: Gedanklicher Austausch mit dem Iran
■ Der Direktor der Frankfurter Buchmesse zur Teilnahme iranischer Verlage 1991
Vor zwei Jahren, zur Eröffnung der Buchmesse 1989, sprach der Direktor Peter Weidhaas klare Worte: „Im Namen der hier in Frankfurt versammelten weltweiten Gemeinschaft von Verlegern fordere ich den Präsidenten der Islamischen Republik Iran, Ayatollah Rafsandschani, auf, den Mordaufruf gegen Salman Rushdie, die Verleger und Verkäufer seines Buches zurückzunehmen. Wir würden den Iran gern auf der 42. Frankfurter Buchmesse wieder begrüßen, aber ich muß klarstellen, daß dieses Land nicht teilnehmen kann, solange diese Drohung nicht aufgehoben ist.“
An der 42. Buchmesse nahm der Iran nicht teil, aber dieses Jahr wird er wieder dabei sein — vertreten nicht, wie Weidhaas betont — durch „Staatsverlage“, sondern nur durch private. Die Morddrohung ist wiederholt worden, das „Kopfgeld“, das auf Rushdie ausgesetzt ist, wurde auf 4,5 Millionen erhöht. Der japanische Übersetzer der „Satanischen Verse“, Hitoshi Igarashi, ist im Juli in Tokio erstochen worden. Der italienische Übersetzer Ettore Capriano ist, ebenfalls Anfang Juli, in Mailand niedergestochen worden.
taz: Herr Weidhaas, Günter Grass und sein Verlag Steidl werden die Messe dieses Jahr boykottieren, weil Sie den Iran-Boykott der Frankfurter Buchmesse aufgehoben haben. Wie begründen Sie ihre Entscheidung?
Peter Weidhaas: Wir sind 1989 über unseren Schatten gesprungen, als wir den Iran ausgeschlossen haben. Wir haben das aber aufgrund dieses eklatanten Falles so entschieden und auf der Buchmesse auch öffentliche Diskussionen über den Fall Rushdie organisiert. Ich bin sogar selbst nach Teheran gefahren und habe mit den Verantwortlichen dort diskutiert — fünf Stunden lang, auch mit dem Minister für Kultur und Islamische Führung. Wir wollten den Iran dazu bringen, daß er sich als Staat — denn man hat mich davon überzeugt, daß dieses religiöse Urteil nicht auflösbar ist, das ist so eine islamische Eigenart, die können davon nicht abgehen — von der Fatwa distanziert. Wir sind auf diesem Wege natürlich noch nicht zu einem endgültigen Ergebnis gekommen, aber zum ersten Mal hat mir auch der iranische Botschafter schriftlich bestätigt, daß sie das Völkerrecht anerkennen, daß sie die Nichteinmischung respektieren.
Der Mordaufruf ist wiederholt worden, das Kopfgeld wurde erhöht, ein Übersetzer ist ermordet, ein anderer niedergestochen worden. Was bringt es Ihnen denn dann, wenn der iranische Botschafter Ihnen schriftlich gibt, daß er das Völkerrecht respektiert?
Ja, dann muß man ihn eben beim Worte nehmen.
Und warum tun Sie das nicht?
Die Entscheidung, den Iran zuzulassen, ist im Februar gefällt worden, also vor den erneuten Anschlägen.
Aber gerade dann wäre es doch ein Leichtes, Ihre Zusage zurückzuziehen.
Ja, wenn man der Ansicht ist, daß ein Boykott irgend etwas bringt, dann haben Sie recht. Aber wir haben doch auch bei den KSZE-Konferenzen mit den osteuropäischen Ländern gesehen, daß der free flow of books und Gedanken, die in solche Staaten hineinkommen, auch eine Wirkung haben.
Vor zwei Jahren und noch letztes Jahr waren Sie aber der Ansicht, ein Boykott wäre wirksam. Und jetzt lassen Sie den Iran wieder zu, obwohl das Kopfgeld erhöht wurde.
Aber das hat ja nicht der Staat gemacht. Das war eine Organisation, die heißt „Der fünfte Khordad“, die nicht staatlich ist.
Ich habe mich allerdings davon überzeugen lassen, daß es zu den iranischen Eigenheiten gehört, daß die staatliche und die religiöse Führung identisch sind ... Was hat Sie also dazu gebracht, Ihre Haltung zu ändern?
Meine Haltung hat sich nicht geändert. Wir sind nur zu dieser Politik des free flow zurückgekehrt, weil wir davon überzeugt sind, daß sich durch den Boykott nichts ändert.
Aber die Aufhebung des Boykotts ändert doch auch nichts.
Ich kann Ihnen auch keine großen Lösungen vorgeben. Ein Boykott muß in der großen Politik passieren, in der Wirtschaftspolitik.
Daß Thyssen sich für Rushdie einsetzt, ist wohl nicht zu erwarten. Sie sind doch vor zwei Jahren über Ihren Schatten gesprungen, weil bei einem Mordaufruf gegen einen Schriftsteller gerade Buchhandel und Verlage gefordert sind.
Wir haben damals geglaubt, daß wir uns solidarisch erklären müssen und haben ja auch, das hat uns Rushdie bestätigt, dadurch einiges bewirkt; ich weiß nicht, in welche Richtung, aber jedenfalls ist die Diskussion damals wichtig gewesen. Heute sind wir der Ansicht, daß man eine Politik der Verständigung herbeiführen muß. Denn der Boykott hat doch überhaupt nichts geändert. Was ist denn eine kleine Frankfurter Buchmesse?
Die kleine Frankfurter Buchmesse ist die größte der Welt. Sie rechnen also damit, daß es zu fruchtbaren Diskussionen kommt?
Sicherlich. Das ist auch angebracht.
Haben Sie denn erwogen, daß man iranischen Oppositionellen und Schriftstellern, die im Exil leben und schreiben, auf Kosten der Messe Möglichkeiten geben könnte, an diesen Diskussionen teilzunehmen? Zum Beispiel, in denen man ihnen den freigewordenen Stand des Steidl Verlages anbietet ...?
Bis jetzt haben wir noch nicht darüber nachgedacht. Aber warum nicht? Das wäre eine Möglichkeit. Ich darf Sie vielleicht auch darauf hinweisen, daß ich eine Organisation aufgebaut habe, die seit elf Jahren nichts anderes macht, als Literatur aus Asien, Afrika und Lateinamerika hier in die Verlage zu vermitteln. Wir sind auf diesem Gebiet seit Jahrzehnten sehr engagiert.
Der iranische Minister für Kultur und Islamische Führung war ja letzte Woche in Deutschland. Haben Sie denn noch Nachverhandlungen geführt?
Nein, wir sind gar nicht ins Gespräch gekommen, der Minister war ja wegen anderer Sachen hier.
Unter anderem, um in Düsseldorf ein Kulturfestival zu eröffnen. Wenn es Ihnen um Diskussionen geht, hätte man ihn ja zu einer Debatte in Frankfurt einladen können.
Im Mai bin ich in Teheran gewesen, um genau das zu tun. Aber leider war das ergebnislos.
Sie haben ohne jede Bedingung die iranischen Verlage zugelassen, welche die iranische Zensur passiert haben, aber nicht dafür gesorgt, daß oppositionelle Stimmen in Frankfurt Gehör finden.
Wissen Sie, wir sind hier nicht immer eine moralische Veranstaltung.
Aber Sie vergeben unter anderem einen „Friedenspreis des deutschen Buchhandels“ — als moralische Veranstaltung.
Ja, ja. Für Sie ist das sehr leicht, solche Dinge in Frage zu stellen.
Es wäre einfacher, wenn Sie begründen könnten, warum sich Ihre Haltung geändert hat. Was würde denn passieren, wenn Sie bei dem Boykott blieben?
Dann würde sicher nichts passieren. Wir haben aber einem anderen Prinzip den Vorrang gegeben, nämlich dem des gedanklichen Austausches mit dem Iran. Wir haben auch daran gedacht, daß deutsche Verlage in Teheran an der Buchmesse teilnehmen. Es gibt kein Land, in dem Deutschland sich sprachlich und kulturpolitisch so engagiert hat; es gab dort die erste deutsche Universitätsgründung im Ausland. Die Leute, mit denen wir im Iran gesprochen haben, haben gesagt, „uns interessiert dieser Rushdie überhaupt nicht. Wir bedauern natürlich, daß das in der Welt ist, aber Ihr habt uns hier ausgebildet, und nun laßt ihr uns hier hängen, wir sind abgeschnitten vom Weltgeschehen.“ Das sind Aspekte, die wir dabei berücksichtigt haben.
Es ist ja nicht auszuschließen, daß die Position von Günter Grass und dem Steidl Verlag auch von anderen Verlagen und Autoren eingenommen wird. Können Sie sich vorstellen, unter Umständen von Ihrer Haltung abzugehen, wenn der öffentliche Druck zunimmt?
Wir sind eine Veranstaltung, die in der Öffentlichkeit arbeitet und müssen die Dinge immer wieder überprüfen.
Das Gespräch führte
Elke Schmitter
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