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Die Armut bei der Armutsbekämpfung Hilfsprogramme unter scharfer Kritik

Weltbankbeamte und Vertreter der Dritten Welt stritten in Berlin über Wege zur Linderung des Elends  ■ Aus Berlin Dominic Johnson

„In den vergangenen drei Jahrzehnten haben die Entwicklungsländer enorme wirtschaftliche Fortschritte erzielt.“ Mit diesem Satz beginnt der Weltentwicklungsbericht der Weltbank für das Jahr 1990. „Vor diesem Hintergrund ist es um so erstaunlicher — und beschämender —, daß über eine Milliarde Menschen in den Entwicklungsländern in Armut leben.“ 45 Jahre nach Gründung der Weltbank — ein Eingeständnis des Scheiterns? Im Jahresbericht 1991 ist die Armut sogar noch vorgerückt. „Über eine Milliarde Menschen — rund ein Drittel der Gesamtbevölkerung in den Entwicklungsländern - leben in Armut“, heißt hier der allererste Satz. Einen Absatz später folgt die erfreuliche Nachricht: „Im Geschäftsjahr 1991 hat die Bank eine umfassende langfristige Politik eingeleitet, um die langwierige Aufgabe der Armutslinderung zu lösen.“ Alle Weltbankprogramme sollen nun dazu dienen.

Und wozu dienten sie bisher? Fragen, die im Mittelpunkt einer Tagung standen, die die „Deutsche Stiftung für Internationale Entwicklung“ letzte Woche in Berlin ausrichtete. Weltbankvertreter und Regierungsbeamte aus 15 Entwicklungsländern saßen sich gegenüber, um die Strategie der Bank zur Armutslinderung zu diskutieren.

Geldgeber müssen Ergebnisse sehen

Kritik war gewünscht, denn wie der verantwortliche Weltbankmanager Johannes Linn eingestand, steht die Entwicklungsarbeit der Bank unter Legitimitätsdruck. Die Weltbanktochter IDA, die die Kredite zu Sonderkonditionen an arme Staaten vergibt, habe seit zwei Jahren Schwierigkeiten, den realen Wert ihrer Beiträge überhaupt konstant zu halten. Die Geldgeber müßten nun neu motiviert werden.

Das seit 1990 entwickelte Armutsbekämpfungsprogramm soll dabei helfen. Es ist weniger ein Programm als ein Strategiemonster von barock anmutender Komplexität. Das richtige Wort fand Kolumbiens stellvertretender Planungsminister Londono: Es sei ein „Rahmen“, der erst noch mit Programmen auszufüllen wäre. Ein Armutsbekämpfungsrahmen außergewöhnlichen Umfanges also, nachzulesen auf 168 Seiten des Weltentwicklungsberichtes 1990, einem 42seitigen Papier namens „Hilfsstrategien zur Armutsreduzierung“ — diesen Monat in Washington veröffentlicht — und wuchtigen, noch ungeschriebenen detaillierten Handbüchern und Implementierungsleitlinien für Weltbankmitarbeiter.

Es handelt sich, so Linn, um eine zweistufige Strategie, die einerseits „öffentliche Ausgaben zur Bereitstellung von Dienstleistungen“ beinhalte. Unter „Anreizstrukturen“ seien wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen zu verstehen, die „den Menschen helfen, aus der Subsistenzproduktion herauszukommen und in den Markt hinein“ — den Arbeitsmarkt selbstverständlich. Die Armen sollten „ihre im größten Überfluß vorhandene Ressource, also die Arbeit“ nutzen, um Geld zu verdienen und gleichzeitig die Wirtschaft anzukurbeln. Nebenher sollte der Staat soziale Netze knüpfen — und schon wäre die Armut weg.

Dieses gigantische Proletarisierungsprogramm für eine Milliarde Menschen wäre allein nichts Neues. Es ist eine Kombination früherer Strategien. Ein Umstand, der die in Berlin anwesenden Politiker auf die Palme brachte: Er habe das alles schon gehört, als er vor Jahrzehnten in den Staatsdienst eintrat, sagte beispielsweise Nepals Ex-Planungsminister Panday. „Seit über 30 Jahren gehen die Weltbankprogramme schief“ — wozu also das Ganze?

„Es gibt vier Ziele, zwischen denen eine Auswahl getroffen werden muß“, sagte ein tunesischer Vertreter und nannte Demokratie, Wachstum, Umweltschutz und Armutslinderung. Die neue Weltbankstrategie setze einfach Wachstum und Armutslinderung als kompatibel nebeneinander, ohne die Bedingungen einer solchen Kompatibilität zu formulieren. Von den anderen Zielen ganz zu schweigen.

Falsch, erwiderte die Bank und verwies auf ihr Strategiemonster. Tatsächlich steht in dem neuen Papier: „Der vorgeschlagene Prozeß hat zwei Stufen. Die erste ist, systematischer zu prüfen, in welchem Ausmaß die Politik, die Programme und die Institutionen jedes Landes mit Armutsverringerung konsistent sind. Regelmäßig unternommen, wären solche Prüfungen der Hauptbestandteil der zweiten Stufe — die Ausarbeitung von Hilfsstrategien der Weltbank.“

Unterstützung für autoritäre Regierungen?

Im Klartext: Neu an der neuen Strategie ist, daß wir viel genauer wissen wollen, was eigentlich zu tun ist. Schon die erste Stufe würde also jahrelange komplexe Datensammlungen und -auswertungen erfordern. „Für Projektformulierungen können wir keine Verzögerungen hinnehmen“, widersprach Unicef-Vertreter Basta. „Man kann losgehen und mit den Leuten reden. Wir dürfen nicht die Sammlung von immer mehr Daten als Entschuldigung zulassen, um Hilfe in Notfällen zu verzögern.“

Dabei stimmt es gar nicht, daß die Strategie der Weltbank erst im Stadium der Reflexion steht. Ein Blick in den Bericht 1991 zeigt, womit der „Rahmen“ bereits gefüllt wird: Zur Armutslinderung sind bereits 3,8 Milliarden Dollar für 45 verschiedene Projekte aufgeführt. Hauptempfänger sind China und Mexiko.

Dazu kommt, daß die Bank in Berlin drei Modelländer für eine erfolgreiche Armutsbekämpfung nannten: Chile, Thailand und Indonesien. Alle drei hätten Förderung des Wirtschaftswachstums und Knüpfung sozialer Netze miteinander verbunden; hierin liege der Schlüssel zum Erfolg. Im Jahresbericht werden die letzten beiden Länder zudem als solche genannt, die „durch die Aufrechterhaltung wettbewerbsfähiger Wechselkurse und die Vermeidung eines übermäßigen Schutzes für das verarbeitende Gewerbe“ arbeitsintensive Zweige der Volkswirtschaft gefördert hätten.

Chile, China, Indonesien, Mexiko, Thailand: Die Liste macht stutzig. Handelt es sich bei der Armutsbekämpfungsstrategie der Weltbank vielleicht eher um ein Programm zur Unterstützung relativ reicher, stabiler, autoritärer Entwicklungsländer? Insbesondere die Vertreter von Nichtregierungsorganisationen kritisierten in Berlin die einseitige Ausrichtung der Bank auf Zusammenarbeit mit Regierungen. Der informelle Sektor und die kostenlose Nutzung sozialer Güter wie Wasser und Boden, beides für die Armen der Welt überlebensnotwendig, würden überhaupt nicht berücksichtig, klagten Redner aus Ecuador und der Dominikanischen Republik.

Und zur Frage der Demokratie hatte Johannes Linn nur dies zu sagen: „Man kann nicht sagen, daß demokratische Regierungsformen wachstumsfördernd sind.“ Allerdings — autoritäre auch nicht.

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