: Lotsen in der Medienflut
■ Wer hat noch Angst vor Public Relation? Angestelltenkammer bildet ÖffentlichkeitsarbeiterInnen aus
“Beim Arbeitsamt wußten die mit mir nichts anzufangen,“ erzählt Dorothee, Mitte vierzig, Henna im Haar und lebensfroh. Gelernte Näherin, kurze Ehe, alleinerziehende Mutter, mit 33 Abitur, Verlagsangestellte in Berlin, Kleinkunst-Cafe in Unna — und schließlich handelte Dorothee mit Reisebussen. Mit dem Bruch einer Beziehung endete die Motivation für diesen letzten Job, und sie machte sich auf zum Arbeitsamt. Da ist sie auf „diesen Kurs“, sagt sie, gestoßen.
Der Kurs ist eine Fortbildungsmaßnahme im Berufsbildungsinstitut der Angestelltenkammer. Dort hat man sich vorgenommen, das Dickicht des Mediendschungels zu beackern. Deshalb werden — bereits zum zweiten Mal — seit dem 1. 8. in einer 16-monatigen Ausbildung acht Männer und zwölf Frauen von 24 bis 47 Jahren in diplomierte PR-BeraterInnen verwandelt (PR für Public Relations, zu deutsch in etwa: Öffentlichkeitsarbeit). Berufsziel: Pressesprecher, Informations-Designerin, WerbeberaterInnen — zukünftige Lotsen in der Medienflut.
Um den professionellen Umgang mit Informationen zu erlernen, muß man sich mit Begriffen wie „Anklänge“, „Metaebenen“ und statistischen Durchschnittsvorlieben und -abneigungen beschäftigen. Zuerst aber müssen
hierhin bitte das
Foto mit den paar Geräten
in leerem Raum
Die Werkzeuge der ÜberzeugungFoto: Tristan Vankann
die Grenzen der eigenen Wahrnehmung, die Kläppchen im Kopf, ausgemessen und evtl. behutsam geöffnet werden.
Am Tag meines Besuchs stehen Spielchen auf dem Stundenplan. Es ist Freitagnachmittag, und drei Tage „Einführung in den radikalen Konstruktivismus aus psychologischer Sicht“ sind gerade um. Jetzt spielen die Leute in Kleingruppen nach der neu erlernten Theorie „Re-framen“ — mit „Umrahmen“ nur ungelenk übersetzt. Gefordert ist da z. B., einen Verkehrsstau positiv zum Autokorso umzudeuten — oder die Behauptung „Ostzonensuppenwür
fel machen Krebs“ zu übersetzen in „Nahrungsmittel aus den FNL erfordern unsere besondere Aufmerksamkeit“.
„Chaotische Zustände“ oder „offene Situationen“? Lebhaft besprechen alle zusammen die Ergebnisse der Umdeutungen. Verblüffung, Gelächter, Aha-Erlebnisse und Skepsis bringt die Reflexion über den spielerischen Selbstversuch hervor.
Wer mit Informationen und Meinungen handeln will (im doppelten Sinn), „braucht eine eigene Lebensphilosophie“, sagt Organisatorin und Kursleiterin Christiane Börger. Sie bietet einen der vielen Wege, die „Kommunikationskompetenz“, also die Fähigkeit zu brabbeln und zu kontakten, zu verfeinern. Den dazugehörenden Funken der Entgleisung aus saturierten Wohlstandsriten fühlten alle angehenden InformationsspezialistInnen — jedeR auf ihre und seine Art — schon vor Kursbeginn.
Heidi, 36 Jahre und Sport-und Kunstlehrerin, entdeckte die therapeutischen Werte in ihren beiden Fächern. Sie hat ihr Feld bereits in der Arbeit mit alten Menschen gefunden. Sie engagierte sich mit alten Leuten beschäftigungstherapeutisch, organisierte aber auch z.B. Demos mit den Alten, die zu Fuß, in Rollstühlen und gar in Betten vor die Rathäuser zogen, um die Achtung ihrer Menschenrechte einzufordern. Dieser Aufgabe und der Förderung der Kommunikation in der Öffentlichkeit will sie sich auch nach dem Kurs weiter widmen.
Ob Migrationsforschung, Ökologische Medienarbeit oder Kulturmanagement — vage Ziele haben die TeilnehmerInnen schon im Kopf. Den Kurs möchten die Einzelnen auch für die Verfolgung der eigenen Ziele benutzen,
Statt „Ostzonensuppenwürfel machen Krebs“ besser: „Nahrungsmittel aus den FNL erfordern unsere besondere Aufmerksamkeit“
was durchaus zum Konzept der Ausbildungsleiterin gehört. „Man muß sich Gedanken machen, wie man etwas rüberbringt, damit es auch Wirkung zeigt“, meint Arno, der gelernte Deutschlehrer. „Vieles, was als Aufklärung bezeichnet wird, prallt einfach ab an denen, die aufgeklärt werden sollen.“
Das Gegenteil erfordert nicht zuletzt, auch das eigene Hirn besser zu verstehen. Den nächsten Unterrichtsblock leitete ein Neurophysiologe, auf dem Stundenplan stand der Aufbau des Gehirns und des psychischen Apparates. Julia Kossmann
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