INTERVIEW: „Für eine Intervention kommt die WEU nicht in Frage“
■ Der Philosoph Zarko Puhovski zu einem möglichen Einsatz von Friedenstruppen in Jugoslawien
Gestern begann in Brüssel eine erweiterte EG-Außenministerkonferenz. Wichtigster Punkt der Tagesordnung: Jugoslawien. Von der WEU waren verschiedene Expertengutachten über eine Stabilisierung des Waffenstillstands angefordert worden. Zarko Puhovski (45) aus Zagreb schlägt ein ganzes Instrumentarium von Maßnahmen vor, um den Krieg in Jugoslawien zu beenden. Der Philosoph und politische Berater hat Ende der achtziger Jahre die „Gesamtjugoslawische Aktion“ mitgegründet, die eine Demokratisierung des gesamten Landes anpeilte.
taz: Macht es jetzt noch einen Sinn, Friedenstruppen nach Kroatien zu schicken?
Zarko Puhovski: Erst einmal möchte ich feststellen, daß vom völkerrechtlichen Standpunkt aus nur die UNO und KSZE für eine Intervention in Frage kommen, nicht jedoch die WEU. Wenn wir Frieden haben wollen, müssen die Bürgerkriegsparteien, vordringlich die jugoslawische Armee, entwaffnet und die Rekrutierungen eingestellt werden. Es gibt keine politische Kontrolle mehr über die Volksarmee. Auch der serbische Präsident Milosevic befehligt nur über 70 bis 75 Prozent der serbischen Kräfte in Kroatien. Das Verzwickte an der Situation ist freilich, daß die Freischärler nur durch die Armee entwaffnet werden könnten, denn nur ihr gegenüber würden sie sich ergeben. Die serbischen Milizen in Knin beispielweise sind psychologisch gar nicht imstande, gegen die Armee zu kämpfen, gegenüber ausländischen Truppen hingegen würden sie es jederzeit tun. Das muß man klar sehen. Es ist also ein sehr verworrenes Szenario. Man müßte den Offizieren eine Perspektive anbieten, eine Absicherung ihrer beruflichen Laufbahn, also kurz einen Sozialplan, der sie ökonomisch befriedigt. Gleichzeitig muß es auch eine Amnestie geben, das ist zwar nach den vielen Verbrechen sehr schwer einzusehen, aber man muß es tun, um sie von ihrem gefährlichen Tun abzubringen.
Und auf der anderen Seite, bei den Kroaten und Slowenen?
Die westliche Politik hat leider schwere Fehler gemacht, auch Außenminister Genscher. So wurde z.B. die diplomatische Anerkennung Sloweniens und Kroatiens vom Fortgang des Krieges abhängig gemacht — nach dem Motto: je härter der Krieg ist, desto größer die Chancen für eine Anerkennung Sloweniens und Kroatiens. Damit wollte man Serbien und die Armee unter Druck setzen. In Kroatien und Slowenien wurde dies wiederum so aufgenommen, als brauche man nur den Konflikt zu eskalieren, um eine Anerkennung zu erreichen. Wenn von westlicher Seite gesagt worden wäre, es gebe keine völkerrechtliche Anerkennung der jugoslawischen Republiken, solange der Krieg anhält, wäre die Bereitschaft zum Waffenstillstand gewachsen.
Nun hat sich die Lage aber anders entwickelt. Wie kann denn jetzt angesichts des Vormarsches der Armee ein solcher Deeskalationsprozeß eingeleitet werden?
Man könnte die diplomatischen Kontakte zu Jugoslawien abbrechen, denn nur über die diplomatische Anerkennung lebt Jugoslawien als Gesamtstaat weiter. Wenn alle Botschafter Belgrad verlassen würden, wäre der jugoslawische Staat am Ende. Flankierend dazu müßte man die friedlichen Teile Jugoslawiens anerkennen. Dann müßte gedroht werden, daß alle Republiken, die den Krieg weiter schüren, weder diplomatisch noch ökonomisch anerkannt werden. Danach könnten völkerrechtliche Prozesse eingeleitet werden gegenüber denjenigen, die weiterkämpfen. Wichtig ist, nach allen Seiten Druck zu entfalten, was auch die Entwaffnung in Serbien und Kroatien einschließt, vorausgesetzt, es gelingt, die Armee zu demobilisieren.
Aber dieser Plan kann doch nur funktionieren, wenn sich alle Beteiligten an die Etappen halten. Das aber ist unter den gegebenen Voraussetzungen äußerst unwahrscheinlich. Es gibt viele Unbekannte in dieser Rechnung. Es besteht die Gefahr, daß Friedenstruppen zu Kampftruppen werden, dann nämlich, wenn sie gegen einzelne Gruppen wie die Milizen von Knin mit Gewalt vorgehen müssen. „Mourir pour la Yougoslavie“ — wer will dies in Europa schon? Das kann sehr schnell zu einer Umkehrung der Bereitschaft zur Entsendung von Friedenstruppen führen.
UNO-Truppen können erst intervenieren, nachdem ein allseitiger Druck stattgefunden hat, wie ich ihn beschrieben habe. Dann gibt es für alle Beteiligten keine andere Wahl als die Verhandlungen.
Wie verhält sich denn der kroatische Präsident Tudjman zu diesem Friedenstruppenkonzept?
Tudjman hat in Kroatien eine mäßigende Postition eingenommen. Sowohl der radikale Flügel in seiner eigenen Partei als auch die Parlamentsparteien, die sogenannten Liberalen und Sozialdemokraten, die sich in letzter Zeit in dieser Hinsicht radikalisiert haben, wollen weiterkämpfen. Auch einige Kommunisten haben gesagt, man sollte nun die Kämpfe in Serbien einleiten, also zu einer Gegenoffensive übergehen. Tudjman, der früher als Falke galt, ist also nun in eine moderate Position geraten. Als General weiß er, über welche Machtmittel die Armee heute noch verfügt. Er ist bereit, alles zu akzeptieren — unter zwei Bedingungen: Erstens keine Kämpfe mehr, zweitens, die Armee muß sich zurückziehen. Und das ist die Voraussetzung für die völkerrechtliche Anerkennung, das übersehen die anderen. Denn zu einem Staat gehört die Kontrolle der Regierung über das Staatsgebiet. Die kroatische Regierung hat nicht mehr die Kontrolle über das kroatische Territorium. Erst wenn die Armee draußen ist, könnte Tudjman mit Serbien verhandeln, jetzt kann er es nicht, weil die Serben in der Oberhand sind.
Langfristig wird Kroatien den Krieg gegen die Armee nicht verlieren, aber es ist nicht unwichtig, ob die Armee 500 oder 50000 Tote hinterläßt. Aber andererseits können die Kroaten nicht gegen die serbische Minderheit gewinnen. Denn eine zwölf Prozent starke Minderheit kann sehr wohl immer wieder Aktionen unternehmen, die ein normales Leben nicht zulassen.
Im Falle der Niederlage der einen wie der anderen Seite droht also ein Problem des Terrorismus. Kroatische Untergrundkämpfer würden genauso bomben wie die serbischen. Es muß also zu einem Ausgleich zwischen Kroaten und Serben kommen, wenn man später überhaupt einmal politisch und ökonomisch weiterkommen will.
Im Interesse der Befriedung der Situation müßten die Diskussionen über die Grenzen zwischen Serbien und Kroatien für einen gewissen Zeitraum suspendiert werden, mit dem Recht auf ein Referendum für die betroffene Bevölkerung. Dann könnte man eine dem österreichischen Modell von 1955 nachempfundene rechtliche Konstruktion schaffen. Jugoslawien wurde das Recht eingeräumt, die slawische Minderheit in Österreich zu schützen. Dieses Recht müßten die Serben und die Kroaten gleichermaßen für ihre Minderheiten außerhalb ihrer eigenen Grenzen erhalten. In dieser Phase würde sich herausstellen, ob die Kroaten das Format haben, gegenüber den Serben eine demokratische Lösung anzubieten. Interview: Erich Rathfelder
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