piwik no script img

Ohne Dach über'n Kopf: Das Letzte

■ »Keener is' auf der Parkbank jeboren worden«/ Obdachlose planen Selbsthilfe bundesweit

Buckow. Sie schleppen ihre Habseligkeiten in Plastiktüten herum und schlafen in U-Bahn-Eingängen. Manchmal auch in billigen Pensionen. Zu dritt, zu fünft, zu zehnt. Die Käsestulle am Morgen gibt es in der nächsten Wärmestube. Ein weiterer Tag auf der Straße liegt vor ihnen. Gemeinhin werden sie »PennerInnen« genannt. Im alten Bundesgebiet leben derzeit mindestens eine Viertelmillion Obdachlose.

Fünfundzwanzig von ihnen erging es vergangene Woche in Buckow besser. In der idyllischen Sommerfrische Märkische Schweiz, 60 Kilometer östlich von Berlin, trafen sich fünf Frauen und 20 Männer aus dreizehn westdeutschen Städten zu einem bundesweit bisher einmaligen Projekt. Fernab vom Großstadtmüll, inmitten einer hügeligen Landschaft mit verblüffend klaren Seen und zumindest optisch noch intakten Wäldern, tauschten die Betroffenen fünf Tage lang Erfahrungen aus, diskutierten sie Möglichkeiten der Selbstorganisation und des politischen Handelns.

»Die Idee, ein Seminar von und mit Obdachlosen zu initieren«, so der Berliner Sozialarbeiter Karlheinz Kramer von der Tagesstätte Seeling- Treff, »entstand aus der Erfahrung, daß alterprobte Formen der Wohnraumbeschaffung immer öfter scheitern und somit neue Strategien entwickelt werden müssen.« Die Hausbesetzungen Berliner Wohnungsloser in den beiden vergangenen Wintern hätten erwiesen, daß Eigeninitiative zum Erfolg führen könne.

Der kleine Sitzungssaal im Gasthof »Wilhelmshöhe« zeugt von schweißtreibendem Brainstorming: Wände tapeziert mit Zetteln, auf denen in wilder Reihenfolge Ängste, Forderungen und Utopien formuliert sind. Die Betroffenen wünschen sich kostenlose Schlafsäcken, Zelte und Kochgeschirr sowie das Recht auf Mitgestaltung von Tagesräumen und Wärmestuben.

Sie fordern eine Systemveränderung bei Sozialhilfeleistungen und die Verankerung eines einklagbaren Rechtes auf Wohnraum im Grundgesetz. Notwendig sei die Instandsetzung leerstehender Häuser und die Forcierung des sozialen Wohnungsbaus mit Belegungsrecht durch die Kommunen.

»Jeder Arsch in diesem unseren Lande hat eine Lobby, nur wir nicht«, umschreibt ein vollbärtiger Münchner das größte Hindernis bei der Durchsetzung dieser Forderungen. Die Teilnehmer der Tagung seien jedoch fest entschlossen, in ihren Heimatstädten lokale Selbsthilfevereine zu gründen. Längerfristig sei ein Zusammenschluß auf Bundesebene geplant. Die Aufgaben dieser Interessenvertretungen sollen sich auf Betreuung bei Behördengängen und Krankheit, Geld- und Sachzuwendungen in akuten Notfällen sowie Bezuschussung von Bildungsmaßnahmen und Freizeitgestaltung erstrecken.

Der Aufbau einer derartigen Organisation kostet Geld. Als Finanzquellen sollen Kirchengemeinden, Bezirksämter, Parteien und Personen des öffentlichen Lebens angeschrieben werden. Um die Bereitwilligkeit zu materieller Unterstützung zu fördern, planen die Wohnungslosen eine rege Öffentlichkeitsarbeit. Neben Presseterminen und Demonstrationen sind auch Straßentheaterprojekte geplant. mat

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen