piwik no script img

Auf deutsch oder gar nicht

■ Eine Polemik gegen die Manta-Fahrer der Rockindustrie. Nur was identitäts- und gesichtslos, aber hochprofessionell und von angeblich internationalen Standard ist, hat hierzulande eine Chance...

Eine Polemik gegen die Manta-Fahrer der Rockindustrie. Nur was identitäts- und gesichtslos, aber hochprofessionell und von angeblich internationalem Standard ist, hat hierzulande eine Chance. Nur was austausch- und verwechselbar klingt, wird gesendet, gehört und gekauft.

VON BERNHARD-ANDREAS BECKER-BRAUN

N

ehmen Sie sich bitte Papier und Bleistift. Nun schreiben Sie auf, welche Lieder, die Sie in angenehmer Erinnerung haben, in den letzten dreißig Jahren komponiert wurden. Lassen Sie sich Zeit und geben Sie ruhig mal etwas zu.

Wenn Sie Ihre Liste nach einiger Zeit vervollständigt haben, werden Sie bemerken: 1.) Fast alle Lieder sind auf englisch. 2.) Falls es überhaupt Nennungen aus unserem Sprachraum gibt, gilt: von absoluten Ausnahmen abgesehen, sind alle Lieder aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz auf deutsch.

Da es andererseits eher unwahrscheinlich ist, daß eine Liste mit den bedeutendsten Liedern in englischer Sprache auch nur ein Lied eines Autors aus unserer Gegend enthält (es sei denn, man wollte bis auf Brecht zurückgehen, dessen Lieder aber — bis auf den Alabama-Song — auf deutsch geschrieben und ins Englische übersetzt wurden), bleibt als Ergebnis: 1.) Die alte Frage, in welcher Sprache denn hier gesungen werden soll, findet eine klare Antwort: auf englisch, weil es das Normale ist. 2.) Wer aber etwas schreiben will, das es wert ist, nicht vergessen zu werden, schreibt es auf deutsch. 3.) Da das leider kaum jemand tut, verbleiben wir, was unsere Bedeutung in der Welt der Popmusik betrifft, im Bereich des Marginalen oder höchstens unfreiwillig Komischen.

Das Brüllen immerhin ist echt

Dabei gibt es wirklich gute Musiker und Lieder hier, die aber so weit weg von unseren normalen Standards für Rockmusik sind, daß man, wenn es um die Rezeption von Musik in deutscher Sprache geht, von einer recht heterogenen Subkultur sprechen muß, die in Opposition steht sowohl zur internationalen Rockmusik als auch zur deutschen Schlagerszene, aber in beiden Bereichen ihre Wurzeln hat.

Was da im einzelnen auf obiger Liste steht, kann von Kultsongs wie Fred Bertelmanns Lachendem Vagabund reichen bis zu den Neubauten. Ob nun hauptsächlich Biermann oder mehr seine Stieftochter, ob auch mal Frank Zander auf der Liste steht, dafür weniger Grönemeyer, ist natürlich Geschmackssache. Daß Namen wie Fehlfarben, Der Plan usw. häufiger auftauchen, ist wiederum kein Zufall. Sie stammen aus dem kurzen Frühling der Neuen Deutschen Welle. Wenn der vorbei ist, muß ein Autor, dessen Lieder es wert wären, in alle Sprachen übersetzt zu werden, Max Goldt von Foyer des Arts, sich als Literat bekannt machen, um als Musiker überhaupt wahrgenommen zu werden.

Denn in Deutschland hat nur das eine Chance, was identitäts- und gesichtslos, aber hochprofessionell und von angeblich internationalem Standard ist. Das ist wohlgemerkt keine Norm anglo-amerikanischer Produzenten, sondern feste Überzeugung deutscher Rockmusiker, Produzenten, Plattenaufleger und Konsumenten. Nur was austausch- und verwechselbar ist, wird gesendet, gehört, gekauft (bei uns, sonst nirgends, egal, wie oft die Scorpions schon in Japan waren). Und das gilt sowohl für den Pop- Sektor als auch für die schwerverdaulichen Sachen:

Ich sehe den Sänger von Kreator (eine Band aus Essen), wie er sich auf der Bühne windet und englische Sätze brüllt. Das Brüllen ist echt, doch wenn er dem Publikum etwas sagen möchte — und er hat mehr zu sagen, als er so singen kann — spricht er deutsch. Sollte die Band in die Oberliga aufsteigen, wird man ihm schon beibringen, daß er nichts mehr sagen, sondern nur noch singen soll. Wie allen Heavy-Bands bleibt ihm dann nur noch Brüllen ohne erkennbare Bedeutung und die Gewalt der Instrumente. Was bei dieser Kraftsportmusik augenfällig ist, gilt für die anderen Musikrichtungen hier ganz genauso: Singen ohne Bedeutung und instrumentelle Kunstfertigkeit als Bedeutungsersatz.

Wir spielen große weite Welt

Das richtet sich natürlich nicht gegen Instrumentalmusik, sondern gegen die Überbetonung von musikalischen Sekundärtugenden, das sind technische Fähigkeiten der Musiker und Größe und Wirkung des Instrumentenfuhrparks. Nach den Maßstäben sogenannter Musiker-Zeitschriften macht zum Beispiel die Amateurband, in der ich spiele, überhaupt keine Musik, da unsere anfängliche Ausrüstung mit steinzeitlichen Analogsynthis, selbstgebauten Gitarren und trickreich preiswerten Mikrofonschaltungen technisch indiskutabel ist und unser Schlagzeuger nur die Sachen spielt, die er ohne größeres Üben auch kann. Als unsere alte Besetzung sich auflöste und ich unsere Stücke noch einmal aufnehmen wollte, war ich, um das richtige Mischpult und Achtspurgerät zu finden, gezwungen, wochenlang in diesen Magazinen zu lesen (die übrigens einen erstaunlichen Synchronismus von Anzeigen- und redaktionellem Teil aufweisen). Ich schlug ein Kapitel über Gitarrenvorverstärker auf und verstand, obwohl ich seit zwanzig Jahren Gitarre spiele, kein einziges Wort. Übersetzungen befreundeter Musiker überzeugten mich allerdings davon, daß man — ähnlich wie es bei Computerprogrammen geschieht, die wirklich wichtig sind — das meiste hätte ins Deutsche übersetzen können, wenn man gewollt hätte.

Der Zweck der Übung ist aber: Wir spielen große weite Welt.

Nachäffen bis zum Abwinken

Wer sich dann einmal Gespräche von Musikern anhört, wie neulich auf einer Fete, als ich Gelegenheit hatte, Keyboardern verschiedener Gruppen zu lauschen, kommt zu dem Schluß, daß ihre Geisteshaltung ähnlich der von Manta-Fahrern ist: das neue Dingsbums soll ganz toll sein, und man habe sich neulich ein Lalüla gekauft, welches noch mehr/schneller/ tierischer...

Gerade für die gilt der Satz von Hanns Eisler: Wer nur was von Musik versteht, versteht auch davon nichts. Technisch hochklassige und mit allem ausgerüstete Musiker gibt es in diesem Lande offensichtlich genug. Nur zuwenig Lieder, die zu hören sich lohnt. Die besten neuen Lieder in deutscher Sprache, die ich in letzter Zeit gehört habe, kamen aus der Sendung mit der Maus. Nicht politische Zensur oder Druck von außen ist dafür die Ursache, sondern ein nachkriegsdeutsches Kaspar-Hauser-Syndrom: Ich möcht' ein solcher werden, wie ein anderer vor mir einmal gewesen ist.

Daß Popmusik immer auch ein Synonym, die Begleitmusik für den Konsum all der schönen Dinge ist, die uns der Kapitalismus gebracht hat, ist ein Problem für alle Länder außerhalb der USA, auch für England, wo man die eigene Musikindustrie recht trickreich vor Überfremdung schützt. Doch im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern steht anglo-amerikanische Musik hier bei uns vielleicht nicht so sehr für freedom and democracy, sondern für die Möglichkeit, sich eine andere, nichtdeutsche Identität entlehnen zu können.

Das Ergebnis: Deutschland ist musikalisch zu sehr zweite Wahl, so daß man es bei einer Veranstaltung wie „One World, One Voice“ getrost außen vor lassen kann. Außer Holger Czukay wurde auch niemand wirklich übersehen, der wichtig war.

Gibt es, selten genug, mal etwas Eigenes wie Haindling oder NDW, tun auch in diesem Fall alle das, was sie sonst auch mit den ausländischen Originalen machen: nachäffen bis zum Abwinken. Verhinderte Studienräte treten auf und wollen „der deutsche Randy Newman“ sein, als ob nicht jeder wüßte, daß dessen Ort L.A. ist und nirgendwo sonst. Man kann sich nicht einfach vornehmen, ab heute originell und regionalbezogen sein zu wollen. Kein „Torfrock“ also bitte, und BAP und Black Föss dahin, wo sie hingehören (für letztere übrigens nie ein Problem, das Rheinland ist groß genug).

Es wäre allerdings unfair, nur gegen die Musiker zu polemisieren: Weit schwieriger dürfte es sein, den Machern der in den letzten Jahren entstandenen Lokalsender klarzumachen, daß der Sinn und Zweck von Radio Krähwinkel nicht der ist, daß auch von Krähwinkel aus — unterbrochen von Live-Diskussionen über den Standort der neuen Kläranlage — die immer gleichen dreißig Oldies in den Äther geschickt werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen