: Ihr Logo auf T-shirts und Taxen
Die Kölner Saxophon Mafia, ein Ensemble ohne Tabus, wird zehn Jahre alt ■ Von Michael Rüsenberg
Jeder kennt die Kölner Saxophon Mafia, aber keiner kennt Wollie Kaiser, Gerhard Veeck, Dirk Raulf. Oder Joachim Ullrich. Und Roger Hanschel. Von dieser Schwierigkeit spricht auch die Band: „Es ist absurd, daß man schon zu fünft in der Anonymität verschwinden kann.“ Tauchen sie allein auf, ohne die Mafia, sind sie auf dem Markt der Projekte immer noch Fremde. Ein Effekt, der auch aus der Klassik vertraut ist; wer hätte spontan etwa den Cellisten des weltberühmten Alban Berg Streichquartetts parat?
Dabei ist, welche Überraschung, auch das reine Saxophon-Ensemble im Jazz eine europäische Erfindung! 1968 tasteten SOS — John Surman, Mike Osborne, Alan Skidmore — in einem britischen Studio vorsichtig die ersten Schritte in eine Gattung, deren Entwicklung zu jazzhistorischer Bedeutung später in den USA geschah. Saxophon ohne Rhythmusgruppe: dieser Pfad öffnet sich vollständig 1976 in New York, durch Gründung des World Saxophone Quartet, und 1977 in San Francisco, durch Rova. Konzeptionell repräsentieren diese beiden Saxophonquartette bis heute die Pole, die zwischen sich eine Menge Gestaltungsraum lassen: das World Saxophone Quartet, fundiert in der afro-amerikanischen Tradition, und Rova, an der Schwelle zur amerikanischen new music.
Im Herbst 1981 freilich waren sie weder Muster noch Vorbild, ja nicht einmal allen den sechs Saxophonisten bekannt, die sich damals zur Kölner Saxophon Mafia zusammengeschlossen hatten. Waren diese anfangs nach dem bescheidenen Motto angetreten: „Wir wollen jetzt mal zeigen, daß man einen Swing auch ohne Schlagzeug spielen kann — und es swingt trotzdem!“, und hatten dabei die Rhythmusfunktion vorwiegend an die tiefen Instrumente delegiert, so sind sie lange schon zu kollektivem Time-Spiel avanciert: Rhythmus- und Melodieführung, Solist und Begleiter, werden nicht mehr als separate Rollen aufgefaßt, sondern als Aufgaben, die wechselnd jeder einzelne übernimmt.
Um diesen fließenden Austausch zu organisieren, würden Intuition & Spontanität, die Lieblingsmythen der Jazzmusiker, nicht hinreichen. Daß zeitgenössischer Jazz auch, aber nicht nur Improvisation ist, ja daß die Jazz-Entwicklung ohne das Prinzip „Komposition“ längst versandet wäre — es läßt sich der Musik der Kölner Saxophon Mafia ablauschen: Jazzpraxis & europäisches Formbewußtsein sind nämlich ihre tragenden Säulen.
Daraus ziehen die Musiker ihre Legitimation. Und daraus speist sich auch die Koketterie, mit der sie der Frage, ob sie denn noch „Jazz“ spielen, begegnen. „Als wir mit der Mafia angefangen haben“, hört man z.B. von Joachim Ullrich, „da fühlten wir uns alle noch als Jazzmusiker. Doch nach und nach hat sich wohl für jeden Musiker hier herausgestellt, daß Jazz nur noch ein historisches Phänomen ist.“
Im Grunde haben sie sich auch falsch getauft. Zwar bedienen sie vom Sopranino- bis hinunter zum Baß-Saxophon (fast) alle Varianten der Erfindung von Adolphe Sax, korrekter aber wäre „Holzbläser Mafia“, weil sie bald ebenso häufig Flöten und Klarinetten, bis zur Subkontrabaßklarinette, spielen. Und der charakteristische Sound der Kölner Saxophon Mafia ist ein Mischklang dieser Instrumentenfamilien.
Trotzdem bleibt die Kölner Saxophon Mafia eine Jazz-Gruppe — auch wenn sie vor der Cordhosen- Fraktion flieht, auch wenn sie keine Standards spielt (und wenn, als Zugabe, in herrlich falschem Satz), auch wenn sie jüngst ihr Logo auf T- Shirts und Taxi-Türen durch die Menge bewegen läßt. Denn wo fände man eine musikalische und handwerkliche Mobilität, die erlauben würde, auch mit afrikanischen Trommlern zu spielen, mit einem Streichquartett, mit einem schwulen Männerchor, einem Karnevalsjecken, einem Computermusiker, einer Kammersängerin, mit Jaki Liebezeit, Arno Steffen, Lydie Auvray, Dieter Wellershoff ... wo sonst, wenn nicht im Jazz?
Was Jazzmusik heute sein kann, wie sie zu präsentieren wäre — dazu läuft seit zehn Jahren, neben anderen, eine Realdefinition namens Kölner Saxophon Mafia (wobei sie musikalisch weiter ist als szenisch: wenn drei zusammenrücken, weil sie eine verwandte Figur zu spielen haben, markiert das allenfalls den Anfang von „Choreographie“. Auch gelingt die Beschäftigung mit Kunstsinnigem jedweder Herkunft besser als mit Trivialem; der Blues für Millowitsch gehört nicht zu den Heldentaten der Mafia).
Unvermeidliche Frage: Was hat die Kölner Saxophon Mafia mit Itchy Fingers, dem populärsten europäischen Saxophon-Ensemble, gemein? Nichts — außer einem Teil der Instrumente und dem bei Konzerten segensreichen Verzicht auf Notenständer. Denn wo die Briten an der Tür zur Atonalität immer wieder umkehren, kennt die ehrenwerte Gesellschaft vom Rhein keine musikalischen Tabus. Ins Saxophon sprechen, Töne verschleifen, überblasen, den Effekt rückwärts laufender Bänder imitieren — die Kölner entwerfen z.B. in Personal Roots (einem ihrer besten Programme) ein Gemälde von tropischer Üppigkeit.
Die Stücke ihrer frühen Jahre nehmen sie in ihrem Jubiläumsprogramm in irrsinnigem Tempo. Das waren wir mal, heute können wir's anders. Und in den neuen Stücken offenbaren sie fast schon eine Phobie vor einer zentralen Jazz-Gestalt, dem heiligen Solo. Denn tritt einer solistisch hervor, dann nicht mehr ohne ein aufwendiges Begleitprogramm der anderen im Hintergrund.
„Fünf Individualisten, die auf der Bühne in spontane und gleichberechtigte Kommunikation treten“ ... lebte die Kölner Saxophon Mafia im Jazz-Märchen aus tausendundeiner Rezensenten-Feder — sie hätte das Zehnjährige nicht erreicht. Eine solche Band lebt nicht aus der Musik allein, nicht nur von eigenen und herangetragenen Ideen, sondern auch weil sie gelernt hat, den internen sozialen Streß („manchmal kaum zum Aushalten“) zu kanalisieren. „Wir haben also so manche Psycho-Encounter schon durchgestanden, durchstehen müssen“, sagt Wollie Kaiser. „Und ich befürchte und hoffe zugleich, daß wir auch weitere Psycho- Encounter durchstehen werden, weil sie sich u.a. schon als sehr kreativ erwiesen haben. Das ist natürlich der Preis des Kollektivs.“
Sie sind in Afrika gewesen, in New York, erst kürzlich an der US- amerikanischen und kanadischen Ostküste. Die Kölner Saxophon Mafia ist ein Liebling vieler Goethe-Institute, sie kommt fast ausnahmslos gut an. Ich habe sie in Fela's Shrine, dem Schuppen von Fela Kuti, in Lagos erlebt, in The Kitchen in New York, auf einem Dorfplatz in Nigeria, beim Jazzfestival Montreal; was die Leute an der Band so schätzen, ist vielleicht das Schmelzen der Vorurteile im eigenen Leibe. Nehmen wir die Kenner mal beiseite, so sind zuerst alle skeptisch. Aber wenn dann so ein voller Saxophon-Satz loslegt und, ohne daß jemand die Trommel rührt, trotzdem deutlich „Rhythmus“ wahrnehmbar wird, kann die Resonanz bis zu frenetischem Beifall wachsen, wie neulich in Montreal.
Die Goethe-Welt ist aber nicht die reale Jazzwelt. Obwohl kein weiteres deutsches Jazz-Ensemble mehr zu tun haben dürfte als die Kölner Saxophon Mafia, können die Musik- Mafiosi allein davon nicht leben, jedenfalls können sie keine Familie ernähren. Wetten, daß sich das zum Zwanzigsten nicht geändert haben wird?
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