„Das ist Eure Schuld!“

■ Frauenwoche: Über feministische Ansprüche und historische Altlasten

Bitte das Gemälde

Blickwinkel, weiblich.Foto: Almut Bölitz

Die Befangenheit weißer deutscher Frauen im Umgang mit „schwarzen“ Frauen hat Wurzeln, die bis zur — verdrängten — Aufarbeitung des Faschismus zurückreichen. „Das ist eure Schuld!“ schrieben die Alliierten 1945 über Bilder von Bergen-Belsen. Die Deutschen haben weggesehen und verdrängt und ihre „historische Altlast“ an die nächste Generation weitergerreicht. Die wollte alles ganz anders machen, verfiel aber mangels Reflektion wieder in alte Verhaltensmuster wie Autoritätsgläubigkeit und Hierarchiebildung, wies ihren Anteil an der Schuld entweder schroff zurück oder erstickte in Schamgefühlen. Das zeigte Claudia Koppert gestern auf der Frauenwoche in ihrem Vortrag „Zwischen Abwehr, Entlarvung und Selbstbezichtigung“ auf.

taz: Den Kategorien Schuld, Schuldgefühle und Scham ist auf der Frauenwoche ein ganzer Veranstaltungskomplex gewidmet. Warum spielt die Schuldfrage gerade für Feministinnen eine so große Rolle?

Claudia Koppert: Bei den Frauen in der Frauenbewegung und auch in der Linken gibt es sehr hohe Ideale von einer ganz anderen Gesellschaft, von einer multikulturellen Gesellschaft, ohne Unterdrückung. Wenn die Frauen merken, daß sie diesen hohen Idealen nicht genügen können, reagieren sie erstmal mit Beschämung. Am eigenen Leib soll schon dokumentiert werden, wie die Frau sich eine zukünftige Gesellschaft vorstellt. Das kann immer nur mit Gefühlen des Scheiterns verbunden sein, denn in einer modernen Gesellschaft, wo alle in unzählige Zusammenhänge verstrickt sind, kann das keine realisieren. Gemessen an diesem, bei allen latent vorhandenen, Ideal kannst du jeden Morgen aufstehen und dir sagen: es ist nicht genug, es ist einfach nicht genug!

Bei den Veranstaltungen hier geht es ja um Rassismus, um die Auseinandersetzung mit Frauen aus anderen Kulturen. Warum gerade jetzt diese Auseinandersetzung?

In der Begegnung mit „schwarzen“ Frauen reagieren die feministischen deutschen Frauen plötzlich genauso wie Männer: nämlich mit Befangenheit, mit Reserviertheit, mit Ausweichen. Ihnen wurde von den „anderen“ Frauen klargemacht: Sie sind nicht einfach nur Opfer in einer patriarchalischen Gesellschaft, sondern in einem sehr viel komplexeren Zusammenhang auch Mittäterinnen und zugleich Ausgegrenzte. Das hat am Anfang der Frauenbewegung keine Rolle gespielt, die Entdeckung der eigenen Diskriminierung war ein großer Solidarisierungseffekt. Aber das kommt jetzt zurück in der Unfähigkeit, „anderen“ Frauen zu begegnen. Das erfordert eine Auseinandersetzung mit unserer Kultur, mit unserer Prägung und mit den Folgen, eine Reflektion der eigenen Grundlagen.

Aber geht die Form dieser Auseinandersetzung nicht manchmal schon in Richtung, Selbstzerfleischung, Masochismus?

Die eigene Person wird da sehr stark auf den Prüfstein gestellt. Das hat seine Berechtigung, aber es ist unmöglich, die ganze Gesellschaft, die ganze Geschichte, auf die eigenen Schultern zu nehmen. Da schlägt jetzt auch etwas um: früher war dies für die Feministinnen eine patriarchalische Gesellschaft, mit der sie nichts zu tun hatten. Dann haben andere ihnen klar gemacht, daß sie sehr wohl etwas damit zu tun haben. Jetzt fällt es in das Gegenteil um: sie identifizieren sich voll und ganz mit dieser Flut von Schuld.

Wie kommt man aus dieser Flut wieder hoch?

Es ist ganz wichtig, die verschiedenen Ebenen von persönlichem Beteiligtsein und der politischer Verstrickung in die Tradition, in der wir aufgewachsen sind, auseinanderzuhalten, um da nicht in einer Woge von Gefühlen, zum Teil ganz falschen oder übernommen Gefühlen, unterzugehen. Erst dann entsteht ein Anknüpfen an die eigenen Möglichkeiten und die Fähigkeit zum Handeln. Das Untergehen in Ohnmacht führt nicht zum Handeln. Im Moment ist dieses Gefühl aber noch sehr stark.

Was wünschen Sie sich für den Umgang von Frauen miteinander?

Mehr Gelassenheit und daß die Frauen mehr in sich selbst ruhen und sich nicht so stark von Meldungen, was alles schief geht, beeinflussen lassen. In der Diskussion hat eine Frau aus Chile, platt zusammengefaßt, gesagt, die deutschen Frauen hätten kein Rückgrad und kein Herz. Und das wünsche ich mir: Rückgrad und Herz. Int.: Annemarie Struß-v.Poellnitz