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NVA-Offizier übernimmt Sozialarbeit in Bremen

■ Am Fachbereich Sozialwesen studiert ein NVA-Offizier als Härtefall, weil die Drogenhilfe einen Wachmann braucht

Der Fachbereich „Sozialarbeit und Sozialwesen“ der Hochschule Bremen ist ein begehrter Studienort: An die 600 BewerberInnen gab es dieses Jahr, nur 220 konnten aufgenommen werden. Der Numerus clausus (NC) liegt bei 1,9.

Nun sagt der Notendurchschnitt wenig über das soziale Engagement und die erforderliche Qualifikation eines Menschen. So ähnlich müssen die zuständigen Behörden gedacht haben, denn an der Schlange der jungen KandidatInnen vorbei zog ein Politoffizier der NVA auf einen der begehrten Studienplätze.

Wie das kam, weiß man im Fachbereich der Hochschule nicht und ist empört. „Der Senator für Wissenschaft, Bildung und Kunst hat diesem Herrn bescheinigt, daß seine Vorbildung an der Offiziershochschule Ernst Thälmann eine Zugangsberechtigung zur Hochschule ersetzt“, sagt Fachbereichssprecher Prof. Wolfgang Reichel spitz. „Ohne uns zu fragen“.

Was den Fachbereich besonders empört: Der NVA-Offizier, nennen wir ihn Krause, war vorher schon zur Hochschule gekommen und wollte direkt ins dritte Semester einrücken. Krause war nicht allein gekommen, sondern begleitet von einem Vertreter der Bremer Drogenhilfe. Die Drogenhilfe, in der Krause beschäftigt ist, hatte der Hochschule auch einen Brief geschickt mit der Anfrage, ob die Hochschule ihm nicht „zu einem Studium verhelfen könne“, erläutert Drogenhilfe-Geschäftsführer Martin Grotjahn. Fachbereichssprecher Reichel: „Ich habe es abgelehnt, seine Vorbildung als studienrelevant anzuerkennen.“ Anfang September drückte Krause aber mit ordentlicher Immatrikulation die Studienbank des Sozialarbeits-Fachbereiches.

Die Schulabteilung der Bremer Bildungsbehörde hatte sich mit der Frage befaßt. „Ein bissl suspekt“ war der Antrag der zuständigen Behördenvertreterin schon, deshalb vergewisserte sie sich vorher bei einer Gutachterstelle in Berlin (West). Ergebnis: Die Ausbildung an der NVA-Offiziersschule ersetzt einen westdeutschen Fachoberschul-Abschluß. Der Bremer Bildungssenator machte seinen Stempel darunter.

Mit diesem Stempel ging Krause dann zur Hochschule. Die stufte ihn als „Härtefall“ ein und gab ihm an der Warteschlange vorbei für dieses Wintersemester einen Studienplatz. Die Motive dieser Entscheidung unterliegen dem Datenschutz, einem Verwaltungsgericht würde der Prüfbericht nur dann vorgelegt, wenn ein abgelehnter Studienplatzbewerber klagt.

Öffentlich zugänglich sind nur die allgemeinen Richtlinien für „Fälle ungewöhnlicher Härte“. Bundessieger im Wettbewerb „Jugend forscht“ oder „Jugend musiziert“ werden auf diesem Weg vorgezogen, junge Menschen, die eine behinderte Person betreuen, Schwerstbehinderung des Bewerbers von 50 Prozent gilt als Härte oder etwa „Flucht aus der DDR“.

Der Kapitänleutnant Krause hat aber bis zuletzt NVA-Rekruten ideologisch geschult, geflüchtet ist er nicht. Er wurde zum guten Schluß der DDR zum 30.9.1990 aus der NVA entlassen. Welche Härte in seinem Fall vorliegt, ist das Geheimnis des Hochschul- Ausschusses.

Das Interesse der Drogenhilfe an Krause ist derweil klar: Sie suchte im November 1990 einen Mann, der nachts das „Drogenschiff“ betreut. Sozialarbeiterische Ambitionen stören eher bei dieser „niedrigschwelligen“ Aufgabe, Drogenabhängige kommen eben zum Schiff, drücken da und finden einen Schlafplatz. Der NVA-Offizier „strahlt Autorität aus“ und war deshalb „ein guter Mann dafür“, sagt Drohenhilfe- Geschäftsführer Grotjahn. Und um ihn langfristig für die Drogenhilfe vielseitiger verwendbar zu machen, sollte er eben Sozialarbeit studieren. „Er traut sich zu, das nebenbei zu machen.“ Deshalb hatte die Drogenhilfe Interesse daran, daß er trotz NC schnell einen Studienplaz bekommt. K.W.

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