: „Sie wollten, was sie sollten“
In Köln diskutierten Richter und Staatsanwälte über die Rolle der Justiz in braunen und roten Diktaturen/ Der Richtertag stärkt überprüften Ostjuristen den Rücken ■ Aus Köln Walter Jakobs
„Es kann keine Rede davon sein, daß unpolitische Richter von den Nazis mißbraucht wurden. Der politischen Beeinflussung bedurften sie nicht. Sie wollten, was sie sollten, und sie sollten, was sie wollten.“ Auf ihre Weise habe die Justiz „begeistert“ der Diktatur gedient, allein beseelt von der Idee, „die Sache gut zu machen“. Anders, da ist sich Hans Wrobel, Faschismusforscher aus Bremen, der am Dienstag vor dem Richtertag in Köln sprach, sicher, läßt sich die Rolle, die die formal weisungsunabhängigen Richter im Dritten Reich gespielt haben, nicht beschreiben.
Der liberalen Aufweichung des Rechts während der Weimarer Republik überdrüssig, habe sich der Deutsche Richterbund sofort nach der Machtübernahme der Nazis 1933 per Mehrheitsentscheidung „freiwillig gleichgeschaltet“. Das Verhalten der Richterschaft während der NS-Diktatur sei ein „Paradefall“ dafür, wie die Rechtspflege von unabhängigen Richtern selbst „ruiniert“ werden könne.
Bei den etwa 200 bis 300 Richtern und Staatsanwälten, die am Dienstag auf dem „Deutschen Richtertag“ in Köln dem Referat des Bremer Wissenschaftlers folgten, stießen diese Thesen überraschenderweise kaum auf Widerspruch. Die Zeit der Apologeten der Nazi-Justiz scheint vorbei. Im Mittelpunkt der Diskussion stand die Reflektion des eigenen Versagens. Dabei sprach der Tübinger Richter Rudolf das entscheidende Versäumnis der westdeutschen Juristen an: Hans Wrobel habe das aufgezeigt, „was wir schon 1945 hätten machen müssen. Unsere Tragik ist doch, daß wir nie die Richter zur Verantwortung gezogen haben.“
Während der Terror der braunen, der „furchtbaren Juristen“ während der NS-Zeit im Westen ungesühnt und unbewältigt blieb, geht die Überprüfung der roten Juristen, die vier Jahrzehnte der kommunistischen SED-Diktatur dienten, ihren bürokratischen Gang. Harald Franski, ehemals Präsident des Oberlandesgerichts in Celle und selbst Vorsitzender des Richterwahlausschusses für den Bezirk Halle, geht davon aus, daß am Ende wohl knapp 50 Prozent der ostdeutschen Juristen übernommen werden. Die Richter und Staatsanwälte der Ex-DDR hätten „an den Sozialismus (...) meist bis zum Schluß geglaubt.“ Anders als von den Entnazifizierungsverfahren bekannt, habe aber kaum jemand von ihnen versucht, sich mit „Persilscheinen anderer von der eigenen Vergangenheit reinzuwaschen“. Wer nach der Überprüfung jetzt als Richter oder Staatsanwalt bestätigt worden sei, habe einen Anspruch auf vorurteilsfreie Behandlung.
Wie die politische Justiz in der DDR funktioniert hat, schilderte in Köln der Rechtsanwalt und Bürgerrechtler Rolf Henrich. Aufgabe der DDR-Justiz sei es gewesen, „mit den Mitteln des Strafrechts den gewaltsamen Umbau der DDR-Gesellschaft zu befördern“.
Die politische Instrumentalisierung der Justiz in der ersten Phase der DDR erläuterte Henrich am Beispiel der „Waldheimer Prozesse“, in deren Verlauf 3.432 Menschen, die von den Sowjets der DDR-Regierung Anfang der 50er Jahre übergeben worden waren, von 20 extra eingerichteten Strafkammern abgeurteilt wurden. Vor den Prozessen schwörte die SED-Leitung die Richter und Staatsanwälte jeweils auf die gewünschte Linie ein. In einem entsprechenden Protokoll heißt es zum Beispiel: „Es gilt also, sie unter allen Umständen hoch zu verurteilen. Dabei darf keine Rücksicht genommen werden, welches Material vorhanden ist (...) Urteile unter zehn Jahren dürfen nicht gefällt werden.“
Eindrucksvoll schilderte Henrich in seinem Referat, wie sich die Praxis der „Polit-Justiz“ über die Jahre bis in die zivilrechtlichen Entscheidungen fortsetzte. Das alles habe letztlich nur geschehen können, weil Richter, Staatsanwälte oder Rechtsanwälte „nur halbherzig für das Recht eingetreten sind“. In diese Kritik schloß Henrich sich selbst ein. Sein Fazit: „Ohne den Gerechten, der bereit ist, im Ernstfall für das Recht zu streiten, wird jedes Recht sinnlos.“
Einem solchen „Gerechten“, dem peruanischen Rechtsanwalt Augusto Zuniga Paz, hat der Deutsche Richterbund am Montag dieser Woche den Menschenrechts-Preis verliehen. Der erstmalig vergebene Preis zeichnet einen Strafverteidiger aus, der sich in Peru durch die Verteidigung von Opfern des staatlichen Terrors einen Namen gemacht hat. Am 15. März 1991 riß eine von Unbekannten abgeschickte Briefbombe dem Anwalt, der immer wieder anonym bedroht worden war, den linken Arm weg.
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