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V-Mann spitzelte auch in Grünen-Veranstaltung

■ Martin Thomas zog Bilanz seiner vierjährigen Tätigkeit in der parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes

Zur Kontrolle des Verfassungsschutzes gibt es die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) der Bürgerschaft, die routinemäßig einmal im Vierteljahr zusammentritt. Bremen war das erste Bundesland, das einem Grünen Zutritt zu dieser Kommission gewährt hat. Martin Thomas, derzeit auch grüner Fraktionsvorsitzender, gab gestern Rechenschaft über seine vierjährigen Blicke durch das Schlüsselloch des Geheimdienstes.

„Mehr Kontrollversuch als Kontrolle“ sei das, was die PKK leiste, meinte Thomas. In Bremen sitzen wie üblich die Fraktionsvorsitzenden selbst in dieser Kommission, um die exklusive Quelle über extremistische Gegner zu nutzen. Diese vielbeschäftigten Politiker aber, so Thomas, haben kaum Zeit, und so war in der Vergangenheit die parlamentarische Verfassungsschutz-Kontrolle oft mit 15 Minuten im Vierteljahr abgehakt. Einziges Mittel gegen das Desinteresse an der Kontrolle: Die Sitzungen der PKK müßten öffentlich sein, wie das in Berlin auch unter der großen Koalition praktiziert werde.

Der Bremer VS-Chef Walter Wilhelm hat einmal gegenüber der taz berichtet, daß der Grüne der „fleißigste Kontrolleur“ seines Amtes sei. Thomas hat zu Beginn seiner Tätigkeit kritisiert, daß die generelle Überlassung der Monatsberichte des VS an die Geheimdienste der Alliierten (Großbritannien, Holland und USA) gegen bundesdeutschen Datenschutz verstößt. Die PKK beschloß einstimmig, daß diese generelle Nachrichtenüberlassung einzustellen sei.

Gescheitert ist Thomas nach seinen eigenen Angaben aber bei dem Versuch, sich Einblick in die Arbeit der V-Leute zu verschaffen. „Unter 30“ seien in Bremen im Einsatz, erklärte VS-Chef Wilhelm gegenüber der taz, und es gebe da auch gegenüber der PKK „kein Geheimnis“. Thomas verlangte aber vergebens Einsicht in ihre Berichte.

Bremens VS-Chef Wilhelm: „Unter 30 V-Leute in Bremen im Einsatz“

Er ist allerdings dennoch über andere Quellen in den Besitz einiger V-Mann-Berichte gelangt. Im September 1986 etwa hatte es eine öffentliche Diskussionsveranstaltung im CVJM-Haus in der Birkenstraße über das Mitglied der „Bewegung 2. Juni“, Ilse Schwipper, gegeben. Für 500 Mark ließ sich der VS einen präzisen, mehrseitigen Bericht anfertigen — „ein sehr intelligenter V-Mann“ müsse das gewesen sein, sagt Thomas. Er weiß, wovon er spricht: Die Grünen waren Mitveranstalter, „natürlich war ich selbst auf dieser Veranstaltung“.

Über Sinn und Zweck dieses Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel besteht für Thomas kein Zweifel: „Dort hat ein V-Mann nichts zu suchen“, und: „Diese Berichte sind schlicht überflüssig.“ Während es für das Abhören eines Telefons strenge gesetzliche Vorschriften gibt — die PKK kann im Einzelfall sogar deren „Unzulässigkeit“ beschließen — gibt es aber für den Einsatz von V-Leuten keine detaillierte Rechtsgrundlage. Thomas ist da strikt: „Abschalten“ aller V-Leute ist seine Forderung.

Ohne linksextremistisches Feindbild befinde sich der Verfassungsschutz nach dem Umbruch in Osteuropa insgesamt in einer Legitimationskrise, erklärte Thomas. Grundsätzlich sei ein Verfassungsschutz „mit einer liberalen Demokratie unvereinbar“ und deshalb aufzulösen. Die alltägliche Arbeit des Verfassungsschutzes bezeichnete Thomas den „ganz gewöhnlichen Skandal“. Weder vom Rechts- noch vom Linksextremismus gehe eine Gefährdung der bundesdeutschen Demokratie aus, extremistischen Ansichten müsse mit politischen Argumenten begegnet werden und nicht mit „staatlicher Verfolgung und Bespitzelung“.

Solange es aber für die nur bundesweit mögliche Abschaffung des VS keine Mehrheit gebe, soll Bremen die Stellen (51) um die Hälfte abbauen, fordert Thomas.

VS-Chef Wilhelm bestätigte gegenüber der taz, daß im linksextremistischen Bereich das Betätigungsfeld des VS heftig geschrumpft ist. Die Reste der DKP würden nur noch „minimal“ beobachtet, bei der Marxistischen Gruppe (MG) werde die Beobachtung eingestellt, „wenn wir überzeugt sind, daß es sie nicht mehr gibt“. Ein terroristisches Umfeld gebe es „so gut wie nicht“ in Bremen, der wichtigste Grund dafür: Es gibt es Bremen keine Gefängnisse, in denen inhaftierte Terroristen sitzen.

DKP nur noch „minimal“ unter Beobachtung, MG bis zur sicheren Auflösung

Forderungen nach weiterem Stellenabbau hört der Amtschef allerdings nicht gern. Bisher habe der VS schon 30 Prozent „abgespeckt“, von 72 sei man auf einen Stand von 56 herunter, Zielzahl sei 51. VS-Chef Wilhelm meint, vor weiteren Kürzungen müsse man dann erst einmal sichten, was im rechtsextremen und im Ausländerbereich an Arbeit erforderlich sei.

Die Forderung nach Auflösung des Verfassungsschutzes werfe die staatsrechtliche Frage auf, ob dann die Polizei selbst die Tätigkeit übernehmen soll. Seit dem Nationalsozialismus gilt in Deutschland der Grundsatz der Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten. K.W.

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