: Massenmord als Melodram
■ Sieberts »Der Pilot von Hiroshima« — Eine Uraufführung in der Sophienkirche
Zielanflug auf Hiroshima, Atombombenabwurf, klinisch »reiner« Massenmord. Ließe sich dieses lineare Geschehen, das nur von der Genauigkeit des Radars, der Zweckgerichtetheit der Funkspruch-Kommunikation sowie der exakten Bestätigung des Auslösemechanismus abzuhängen scheint (aber nicht von subjektiver Motivation) in den fünf Akten der traditionellen Oper darstellen?
Der Komponist Wilhelm Dieter Siebert hat zumindest versucht, das schwer Faßbare in einer »Ein-Mann- Oper«, oder wie er es auch nennt, einer »Missa Apokalypsis«, ästhetisch aufzuarbeiten. Regie führte der vom Grips-Theater bekannte Wolfgang Kolneder, am Samstag fand die Uraufführung von Der Pilot von Hiroshima in der Sophienkirche im Bezirk Mitte im Rahmen der diesjährigen Berliner Festwochen statt.
Die ganze Last der Messe liegt auf Peter Maus (Tenor), dessen Rezitative vom Violoncello Peter Bruns' sparsam untermalt und ergänzt werden. Ferner finden vorsichtig gesetzte Lichteffekte sowie Stimmen und Geräusche vom Tonband Verwendung.
In diesem vorwiegend kammermusikalischen, mit technischen Effekten durchsetzten Ambiente schlüpft Maus in die Rolle des Prometheus, rezitiert dann aus der Johannes-Apokalypse und hat schließlich den Hiroshima-Piloten Major Claude Eatherly zu verkörpern, der sich im Hospital für Kriegsveteranen zu seiner Schuld bekennt und zum Friedensaktivisten wird.
Die das Feuer bringen, werden am Ende die Unglücklichen sein. Dies ist die platte Message der knapp anderthalbstündigen »Messe«, die mitunter recht ärgerlich macht. Denn der Rückgriff auf die antike Tragödie und die biblische Vision hilft nicht darüber hinweg, daß die Situation eines unter den Bedingungen der technologischen Moderne agierenden Piloten peinlich verfehlt und banalisiert wird.
Sein »Gott« ist ein Bewegung gesetztes Fabrikationswesen mit der ihm eigenen tödlichen Logik und Sprache: »8 Uhr 11. Unser Kurs ist 260 Grad, die Höhe ist 31.000 Fuß. Jetzt wird die Maschine auf Automatik umgestellt. Der automatische Pilot wird die Bombe werfen.« Wenn Maus durch die Inszenierung dazu gezwungen wird, solche Un-Sätze in arienmäßiger Aufbietung aller Kraft überzubetonen, verkehrt sich die moderne Tragödie der Mensch-Maschine-Symbiose zum Melodram. Wie er überhaupt — operngeschulte Sänger sind nicht unbedingt gute Schauspieler — ständig von wenig glaubhaft gesprochenen Monologen in schließlich nur noch theatralisch wirkenden Gesang wechseln muß.
Schade: Die zur Verfügung stehende Technik hätte dazu beitragen können, das moderne Thema auch wirklich modern zu gestalten. Statt dessen wirken die über die Tonband- Konserve geschalteten Effekte eher betroffenheitsheischend.
Den verantwortlich zeichnenden »Ärzten gegen den Atomkrieg« mag es auch genug gewesen sein, in der Figur des Claude Eatherly einen pazifistisch gewendeten Major der Air Force gefunden zu haben. Der Pilot von Hiroshima wird sukzessive wiederholt. Bernd Gammlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen