: Billige Bildbeschaffungsmethode
■ „LocoMotion“, 21.9., 20.15 Uhr, N3
Wer am Samstag abend dem Fernseher nicht entkam, der konnte achtzig Minuten lang mit Alfred Behrens und Michael Kuball Zug fahren. Kreuz und quer waren die beiden Regisseure von einer Videokamera begleitet durch Europa gekurvt.
Immerhin ein Experimentalfilm, und das zur besten Sendezeit. Strecken und Stationen; die Wirklichkeit, ob sie nun französisch, spanisch oder schweizerisch daherkam, glitt vorbei. Durch die erhabene Bergwelt begleitete uns Vivaldi, wenn ich nicht irre, was an einen Pausenfilm erinnerte.
Wenn der Zug stand, stand auch das Bild. Doch Ruhe kehrte nicht ein. Viel zu kurz waren die Momente, in denen sich die Kamera umsah, den Menschen auf den Bahnsteigen folgte oder in der Gepäckaufbewahrung verschnaufte. Daß Reisen den Reisenden auch in einen Zustand absoluter Entspannung versetzt, daß das immerzu bewegte Bild im Auge des Reisenden irgendwann zum Stillstand kommt, schien Behrens und Kuball keine Bilder wert zu sein. Mit ihrer billigen Bildbeschaffungsmethode namens Video hetzten sie immer weiter und verloren sich in der Endlosigkeit ihres Mediums. Die Bewegung des Zuges als die Bewegung eines Ortes wurde dadurch allerdings nicht erfahrbar.
Dafür gab der Kommentator Bedeutungsvolles immer an den Stellen von sich, wo es am überflüssigsten war. „Verfallene, stillgelegte Bahnhöfe sind Orte der Vergangenheit“, erfuhren wir auf diesem Wege. Statt Bahnhöfe hätte es auch Städte, Autos oder Hundehütten heißen können.
Nichts war inszeniert, und trotzdem ist LocoMotion kein Dokument. Behrens und Kuball zeigen viel, belegen aber nichts.
Eingeklemmt in den Rahmen der Institution Fernsehbildschirm wurde ihr Film zu einem etwas zu lang geratenen formalen Mätzchen, das schöne Momente nur in der Abstraktion fand. Dann, wenn die Spiegelungen der Außenwelt sich in den Fensterscheiben des Zuges mit der Geschwindigkeit multiplizierten und jede Erinnerung an vorbeiziehende Landschaften auslöschten.
Behrens und Kuball sind Regisseure, doch vielleicht wären sie lieber Lokführer geworden. Jetzt sammeln sie Bilder ohne jede erzählerische Absicht. „Wir sind unterwegs, um zu sehen und zu hören“, ließen sie den Kommentator sagen.
So wurde man sitzenderweise Zeuge einer Materialschlacht, aus O-Tönen und Kamerafahrten, die um sich selber kreiste. Denn LocoMotion ist kein Film über das Reisen, sondern über Leute, die beim Reisen zusehen. Das erinnert, wie gesagt, an einen Pausenfilm. Schade! Christa Thelen
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