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Miskitos fühlen sich verraten

Die Bewohner der „Autonomen Region Nordatlantik“ Nicaraguas sind mit ihrer Regionalregierung, aber auch mit der Zentralregierung in Managua höchst unzufrieden —  ■ VON RALF LEONHARD

Jeden Abend verwandelt sich der Hauptplatz von Puerto Cabezas in ein betriebsames Pflaster. Im Dämmerschein der wenigen Laternen drängt sich die Jugend des Ortes an den Schaltern der zwei Kinos. Zur Wahl stehen Arnold Schwarzenegger als Conan, der Barbar und Marcello Mastroianni in einem verstaubten Agentenschinken. Wer wegen Platzmangels draußen bleiben muß, steht, unberührt von den dröhnenden Reggae-Rhythmen aus der Diskothek „Jumbo“, vor einem der vielen Frittierstände und tröstet sich mit Dingen, die aus dem heißen Kokosfett geholt werden. Ein Jugendlicher bietet diskret Marihuana zum Verkauf an: Von irgendwo zieht ein Wölkchen des süßlichen Grasgeruchs vorbei. In den Restaurants, die mit Schummerlicht und dröhnender Musik der Diskothek Konkurrenz machen wollen, herrscht dennoch gähnende Leere. Ein Schweinskotelett kostet soviel wie in Managua, ein Bier doppelt soviel. Nur Langusten und Shrimps sind etwas billiger. Außer Meeresfrüchten und Kokosnüssen werden praktisch alle Nahrungsmittel aus der Hauptstadt eingeflogen, selbst Bananen.

Puerto Cabezas, die Hauptstadt der „Autonomen Region Nordatlantik“, Karibikhafen und Handelszentrum der Miskito-Indianer, ist deutlich gewachsen in den letzten Jahren. Repatriierte Flüchtlinge und demobilisierte Miskito-Guerilleros haben das verschlafene Städtchen und die Arbeitslosenzahlen anschwellen lassen. Auch der Handel hat seit dem Regierungswechsel vor anderthalb Jahren zugenommen, das Warenangebot ist jedoch nach wie vor dürftig. Knabbergebäck, hausgemachtes Speiseeis im Plastikbeutelchen, Zigaretten und Kaugummis werden in jedem dritten Haus angeboten. Quartier ist knapp und teuer. Die Übernachtung in einem fensterlosen, moskitoverseuchten Loch im „Traveller's Rest“ kostet soviel wie etwa in einer Frühstückspension im Salzkammergut.

Seit dem Vorjahr stellt die Indio- Organisation „Yatama“ die Regierung und hält die Mehrheit im erstmals konstituierten Regionalparlament. Yatama ist aus den Organisationen „Misurasata“ und „Misura“, später „Kisan“, hervorgegangen, die jahrelang gegen die Sandinisten Krieg geführt hatten. Die 1984 geführten Friedensgespräche auf verschiedenen Ebenen und mit verschiedenen, damals rivalisierenden Gruppen hatten bereits 1988 zu einer weitgehenden Entspannung geführt. Die endgültige Demobilisierung aller bewaffneten Gruppen gelang jedoch erst nach der Wahlniederlage der Sandinisten. Die Soldaten, die vor ein paar Jahren noch das Stadtbild von Puerto Cabezas beherrschten, sind bis auf ein paar symbolische Einheiten verschwunden. Und waren es früher fast nur „Espandoles“— Leute von der Pazifikhälfte des Landes —, die die Uniform der sandinistischen Armee trugen, so dominieren heute die Einheimischen. Die Militärstützpunkte weiter im Landesinneren sind bis auf ganz wenige aufgegeben worden, die hölzernen Wachtürme an den strategischen Stellen sind verlassen und baufällig.

Warten auf Spenden

In der Miskito-Gemeinde Bum Sirpi, eine Autostunde nördlich von Puerto Cabezas, dient eine rostige Sauerstoffflasche, wie sie von Tiefseetauchern benutzt wird, als Glocke der mährischen Kirche. Beim Glockenschlag strömen die Einwohner zum hölzernen Kirchengebäude auf einer kleinen Anhöhe. John Wilson, der mährische Bischof, ist gekommen, um zu seiner Gemeinde zu sprechen. Bum Sirpi („Der kleine Boom“) verdankt nicht nur seinen Namen, sondern sogar seine Existenz dem Bananen-Boom vor fünfzig Jahren. Die Bananenplantagen der Standard Fruit Company sorgten für Arbeit. Zuerst gingen nur die Männer in die Plantagen, später folgten die Familien nach und gründeten eine neue Dorfgemeinschaft. Sogar eine Eisenbahn wurde vom US-amerikanischen Fruchtmulti angelegt, die die Plantagen mit dem Hafen von Puerto Cabezas verband. Über die Straße, die hier vorbeiführt, gelangt man ins Minengebiet und bis nach Matagalpa in der westlichen Landeshälfte. Von der Eisenbahn ist heute nichts mehr zu sehen, und auch die Bananen sind verschwunden — noch lange vor der sandinistischen Revolution. Der Boom hat nur seinen Namen hinterlassen und die Erinnerung an die guten Zeiten, als Arbeit reichlich war und Nahrungsmittel billig.

„Die autonome Regierung tut nichts für uns“, klagt Dionisio Siles, ein 29jähriger Demobilisierter, der einst vom Gymnasium direkt in den Krieg zog. „Wir brauchen Arbeit.“ Leonel Pantin, der Gouverneur in Puerto Cabezas, sei selbst schuld, „er steckt das Geld selber ein und tut nichts für uns“. Pantin sei Sandinist, versichert der Reisbauer Santos Vance, „er hat nie gekämpft“. Das Autonomiestatut, das bereits seit über einem Jahr in Kraft ist, habe überhaupt keine positiven Auswirkungen: „Sie sagen, wir sollen die löchrige Straße selbst in Ordnung bringen. Das ist die Autonomie.“

Undurchsichtige Verträge

Die Unzufriedenheit mit Pantin und der Yatama-Regierung in Puerto Cabezas ist überall zu hören. Außer seinem Privathaus, einem doppelgeschossigen Gebäude in zentraler Lage, sei während der letzten Monate nichts besser geworden. „Was sollen wir denn machen“, seufzt der Gouverneur, „mit einem Jahresbudget von 400.000 Dollar können wir nicht viel anfangen. Die Zentralregierung in Managua trocknet uns aus.“ Obwohl der autonomen Regierung ein Mitspracherecht bei der Verwendung der lokalen Ressourcen zusteht, würden hinter ihrem Rücken in Managua Konzessionen vergeben. Doch auch die Transaktionen in Puerto Cabezas selbst sind alles andere als durchsichtig. Vor ein paar Monaten flog ein Vertrag auf, in dem Pantin einer dubiosen Firma mit Sitz in den USA auf unbeschränkte Zeit ein Fischereimonopol einräumen wollte. Und was mit dem Holz geschieht, das landeinwärts geschlagen wird, ist bisher nicht befriedigend geklärt worden. Ehemalige Yatama- Kämpfer bekamen jedenfalls zur „landwirtschaftlichen Nutzung“ riesige Waldgebiete zugewiesen.

Brooklyn Rivera, der Anführer von Yamata, hatte wenige Wochen vor den Wahlen eine Allianz mit Violeta Chamorro geschlossen. Das konservative Bündnis UNO versprach plötzlich, sich für Autonomie und Rechte der Indios einzusetzen. Nach dem Wahlsieg wurde ein eigenes „Institut für die Autonomen Regionen“ (INDERA) geschaffen und Brooklyn Rivera mit dem Ministerposten belohnt. Allen, die jahrelang für Autonomie gekämpft hatten — sei es mit der Waffe, sei es mit den prosandinistischen zivilen Instanzen—, bedeutete das einen Schlag ins Gesicht. Schließlich steht die Schaffung einer neuen Zentralinstanz in offenem Widerspruch zu den Bemühungen um Selbstverwaltung. „Anfangs versuchte die Regierung sogar, unser knappes Budget über die INDERA zu kanalisieren, klagt Pantin. Brooklyn Rivera versucht nun, seine Basis bei der Stange zu halten, indem er jedes Wochenende von Managua eingeflogen kommt und stundenlang über „Radio Miskut“ spricht. Der Kurzwellensender ist auch in den entlegensten Gemeinden noch zu hören. Doch weder die Regierung noch Yatama oder gar die diskreditierten Sandinisten lassen sich regelmäßig blicken. Die einzigen Funktionäre, die alle Gemeinden systematisch besuchen und sich um deren Probleme kümmern, sind die Führer der mährischen Kirche. Die „Moravos“ — ein Ableger der hussitischen Brudergemeinde im böhmischen Herrenhut — hatten bereits 1830 begonnen, die Atlantikküste zu missionieren. Die katholische Kirche hat erst seit Ende des letzten Jahrhunderts feste Missionsstationen in der Region. Die Miskitos, vor allem in den Küstendörfern und im Tiefland, gehören fast alle der mährischen Kirche an. Zahlreiche mährische Pastoren spielten führende Rollen im anfangs ideologischen, später bewaffneten Kampf gegen die Sandinisten, und viele Militärführer von Yamata standen unter dem Einfluß der „Moravos“.

Überlebensstrategien

In Bum Sirpi lauscht man geduldig den versöhnlichen Worten von Bischof Wilson. Doch von Versöhnung mit den Sandinisten wollen die meisten nichts wissen. „Wir haben gehört, daß die Sandinisten in Managua mitregieren. Arme Dona Violeta“, heißt es. Die Leute in den Dorfgemeinden hatten die Revolutionäre in Gestalt von Militärs kennengelernt, die sich meist als für die Eigenheiten der Atlantikküste völlig unsensibel erwiesen. Aus den Berichten über tatsächliche Übergriffe und Morde wurden unter dem Eindruck der jahrelangen Militarisierung der Region Legenden über systematische Grausamkeiten der Sandinisten. Daß die Revolutionsregierung das mangelnde Vertrauen der einheimischen Bevölkerung durch wirtschaftliche Gaben auszugleichen versuchte, wird ihr nicht angerechnet. Gleichzeitig gewöhnten sich die Indios jedoch an die ständige Belieferung mit Nahrungsmitteln, Saatgut und Werkzeug. Landwirtschaft war während des Krieges nur beschränkt möglich, die ständige Lebensmittelversorgung von außen überlebensnotwendig.

Die aus der Zeit der „Companies“ an Lohnarbeit gewöhnten Indios betreiben den Ackerbau ohnehin nur aus Subsistenzgründen. Jede andere Tätigkeit ziehen sie vor. So gelang es den Gemeinden an der Straße nach Waspam am Rio Coco, die längst fällige, von den USA finanzierte Ausbesserung der Schotterpiste um Monate zu verzögern, weil ihnen sonst eine Einkommensquelle verlorengehen würde. In den Dörfern stehen Arbeitstrupps bereit, die jedes Fahrzeug — gegen saftiges Entgelt — aus den tiefen Schlammlöchern hieven, in denen es unweigerlich steckenbleibt. Und das Bauholz für die Instandsetzung der Brücke von Sisin wurde zweimal von Dorfbewohnern gestohlen: Solange die Brücke unpassierbar war, verdienten die Frauen prächtig an den Imbißständen, die sie am Flußufer errichteten. Denn wer von Puerto Cabezas nach Waspam oder umgekehrt wollte, mußte den Fluß zu Fuß überqueren und auf der anderen Seite auf den Weitertransport warten. Das kostete mehrere Stunden. Seit Ende Juli ist die strategische Brücke, die zweimal von Yatama gesprengt und zuletzt vom Hochwasser weggespült wurde, wieder passierbar. Und an der Straße sind Bautrupps unterwegs, die angefangen haben, die Löcher zu stopfen. Dennoch braucht ein Lastwagen für die 130 Kilometer lange Strecke gute sechs Stunden.

Neues Leben in Waspam

In Waspam ist es daher einfacher, viele Waren aus dem benachbarten Honduras zu beziehen als über Puerto Cabezas aus Managua. Die US- Armee hatte im vergangenen Jahrzehnt während der zahlreichen Manöver in der dünnbesiedelten honduranischen „Mosquitia“ Landepisten gebaut und in Grenznähe Straßen für einen allfälligen Einmarsch in Nicaragua angelegt. Waspam war das wirtschaftliche und intellektuelle Zentrum der Miskito-Region, bis 1982 die Attacken aus Honduras begannen und die Sandinisten alle Dörfer entlang des Flusses evakuierten. Der einst pulsierende Ort verwandelte sich in ein Militärlager. 1985 begann die Wiederbesiedlung, doch erst mit dem Frieden war eine systematische Rückkehr möglich. Überall wird jetzt gebaut. Edelholz aus den Gemeinden flußaufwärts ist zu Spottpreisen zu haben, Zement, der aus Managua kommen muß, kostet ein kleines Vermögen. Die Bevölkerung ist hier stark durchmischt. Während in den Miskito-Dörfern außer dem Pastor und dem Lehrer kaum einer Spanisch spricht, existieren hier Miskito, Spanisch und das kreolische Englisch als gleichberechtigte Sprachen. Auch der Haß gegenüber der ehemaligen Regierung ist differenzierter. „Die Sandinisten haben zumindest etwas getan und hier Strom eingeleitet“, murrt Matamoros, der Schuster, der sich vergeblich bemüht, seinen Außenbordmotor instand zu setzen, „die neue Regierung sackt alles selber ein.“ Er weiß von einer Spende für den Ausbau einer Schule, die spurlos verschwunden sei. In Waspam ist das Leben mühsam und teuer.

Ausweg Droge

Kein Wunder, daß viele einen illegalen Ausweg aus der Misere suchen. Einbrüche und Straßenraub gehören in den einst friedlichen Dörfern zum Alltag. Und der Drogenhandel hat sich zu einem ernsten Problem entwickelt. Die heiße Ware kommt aus den Küstendörfern, wo sie in Zentnersäcken angeschwemmt wird. In einigen Gemeinden, wie Snady Bay, tauschen Fischer auf hoher See bei kolumbianischen Zwischenhändlern Langusten und Shrimps gegen Kokain und Marihuana. In anderen, speziell in den Ufergemeinden südlich von Puerto Cabezas, wo die Fischer keine seetüchtigen Boote haben, kommt der Segen aus dem Meer wie das Manna vom Himmel. Teils sind es Ladungen, die von Schmugglern über Bord geworfen wurden, als eine Inspektion drohte, teils dürften es abgetriebene Teile größerer Ladungen sein, die die Kontaktleute aus dem Wasser fischen sollten. Manche mutmaßen, daß gerissene Dealer gezielt Kokain und Gras vor den Küsten deponieren, um einen Markt zu schaffen. Die Miskito-Fischer bringen das Kraut nach Puerto Cabezas, von wo es nach Managua oder über Waspam nach Honduras weiterverschoben wird. An der Atlantikküste selbst wird noch wenig, aber zunehmend konsumiert. Denn an die Jugendlichen wird das Zeug gratis verteilt. Das Problem ist immerhin so ernst, daß in den kleinen Dörfern die Altenräte soziale Sanktionen verhängen: Jugendliche, die beim Rauchen erwischt werden, müssen mit geschorenen Köpfen herumlaufen. Die an Rauschmittel nicht gewöhnten Indios werden unberechenbar. In der Gemeinde Auya Pihni erschlug ein Bekiffter seinen Nachbarn. Und auch beim mysteriösen Mord der Frau eines Cousins von Brooklyn Rivera dürften Drogen im Spiel gewesen sein. Die Ermittlungen kamen zum Stillstand, als der Minister seinen tatverdächtigen Vetter nach drei Tagen aus dem Gefängnis holte. An den Polizeikontrollen am Flughafen und auf den Landstraßen könnte jeder Amateur Kokain kiloweise vorbeischleusen. Leonel Pantin beteuert trotzdem, daß der Drogenschmuggel bereits im Rückgang sei. Die geringere Polizei- und Armeepräsenz ist jedenfalls eine Konsequenz der regionalen Autonomie.

Was Autonomie sonst noch bedeutet, ist den wenigsten klar. Für die Miskitos in den Dörfern heißt sie Bewegungsfreiheit, für andere ist sie überhaupt eine Erfindung des ehemaligen Innenministers Tomas Borge, der jahrelang für die Atlantikküste zuständig war. Zwar ist das Autonomiestatut längst in Kraft, doch fehlt eine Durchführungsverordnung, die die Kompetenzaufteilung zwischen Managua und den Regionen regelt. Das Forschungszentrum für die Atlantikküste hat dafür einen Vorschlag entwickelt, der mit der Regionalregierung abgestimmt wird und dann den einzelnen Dörfern zur Diskussion vorgelegt werden soll. Dort herrscht derzeit noch Skepsis. Die Forderung nach Selbstverwaltung hat nach der Ablösung der Sandinisten an Bedeutung verloren, und man erinnert sich mit Wehmut an die Zeiten, als der Reichtum der Region — Bodenschätze, Wälder und Meeresfrüchte — von transnationalen Unternehmen augebeutet wurde. Am besten, so versichert ein alter Mann in der Gemeinde Krukura, „ging es uns unter Somoza mit den ausländischen Companies“.

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