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Kinnock spielt den starken Mann

Der britische Labour-Chef setzt sich gegenüber seiner Parteilinken durch/ Militant-Mitglieder aus der Partei ausgeschlossen/ Dennoch zweifeln viele WählerInnen Kinnocks Führungsqualitäten an  ■ Von Ralf Sotscheck

Fünf Minuten vor zwölf kommen der britischen Labour Party offenbar Zweifel an den Qualitäten des Parteichefs Neil Kinnock. Ausgerechnet sein Stellvertreter Roy Hattersley forderte die Parteiführung am Sonntag auf, im Wahlkampf nicht nur auf Pragmatismus zu setzen, sondern den „Idealismus der Labour Party“ stärker zu betonen — eine kaum verhohlene Kritik an Kinnock, der die sozialistische Parteiideologie zugunsten einer Sozialdemokratisierung abgeschafft hat.

Die WählerInnen bestätigen Hattersleys dunkle Vorahnungen: Eine Umfrage am Vorabend des Labour- Parteitages, der am Sonntag im südenglischen Seebad Brighton begann, hat ergeben, daß 35 Prozent der Befragten den Parteichef als Haupthinderungsgrund bezeichneten, für Labour zu stimmen.

Vor den nächsten Wahlen droht Kinnock jedoch keine Gefahr. Es gelang ihm bei der Eröffnung des Parteitages, die Angriffe vom linken Parteiflügel souverän abzuwehren. Die Delegierten bestätigten mit überwältigender Mehrheit den Ausschluß von Terry Fields und Dave Nellist, die der trotzkistischen Militant-Fraktion angehören. Verschiedene Delegierte verglichen die Kinnocksche Säuberungsaktion, der bereits über 200 Parteimitglieder zum Opfer gefallen sind, mit Stalins Politik, Bürger zu „Unpersonen“ zu deklarieren. Darüber hinaus will Kinnock durch eine Reform der Wahlprozedur dafür sorgen, daß Tony Benn — seit Jahrzehnten eine Institution in der Labour-Linken — seinen Sitz im Parteivorstand verliert.

Auch bei der Abrüstung zog die Linke am Sonntag den kürzeren: Ihr Antrag, die britische Trident-Flotte nach einem Labour-Wahlsieg einzumotten, wurde bei nur vier Gegenstimmen abgeschmettert. Doch damit nicht genug — der Parteivorstand lehnte es mit 2:1-Mehrheit ab, den britischen Rüstungshaushalt „auf das durchschnittliche westeuropäische Niveau“ zu senken. Benn warf Kinnock vor, daß ihn die Angst vor Stimmverlusten in der Abrüstungsfrage offenbar gelähmt habe.

So sind vom Parteitag in dieser Woche keine Überraschungen zu erwarten. Ohnehin sind die Zeiten, in denen sich die verschiedenen Flügel zum Vergnügen der Medien und der Tories gegenseitig zerfleischten, seit Kinnocks Amtsübernahme vorbei. Kontroverse Punkte werden im Vorfeld hinter verschlossenen Türen ausgeräumt, der Parteitag auf Harmonie getrimmt. Für Kinnock geht es in seiner 45minütigen Rede heute nachmittag darum, die von ihm selbst ausgehöhlte Floskel vom „demokratischen Sozialismus“ wieder mit Leben zu erfüllen. Ob sein selbstbewußtes Auftreten gegenüber der Parteilinken ausreicht, der Labour Party die von Hattersley geforderte „Vision“ zu geben, ist fraglich.

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