Bomben gegen den Waffenstillstand

■ Gestern mittag sollten alle Kämpfe beendet sein. Doch Belgrads Luftwaffe machte weiter: mit Angriffen auf Zagreb und andere kroatische Städte.

Bomben gegen den Waffenstillstand Gestern mittag sollten alle Kämpfe beendet sein. Doch Belgrads Luftwaffe machte weiter: mit Angriffen auf Zagreb und andere kroatische Städte.

Um Punkt 12 Uhr mittags sollte gestern der mühsam ausgehandelte Waffenstillstand zwischen den Präsidenten Serbiens und Kroatiens sowie der Armeeführung in Kraft gesetzt werden. Doch schon kurz vor 12 Uhr heulten in Zagreb die Sirenen. Die Frage, ob der Waffenstillstand eine tatsächliche Chance hat, wurde für die kroatische Bevölkerung damit schon von vornherein beantwortet: keine. Zwar atmeten die Menschen wieder auf, als kurz nach 13 Uhr Entwarnung gegeben wurde. Doch eine Stunde später mußten schon wieder alle in die Keller. Dem Bunkersystem, das nach dem Einmarsch der Roten Armee in der Tschechoslowakei 1968 in Jugoslawien angelegt wurde, ist es wohl zu verdanken, daß bisher angesichts des brutalen Vorgehens der Armee verhältnismäßig wenig Tote zu beklagen sind.

Präsident Tudjman, dessen politisches Wohl und Wehe an der Einhaltung des Waffenstillstandes geknüpft ist, dürfte gestern ebenfalls einem Wechselbad der Gefühle ausgesetzt gewesen sein. Denn mit ernsten Worten hatte er nachts zuvor in einer eilig zusammengerufenen Pressekonferenz versucht, die kroatische Bevölkerung von dem Abkommen zu überzeugen. Zu viele Menschen seien in Kroatien jetzt schon gestorben. Zu viele Menschen würden weiterhin sterben müssen. Die schon jetzt erfolgten Zerstörungen seien unbeschreiblich groß und nur mit denen des Zweiten Weltkriegs zu vergleichen. Und: Wichtig sei, daß erstmals die Armeeführung in Gestalt des Verteidigungsministers Kadijevic dem Waffenstillstand zugestimmt habe. Immerhin würden nach diesem Agreement die unkontrollierbaren Freischärlergruppen entwaffnet, die jugoslawische Armee ziehe sich in die Kasernen zurück, und auch die kroatischen Milizionäre würden ihre Angriffe auf Armeeinstallationen und Kasernen am 18. September einstellen.

Zweifel am Sinn eines Waffenstillstands

Bisher ist nichts dergleichen erfolgt. Die Kämpfe haben an allen Fronten an Erbitterung zugenommen. Trotz des „diplomatischen Erfolges“ wachsen in Kroatien die Zweifel, ob solche unter EG-Ägide zustande gekommenen Treffen überhaupt noch einen politischen Sinn machen. Sie würden nur, so die gängige Meinung, die eigene Kampfbereitschaft schwächen. Der Hardliner Tudjman ist inzwischen in vielen Augen zu einem politischen Kompromißler geschrumpft, der zu leicht dem Gegner nachzugeben bereit ist. Die Schreckensmeldungen aus Vukovar, aus Osijek und von der dalmatinischen Küste halten an. Die andere Front der von Serben dominierten jugoslawischen Armee versucht mit wütenden Angriffen weiterhin, offensiv Fakten zu schaffen. Selbst in der Hafenstadt Rijeka wurde Bombenalarm gegeben.

In der Nacht zum Mittwoch hatten die ZagreberInnen die beruhigenden und hoffnungsvollen Worte ihres Präsidenten noch im Ohr, als die Alarmsirenen aufzuheulen begannen. Zagreb, die Stadt mit ihren rund 850.000 Einwohnern, mußte sich gänzlich verhüllen. Es ist schon ein seltsames Gefühl, in einer Großstadt zu sein, in der jegliche Bewegung erstirbt, die Dunkelheit vollkommen ist und sich eine Stille einstellt, die niemanden zu beruhigen vermag.

Als dann zwei Düsenflugzeuge der jugoslawischen Luftwaffe sich am Himmel zeigten, wurde es lebendig: Die kroatische Luftabwehr sandte den Angreifern ihre Leuchtgeschosse entgegen. Erfolglos, wie sich gestern morgen herausstellte: Eine Textilfabrik der Firma DTR ist in Flammen aufgegangen, getroffen wurden auch die Schule für grafische Kunst und einige Wohngebäude.

War bisher der Krieg im südlichen Kroatien den ZagreberInnen zwar durch Fernsehen und Radio gegenwärtig gewesen, so ist die konkrete Konfrontation mit dem Schrecken in der Stadt selbst ein eingreifendes Erlebnis, das bisherige politische Konstellationen verändern kann. Die Menschen sind hypernervös geworden, auf den Straßen patrouillieren nicht nur die regulären Einheiten der kroatischen Nationalgarde, zunehmend „sichern“ auch bewaffnete Zivilisten die Gebäude. Wer es unternimmt, in der verdunkelten Nacht noch das Hotel erreichen zu wollen, muß sich Kontrollen hypernervöser und mit den Maschinenpistolen herumfuchtelnder Milizionäre stellen. Denn der „Feind“ steht noch immer inmitten der Stadt. Es sei ein leichtes, aus den Kasernen der jugoslawischen Volksarmee, die seit Sonntag von den kroatischen Einheiten umstellt und zum Teil auch eingenommen wurden, also in dem ganzen Tohuwabohu Terrortrupps in die Stadt zu entsenden, verteidigen Offizielle diese Patrouillen. Auch aus den Kasernen selbst wird immer noch geschossen, die zerstörten Apartmenthäuser gehen auf das Konto der Soldaten der nahegelegenen Marschall-Tito-Kaserne.

Der Krieg ist Zagreb näher gerückt. In Nova Gradigska, das gerade zehn Kilometer südlich von Zagreb und in der Nähe des Flughafens liegt, haben Bombenangriffe die beiden dazugehörenden Dörfer Novi Varos und Kosovac zerstört, fünfzig Tote und Verwundete gab es, ein holländischer Journalist fand dort ebenfalls den Tod. In Sisak dagegen, einem Städtchen fünfzig Kilometer von Zagreb entfernt, ist man die Sandsäcke vor dem Fenster schon länger gewohnt. Hier finden täglich Pressekonferenzen mit den örtlichen Kommandeuren statt, da die Front kaum zehn Kilometer südlich der Stadt verläuft. „Es handelt sich schon lange nicht mehr um einen Konflikt zwischen Serben und Kroaten, was hier abläuft, ist ein Vernichtungsfeldzug gegen uns, es ist ein reiner Eroberungskrieg der Armee und der serbischen Verbände“, erklärt ein Hauptmann. Er spielt damit auf Berichte an, denen zufolge für die serbischen Einheiten kroatische Kirchen und Museen zu Hauptangriffszielen erklärt wurden, wunderschöne Kathedralen in Osijek und an der dalmatinischen Küste seien schon zerstört.

Versöhnungspolitik Tudjmans in Frage gestellt

„Sie wollen die kroatische Kultur vernichten und die eroberten Gebiete von allen Anzeichen kroatischer Kultur reinigen.“ Der Präsident des Krisenkomitees von Sisak, Ivan Bobeto, will seiner Stadt dieses Schicksal ersparen. „Wir haben hier nicht den Fehler gemacht, wie die kroatische Verteidigung anderswo, uns unvorbereitet unserem Schicksal ergeben zu müssen. Unsere Einheiten hatten sich schon vor Wochen rund um die Stadt eingegraben.“ Mit Genugtuung reagiert er auf die Nachrichten von den kroatischen Angriffen auf die Armeekasernen in kroatisch kontrolliertem Gebiet. In Osijek wurden am Montag und Dienstag die Kasernen der jugoslawischen Armee im Stadtgebiet eingenommen, einige Artilleriebatterien seien vernichtet und einige Panzer erobert worden. Waffen und Munition fiel auch in Vukovar, in Ploce und in Zagreb selbst in die Hände der kroatischen Verbände, wenngleich es in der Hauptstadt nicht gelang, die gesamte militärische Infrastruktur aus den Händen der jugoslawischen Volksarmee zu übernehmen.

So ist der Waffenstillstand selbst in Kroatien nicht mehr so leicht durchzusetzen. Die Nationalgardisten, die sich langsam auch militärisch in der Lage fühlen, dem überlegenen Gegner standzuhalten, werden nicht leicht von einer Entwaffnung und Demobilisierung ihrer Reserveeinheiten zu überzeugen sein.

Von der Front her wird die Versöhnungspolitik Präsident Tudjmanns besonders in Frage gestellt. Darüber hinaus zeigen die Bombenangriffe, die Offensive der Luftwaffe in der Nacht zu Mittwoch an, daß der Waffenstillstand nicht von allen Truppenteilen der jugoslawischen Armee mitgetragen wird, auch wenn sich Verteidigungsminister Kadijevic daran halten will. Und Milosevic, der serbische Präsident, wird es schwer haben, den Widerstand der Cetniks und anderer Freischärlerverbände wie die Milizen in Knin und jene der vielen selbsternannten Comandantes zu brechen, die sich an der Front im Erfolgsrausch fühlen. „Der Waffenstillstand ist so nichts wert, ich fürchte, wir sehen uns einem langen Krieg gegenüber“, sagt resignierend ein älterer Herr im Luftschutzkeller. Erich Rathfelder, Zagreb