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Über 100.000 Kumpels auf der Straße

Großdemonstrationen in fünf Städten gegen die „Kahlschlagpolitik von Möllemann“  ■ Aus Dortmund Walter Jakobs

Die deutschen Bergleute machen mobil. Weit über 100.000 Kumpels gingen gestern in fünf Städten des Reviers auf die Straße, um im Vorfeld der für den 15. Oktober vorgesehenen Kohlerunde gegen die Kohlepolitik von Bundeswirtschaftsminister Möllemann zu demonstrieren. Wann immer der Name Möllemann am Freitag fiel, reagierten die Demonstranten mit wütenden Pfeifkonzerten und Schmährufen. Wie weit der Zorn auf den FDP-Minister inzwischen reicht, bekam der FDP- Bundestagsabgeordnete Paul Friedhoff während der zentralen Kundgebung in Dortmund zu spüren. Nur mit Mühe konnte Friedhoff seine Rede, die von einem ohrenbetäubenden Pfeifkonzert und vereinzelten Eierwürfen begleitet wurde, zu Ende bringen. Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie (IGBE), Hans Berger, versuchte vergeblich dem FDP-Mann beizuspringen. Berger wörtlich: „Wenn wir Erfolg haben wollen, müssen wir zuhören. Wir wollen und dürfen nicht in den Geruch kommen, Radaubrüder zu sein.“

Zuvor hatte Berger selbst vor dem „Chaoskurs“ des Wirtschaftsministers gewarnt. Es komme einer „glatten Irreführung“ gleich, wenn Möllenmann den Eindruck erwecke, „als gäbe es bisher auch nur einen Hauch von Übereinstimmung zwischen Bergbau und Wirtschaftsministerium“. Möllemann hatte in den letzten Wochen immer wieder davon gesprochen, daß beide Parteien bei der anvisierten Fördermenge nur noch um 10 Millionen Jahrestonnen auseinanderlägen. „Diese Rechnung ist falsch“, sagte Berger in Dortmund. Tatsächlich betrage die Differenz 20 Millionen Jahrestonnen. Das Zahlenverwirrspiel läßt sich leicht aufklären. In diesem Jahr werden von den 125.000 Bergleuten noch etwa 65 Millionen Tonnen Steinkohle aus der Erde gebuddelt. Möllemann will diese Förderung bis zum Jahr 2005 auf 45 Mio. Jahrestonnen herunterfahren, was einen Arbeitsplatzverlust von etwa 40.000 Stellen zur Folge hätte. Die IGBE und der deutsche Steinkohleverband haben signalisiert, daß sie bereit sind, eine Drosselung auf 55 Mio. Jahrestonnen mitzutragen. Geht man also davon aus, was letztlich von der Steinkohle im Jahr 2005 übrigbleiben soll, so hat Möllemann mit seiner Angabe recht.

Der ebenfalls in Dortmund mit Pfiffen begrüßte Bundesarbeitsminister Norbert Blüm bot den Bergleuten seine „Solidarität an der Seite der IGBE“ an. Über Blüms Auftritt hatte sich Möllemann schon am Morgen im WDR mokiert. Obgleich Blüm keine konkrete Fördermengenziele nannte, kam seine Rede an. Ministerpräsident Rau: Möge die „ganze Bundesregierung die Rolle der Kohle“ so sehen wie Blüm.

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