgrundlage: „They do it because of too much hunger. These people are doing it because they have no other thing to do. This is part of the cry that we are crying.“
Danach lacht der Chief traurig, und schüttet Kai Kai aus.
Es gibt Menschen im Nigerdelta, die behaupten, dass die Gin-Brennerei das Modell geliefert hat, nach dem jetzt Öl gekocht und raffiniert wird. Tief in den Sümpfen des Deltas wird nämlich auch Palmöl zu Gin verarbeitet. Beide Formen der Raffinierung arbeiten mit demselben einfachen System: Die Flüssigkeit wird über einem Feuer erhitzt, bis sich die edleren Teile der Flüssigkeit zu Gas verwandeln. Das Gas wird dann durch einen einfachen Kühlbehälter geleitet, damit es abkühlt, kondensiert, und dann als veredelte Flüssigkeit in einen Tank läuft.
Am besten schmeckt Kai Kai warm, wenn er grade frisch gebrannt wurde. Hier, in der Hütte des Chiefs, ist er mit Kräutern versetzt und bitter. Gemeinsam betrinken wir uns langsam, aber sicher.
Ich wünschte, auch ich könnte mit meinen Vorfahren sprechen. Dann würde ich darum bitten, dass das Öl endlich unter der Erde bleibt. Solange es nicht dort bleibt, da ist der Chief sich sicher, wird es den Menschen im Delta nicht besser gehen. Wir alle sind schwer von Öl abhängig. Ohne Verbrennungsmotor keine Logistik, keine Mobilität, kein Plastik. Nur ein radikaler Wandel unseres Lebensstils kann den Menschen hier wieder eine Perspektive geben. Denn nur, wenn das Öl unter der Erde bleibt, wird eine Reinigung der Umwelt im Delta gelingen.
Diese Reportage ist im Rahmen des künstlerischen Forschungsprojekts »The Great Report« von Moritz Frischkorn entstanden, das vom 16. bis 19. Januar 2020 auf Kampnagel, Hamburg, aufgeführt wurde.