: »Ich bin schon ein sehr kitschiges Teil«
■ Marc Brandenburg — Zwischen hartem Kitsch und Frottee-Sado/ Ein Hätschelkind der Szene, das jeder kannte und niedlich fand
Was auf den ersten Blick wie ein Kinderzimmer aussieht, ist das Schlafzimmer von Marc Brandenburg. Erdbeer-Tapete, Comic-Bilder, eine Stoff-Krone und ausgesuchter Nippes — die Auswahl kommt nicht von ungefähr: Wer Marc kennt, weiß, daß diese kindliche Ader einen nicht unbeträchtlichen Teil seines Charmes und seiner Arbeit ausmacht. Selbst als Türsteher des »Dschungels«, der unliebsamen Gästen den Zutritt verwehrte, machte er stets den Eindruck, als wolle er mit bestimmten Leuten nicht spielen.
Marc, dessen Mutter mit einem Amerikaner verheiratet war, kam als Siebenjähriger nach Berlin und sprach zu diesem Zeitpunkt kein Wort deutsch. Schon als 14jähriger tollte er mit blondgefärbten Rasta- Locken durch das Berliner Nachtleben — ein Hätschelkind der Szene, das jeder kannte und niedlich fand. Von daher lag es nahe, sich Jobs in diesem Bereich zu suchen, und so gab es kaum einen angesagten Club, in dem Marc nicht auch gearbeitet hätte. Parallel dazu begann er, Mode zu entwerfen.
Mit 25 blickt Marc auf eine Fülle unterschiedlicher Aktivitäten zurück. Aufgefordert, seine Karriere retrospektiv zu beschreiben, bringt er einen ganzen Schwung von Videos, Zeitschriften und Fotos herbei, die dokumentieren, daß er sich nicht nur auf einem künstlerischen Gebiet zu Hause fühlt. Er spielte in Filmen und Videos, trat mit der Gruppe »Hongkong Syndikat« auf und führt ein Band vor, das ihn an der Seite von Prinzessin Stephanie von Monaco zeigt: »Das war bei Top the Pops. Ich trat da mit Falco auf. Meine erste Modenschau hatte ich mit Claudia Skoda und Plez 1985 im ‘Heaven‚ in London, dann kam 1986 die Berliner Durchreise, der ‘Tunnel‚ in New York, wieder Berlin und dann eine Kunstpelz-Schau bei Scheederbauer.« Marc kommmentiert seine Designer-Karriere im Schnelldurchlauf. »Und dann kam '88 die Modenschau im ‘Dschungel‚.«
Der Abend war nicht nur in modischer Hinsicht ein Ereignis: »Tout Berlin« drängte sich im Dschungel, wo Marc in einer Märchen-Dekoration Engel, Teufel und Vamps in Samt, Kunstpelz und englischem Karo über den Laufsteg schickte. Fast alle Teile wurden verkauft: »Aber wenn man als Modedesigner richtig kommerziell sein will, muß man auf Stückzahl arbeiten. Ich habe immer nur Einzelteile gemacht. Mich interessiert bei einem Kleid die Idee und nicht die Vervielfältigung. Man malt ja auch kein Bild zweimal.« Dem Erfolg folgte eine Phase der Depression und Orientierungslosigkeit. Marc: »Ich kündigte im ‘Dschungel‚, mein Freund hatte mich verlassen, und ich gab mein ganzes Geld aus. Ich wußte nicht, was ich machen sollte und begann zu malen, weil ich pleite war. Sechs Wochen später hatte ich meine erste Ausstellung, alle Bilder wurden verkauft.«
Was bei der Perfektion seiner photorealistischen Darstellung überrascht, ist, daß Marc Autodidakt ist. »Ich habe zwar immer viel gezeichnet, aber das meiste habe ich mir in den letzten Jahren selbst angeeignet.« Bei seiner Technik mit Ölkreiden und Pastell blieb Marc auch bei der zweiten Ausstellung, den »Legendären Gutenachbildern«, in der er erotische Märchenbilder zeigte. Nackte Jünglinge tummeln sich in Riesenblumen, und mit Glimmer verzierte Erdbeeren oder Harfen bilden den Rahmen für Momentaufnahmen einer surrealen Phantasiewelt. »Ich bin schon ein sehr kitschiges Teil«, räumt Marc ein, der ein Chanel-Monokel trägt. »Aber ich denke, meine Sachen sind schon etwas anders. Ich würde sie als ‘Harten Kitsch‚ bezeichnen.«
Ganz harter Kitsch wird zweifellos eines seiner nächsten Projekte: Sado/Maso-Mode in Frottee. Begeistert schwärmt Marc von Handschellen aus Goldlamé, Geschirren in Blütenstoffen, Domina-Outfits in pastelligem Flausch und zeigt einen einschlägigen Katalog, in dem Suspensorien für den ganzen Mann und Gummilaken für feuchte, fettige und ölige Spiele angepriesen werden.
Bis es soweit ist, werden sich etwaige Interessenten allerdings gedulden müssen. Derzeit arbeitet Marc an einem Gemeinschaftsprojekt mit der Künstlerin und Schauspielerin Tabea Blumenschein und an den Vorbereitungen für eine Ausstellung, die im Herbst in Paris gezeigt wird.
Brothers in Braids ist der Titel einer Reihe von Portraits von Schwarzen vor grellfarbigen Hintergründen, die schon allein durch die Menge überwältigen. Ausgeschnittene Hände kommentieren die Bilder in Taubstummensprache. Ihnen gegenübergestellt wird eine Collage aus blonden Haaren. Wieder harter Kitsch? »Ich habe mir schon was dabei gedacht. Ich finde, das Klima in Berlin ist seit der Maueröffnung härter geworden, und es kommt plötzlich vor, daß man wegen seiner Hautfarbe angepöbelt wird. Deshalb habe ich anonyme Leute von der Straße gezeichnet. Es hat auch etwas mit meiner eigenen Person zu tun. Schließlich stehe ich selbst irgendwo zwischen den Rassen.« Martin Schacht
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