piwik no script img

Die Läuterung des Schönwetterboys

Das deutsche Davis-Cup-Team scheiterte im Halbfinale unüberraschenderweise mit 2:3 an Cupverteidiger USA/ Andre Agassi konvertierte vom Schönwetterboy zum neuen US-Liebling  ■ Aus Kansas City Peter Unfried

„Andre, we love you“, jubilierte der amerikanische Teil der 11.546 in der Kemper-Arena, als Andre Agassi mit einem problemlosen 6:2, 6:2, 6:3 über Carl-Uwe Steeb die USA ins Davis-Cup-Finale gegen Frankreich gebolzt hatte. Nur ein einziger hielt mit einem „I only like you“ dagegen, und da war klar, daß sich der erratische Schönwetterboy an diesem Wochenende zum erklärten „everybody's darling“ befördert hatte.

Rein sportlich gesehen: Aus Germanensicht war ohne Boris Becker nicht mehr drin. „Eine bessere Mannschaft hat gewonnen“, seufzte Teamchef Niki Pilic, und so war's. Gegen einen Agassi, der in beiden Partien auf höchstem, also auf Becker-Level spielte, hätte sogar der Maestro selbst Probleme bekommen, was sollte da Charlie Steeb ausrichten? „Heute habe ich Supertennis gespielt! Das Doppel hat mir wahnsinnig geholfen! Ich hatte so viel Spaß! Ich servierte so gut! Ich hatte den Eindruck, als hätte ich das Match ständig kontrolliert.“ Michael Stich war obenauf. Und die Nummer 3, Jim Courier, der chancenlos 4:6, 5:7, 4:6 schlappgemacht hatte? „That's just the way it is“, guess(te) der, kaute auf einem Gummi herum und ging seiner Wege. Und Stich, der zwar nicht das Halbfinal- Match, aber immerhin das Renomée des Wimbledon-Siegers rettete, war nicht nur über alle drei Sätze der Bessere, er blieb trotz des heiklen Spielstandes immer Gentleman und entschuldigte sich für einen Netzroller, während der Rotzlöffel aus Dade City, Florida, bei seinem Luftsprünge machte, als sei es die verdammte Pflicht des Filzes, ins nichtamerikanische Feld zu plumpsen.

Je einmal brach Michael Stich in den Sätzen eins und zwei, im dritten auch, doch der Kurier brach diesmal zurück zum 4:4 und ward daher ein zweites Mal gebrochen, und der Sack war zu Null zu. So einfach war das. Michels schlaue Erklärung: Wer nach dem ersten Tag zurückliegt, hat's nachher leichter. „Der Druck lag auf Jim.“

Und hinterher auf Agassi, wollte der Wimbledon-Sieger weismachen, doch es war Charlie Steeb, der den Druck von der ersten Spielsekunde auf sich lasten hatte. Ruckzuck war sein Aufschlag futsch, zu Null auch noch, und nun wachte sogar das amerikanische Publikum auf, das zuvor nach allen Regeln der Kunst ausgerasselt worden war. Die Nummer 47 kam aus dem Kopfschütteln gar nicht wieder heraus und konnte nach knappen zwei Stunden ihren Kram zusammenpacken. Dabei war es Agassi eigentlich recht mulmig gewesen vor dem Match. Mögglingens bester Tennisspieler hatte ihn — die Statistik lügt nicht — in zwei Partien zweimal geschlagen, darunter in München beim Davis Cup vor zwei Jahren. Als Steebs Hand übers Netz zur Gratulation griff, war Agassi daher „erleichtert“ und „zufrieden“. „Ich glaube nicht“, sprach Andre Superstar, „daß es annähernd so befriedigend gewesen wäre, wenn ich Boris geschlagen hätte.“ Und hob damit bescheiden seinen lockeren Sieg in schwindelerregende Ruhmeshöhen.

Apropos Boris. Irgendwas von dem gehört in letzter Zeit? Michael Stich? „Ich zumindest nicht“, verneinte die Nummer 5 eine auch nur auditive Präsenz des Roten. Doch Boris oder nicht Boris wird trotz des neuen Wimbledonkönigs auch in Zukunft der Schlüssel für deutsche Siege oder Niederlagen sein.

Baden: Schweiz - Neuseeland 5:0; Bari: Italien - Dänemark 4:1; Brüssel: Belgien - Israel 4:1; Manchester: Großbritannien - Österreich 3:1; Manila: Philippinen - Schweden 0:5; Sao Paulo: Brasilien - Indien 4:1; Mexiko-Stadt: Mexiko - Niederlande 0:5; Havanna: Kuba - Kanada 2:3.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen