Einiges kann sich reizvoll mischen

■ Von einem fairen Vereinigungsprozeß zwischen Grünen und Bürgerbewegung der Ex-DDR erhofft sich Antje Vollmer Aufwind für ihre angeschlagene Partei.

taz: Frau Vollmer, Sie haben im Laufe des Jahres 1990 immer wieder für eine Öffnung der Grünen hin zur Bürgerrechtsbewegung der DDR plädiert. Am vorletzten Wochenende haben Sie am Gründungstreffen des Bündnis 90 in Potsdam teilgenommen. Ist das Bündnis ein zukunftsweisendes Projekt oder doch nur der verspätete Versuch, in einer völlig neuen politischen Situation an die Erfolge des Herbstes 89 anzuknüpfen?

Antje Vollmer: Beides trifft in Teilen zu. Für mich war bei diesem Potsdamer Gründungstreffen der eigentliche Höhepunkt der Abschied von der DDR-Sentimentalität auch der Bürgerrechtsbewegung. Die wollen ab sofort gesamtdeutsch handlungsfähig sein und haben immerhin an einem Wochenende die Grundlagen dafür gelegt.

Worin unterscheidet sich denn die neue politische Kultur, die das Bündnis propagiert, von der der Grünen?

Dadurch, daß sie nicht in jede nur mögliche Falle hineintapst, die denkbar ist. In Potsdam hat sich das Bündnis von den Grünen schlicht durch Faktensetzung unterschieden. Wer freudig einen Umweltminister in den Sprecherrat wählt, hat für sich die Trennung von Amt und Mandat erledigt; wer in der Lage ist, Entscheidungen zu fällen, über die sich hinterher alle freuen, der braucht offensichtlich weniger Demagogie. Zudem kommen mit der Bürgerbewegung mehr profilierte Persönlichkeiten in die gesamtdeutsche Politik, als das gesamte west-östliche-Parteispektrum etwa der CDU zu bieten hat. Diese Vertreibung der Persönlichkeiten aus der Politik, durch Parteiapparate oder bestimmte Leidenschaften hat bei der Bürgerbewegung noch nicht gegriffen.

Wo liegen denn die Stärken oder auch Schwächen dieses politischen Angebots?

Überzeugend ist ihre Entschlossenheit, sich sehr schnell auf das praktisch Notwendige und Machbare hinzuorientieren. Das ist die Praxistauglichkeit und die unaufgeregte Konsensfähigkeit, die aus der Erfahrung am Runden Tisch kommt. Heute sind die Bürgerbewegungen doch die einzigen in einer Gesellschaft, in der sich sehr viele deklassiert fühlen, die noch den Optimismus wachrütteln könnten, sich für bestimmte Projekte einzusetzen. Wolkig wird es manchmal bei der Selbstdarstellung, die eigene Politik wäre menschlicher, liebenswerter, amateurhafter. Das ist ein Flair, das meist an die Anfangsphase von Bewegungen gebunden ist und auch nur dann stimmt. Es kann schnell hohl werden, wie wir Grünen wissen.

Das Bündnis hat sich in Potsdam faktisch als Partei konstituiert. Dennoch fällt es ihm offensichtlich schwer, das zu akzeptieren. Will man da nicht mit dem Begriff Bürgerbewegung die gesellschaftliche Verankerung beschwören, der man sich mit dem kontinuierlichen Niedergang seit 89 gerade nicht mehr sicher ist?

Das Bündnis hat sich mit dem Schlachten heiliger Kühe aus der eigenen Tradition doch relativ mutig gegenüber Tabuzonen gezeigt. Mit dem Parteienbegriff ist das anders. Ich glaube, daß sich in dieser Allergie gegen den Parteienbegriff der Wunsch ausdrückt, auf der historisch unbelasteten Seite zu stehen. Auch die grünen Tabus sind alle aus dem Wunsch entstanden, gut und anders zu sein. Und das habe ich nun gelernt, daß gerade die Bindung einer politischen Gruppierung an das Prinzip moralischer Reinheit sehr anfällig macht sowohl für Selbsbetrug als auch für bestimmte Formen von Jakobinertum. Das muß man im Kopf behalten, bei aller berechtigten Kritik an der überholten Organisationsform Partei.

Könnten denn die Bürgerbewegungen — quasi konträr zu den bisherigen Einheitserfahrungen — auch ein attraktives Angebot für den Westen sein?

Der größte Reiz auch im Hinblick auf die Grünen ist, daß es unverhofft die Chance eines zweiten Atems gibt. Neue Leute bedeuten auch neue kreative Möglichkeiten. Das Parteiensystem ist ja so angelegt, daß auf Dauer nur die ausgebufftesten Charaktere durchhalten. Für die Attraktivität der Parteien ist das eher abträglich, wie man bei den Grünen sehen kann. Im Grunde genommen müßte man alle Parteien nach zehn Jahren ersatzlos auflösen und neugründen, um überhaupt die kreative Möglichkeit der Gesellschaft für die Politik wieder zu eröffnen. Das entspricht bekanntlich nicht unserer Politiktradition.

Jetzt gibt es ja eine solche Neugründung. Steht Ihr Wechsel zu den Bürgerbewegungen bevor?

Ich bin ja als erzkonservativ bekannt und habe deshalb auch keine Ambitionen, meine eigenen Wurzeln zu kappen, um mich in einem doch relativ fremden Territorium wieder anzusiedeln. Außerdem denke ich, daß ich bei den Grünen noch was zu erledigen hätte. Schließlich steht das Coming-out der bürgerbewegten West-Grünen noch aus. Und wenn das demnächst stattfindet, kann ich ja eigentlich auch gleich hier bleiben.

Das klingt recht optimistisch. In Neumünster konnte sich Ihre Idee einer ökologischen Bürgerrechtspartei allerdings nicht durchsetzen.

Mir ist es immer noch ein Rätsel, warum die Grünen diese Bezeichnung für ihr Selbstverständnis abgelehnt haben, wie das zum innerparteilichen Feindbegriff werden konnte. Ich wollte damals den einfachsten Selbstverständnisbegriff wählen, von dem ich dachte, den würden alle Grünen teilen können. Das, was stattdessen — zumindest in Neumünster — durchkam, war ein Mehrheitskonsens, daß man sich vor allem als ein linkes Parteienprojekt versteht. Es entbehrt nicht der Ironie der Geschichte, daß die Grünen das nochmal klargestellt haben ausgerechnet in dem Jahr, in dem die KPdSU alternativlos in sich zusammengebrochen ist.

Demgegenüber propagiert das Potsdamer Bündnis eine Politik über die etablierten Parteigrenzen hinweg. Ist das nicht eine allzu harmonistische Politikperspektive?

Ein Politikmodell quer zum etablierten Rechts-Links-Schema bedeutet nicht, daß alles in Harmoniesoße versinkt. Das Konfrontationsmodell ist deshalb out, weil es nicht mehr reicht, wenn man die Hälfte der Gesellschaft gewinnt, um sie gegen die andere in die ideologische Schlacht zu führen. Vielmehr muß man den größtmöglichen Kreis von Leuten ansprechen, um sie auch im Sinne von Selbstverantwortung für die Lösung der Probleme zu gewinnen. Es ist schon deprimierend, daß die Grünen, die am dichtesten dran waren an diesen systemsprengenden Ideen von Demokratie, Bürgerrechten, Pazifismus und damit am dichtesten an den erfolgreichen osteuropäischen Bewegungen, sich mit ihrer Links-Definition sozusagen an den Schwanz der Geschichte gehängt haben.

Knüpft nicht auch die Vorstellung einer ökologischen Bürgerrechtspartei und die Intention einer humaneren Gesellschaft an linke Traditionen an.

Was denn sonst. Daß Ökologie Bürger- und Minderheitenrechte, Demokratie und Freiheit Projekte sind, an denen die Linke existentiell und aus Tradition besonders engagiert sein müßte, habe ich immer als selbstverständlich angenommen. Einzig die linke Politikmethode, das Konfrontationsmodell, ist inzwischen der konservativste Ansatz, der gleichzeitig dümmer ist, als Politik heute sein darf. Dabei kamen meist nur historisches Überlegenheitsgefühl und praktische Niederlagen heraus.

Haben sich die Bedingungen, bei den Grünen „noch was erledigen“ zu können, seit Neumünster verbessert?

Die Grünen sind seitdem nicht gerade lebendiger geworden. Sie scheinen sich organisatorisch zu konsolidieren, doch ihre Ausstrahlung und ihr Flair gehen tendenziell gegen Null. Das muß etwas mit der Ebene zu tun haben, auf die man sich geeinigt hat: praktische Politik, orientiert auf das Bündnis mit der Sozialdemokratie mit dem ökologischen Umbauprogramm als Gral der Weisheit. Das aber ist im Kern nichts anderes als der Konsens der Enkelgeneration in der SPD, und ich stelle mir allmählich die bange Frage: Wieviel sozialdemokratische Parteien kann dieses Land noch vertragen?

Also doch eher schlechte Voraussetzungen für die Veränderung der Grünen?

Ich setzte schlicht darauf, daß es auch in einer so schnellebigen Organisation wie den Grünen, die ja nie ein wirkliches Verhältnis zu ihrer eigenen Geschichte entwickelt hat, doch so etwas gibt, wie eine Ahnung: da war doch noch mal was anderes... die Fähigkeit, Debatten zu führen, kreativ-überspringende Konzepte zu entwickeln, zu denen die Gesellschaft nicht nur murmelt: ordentlich, ordentlich, der Herr Trittin und der Herr Fischer.

Wie läßt sich denn dieser Kreativitätsschub organisieren?

Dazu kann man sich nicht willentlich entschließen, sondern das setzt voraus, daß man überhaupt neugierig darauf ist, was es an neuen Ideen gegeben hat und gibt. Das grüne Desinteresse gegenüber den Bürgerbewegungen ist ebenso symptomatisch wie das Verschwinden der profilierten Frauen aus der grünen Öffentlichkeit. Das traf ja wahllos Petra Kelly, Christa Nickels, Adrienne Göhler, Marie-Luise Beck-Oberdorf, Jutta Dithfurt oder mich. Eine merkwürdige Aufteilung ist das: Die Frauen erfüllen die alten Ideale der Grünen, Politik nicht zum Lebensberuf zu machen, während Personen mit den weitaus längeren Politikbiographien wie Volmer, Fischer, Trittin ungebrochen die grünen Außenposten verwalten. Die Weisheit, die hinter diesen Parteientscheidungen steht, will mir nicht recht einleuchten.

Seit dem Abgang der Fundamentalisten hat sich das verbliebene Spektrum offenbar arrangiert. Auch das ist ja kein Indiz für Erneuerungsbereitschaft...

...wenn es nicht zugleich korrespondieren würde mit den Erscheinungen auch in anderen gesellschaftlichen Gruppen. Wenn die Krise der Grünen zusammenfällt mit der Krise der taz oder der Krise von Greenpeace, dann deutet das eher darauf hin, daß eine erste große Phase der Bewußtwerdung der Gesellschaft vorbei ist, die vor allem skandalisiert, dramatisiert und mobilisiert hat. Das ist jetzt in den Chefetagen verstanden worden. Die zweite Phase ist gekennzeichnet dadurch, daß Technokraten diese Ideen in Politikverwaltung umsetzen. Da klinken sich auch die grünen Ministerien von Fischer und Trittin, Griefhan, Leinen oder Platzeck ein. Wind unter die Flügel kriegen wir aber erst wieder, wenn sich die Meinung durchsetzt, daß auch diese technokratische Problemeindämmungsstrategie nicht reicht. Wer kann denn eigentlich noch Momente von Eigenverantwortlichkeit, Entwicklung einer neuen Ethik der Produktion, eines gebremsten Konsumverhaltens, einer Philosophie des Teilens... so in der Gesellschaft verbreiten, daß es dafür Mehrheiten gibt? Da sähe ich in Zukunft eine der Hauptaufgaben der Bürgerrechtsbewegung oder auch der Grünen.

Das sind ja jetzt eher Visionen, die weder mit dem Zustand noch mit den aktuellen Machtverhältnissen in Ihrer Partei zu tun haben. Woher soll eigentlich der Veränderungsdruck kommen?

Obwohl sich niemand darüber aufregt, weiß heute jeder, daß der Reiz der Grünen heute wohl kaum ausreicht, um noch einmal in den Bundestag zu kommen. Da verbindet sich das politisch Notwendige mit dem nackten Überlebenswillen einer solchen Organisation. Auf lange Sicht reicht die Ausstrahlung der Grünen, die sich anschicken eine Altherrenpartei zu werden, nicht aus, auch nur ein Augenblinzeln junger Leute zu erzeugen. Diese kleiner werdende Partei droht ja mittlerweile unter dem stattlichen Gewicht eines Joschka Fischer zusammenzubrechen. Der stärkste Veränderungsdruck kommt aber aus dem praktischen Problem des Zusammengehens mit den Bürgerbewegungen. Das kann ich mir nur mit dem Ziel vorstellen, daß beide Parteien sich zugunsten einer neuen gemeinsamen politischen Organisation auflösen. Darin liegt Musik, weil man dann erstmals mit gutem Gewissen und hervorragenden Erfolgsaussichten Menschen auffordern könnte, in diesem fairen deutsch-deutschen Vereinigungsprojekt Mitglied zu werden.

Ist das der Weg, um zu einer veränderten grünen Partei zu kommen?

Ja, so könnte ich mir das vorstellen.

Ist das nicht doch eher eine Wunschprojektion als eine reale Möglichkeit? Es sieht ja nicht danach aus, als wollten die Grünen auf einen solchen idealtypischen Vereinigungsprozeß eingehen. Es scheint doch, daß sie die Bürgerbewegung als programmierten Ost- Ableger der Grünen begreifen...

...was man ab sofort vergessen kann. Dazu ist das Format des neugewählten Bündnis-Vorstands Gewähr genug. Der stärkste Druck geht allerdings von den Stellungnahmen aus, die die Grünen zu den anderen Parteivereinigungen abgegeben haben. Wer immer wieder gesagt hat, so dürfe man es nicht tun, darf es aus Gründen der Glaubwürdigkeit auch nicht so tun.

Ludger Volmer hat ja mal formuliert, es werde sich schon zeigen, wer die stärkeren Bataillone ins Feld zu führen habe.

Ich setze darauf, daß auch bei den West-Grünen der Wunsch nach dieser bürgerrechtlichen Prägung der Grünen und nach dieser inhaltlichen und personellen Nähe schon längst die Mehrheit hat.

Also alles in allem Optimismus?

Ich hatte jetzt seit Neumünster Zeit genug, manches zu sortieren, über einiges nachzudenken und gut auszuschlafen, und da bin ich doch in der Tat ganz optimistisch. Der Platz für die grünen Ideen ist durch die Entwicklung in Ost-Europa, die ökologische Dramatik und die Weltvölkerwanderung ja überhaupt nicht kleiner, sondern größer geworden. Wir Grünen müssen nur relativ wenig tun, um das Vertrauen wiederherzustellen, daß wir noch legitime Vertreter dieser Ideen sind, die in der Bevölkerung nach wie vor ungeheuer populär sind. Wenn man noch hinzunimmt, daß die Phase unserer Kinderkrankheiten vorbei ist und sich zwischen Ost und West einiges sehr reizvoll mischen kann — die Persönlichkeiten, die Praxistauglichkeit, die Selbstsicherheit, die aus dem historischen Erfolg kommt auf der Seite der Bürgerbewegung, die Sensibilität für Minderheitenkulturen, die Frauenpower und das ökologische Gespür auf Seiten der Grünen — diese Mischung, die wär's dann.

Das Interview führte

Matthias Geis