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Polens Watergate

Hunderte Millionen Dollar wanderten in dunkle Kanäle; „schwarzes Loch“ in Lugano und ein Toter in Warschau; statt Schuldendienst Subventionen für Blockparteien; Selbstbedienungsbank der Genossen; Parteigeld auf der Flucht; Bündnis zwischen altem und neuem Establishment —  ■ AUS WARSCHAU BERICHTET KLAUS BACHMANN

Michal Falzmann, Wirtschaftsprüfer des Polnischen Obersten Rechnungshofs, starb am 18. Juli 1991 an einer Herzattacke. Zuvor hatte er, so erklärte später ein enger Mitarbeiter Falzmanns, Drohungen ehemaliger Geheimdienstler erhalten. Falzmann war bei einer Kontrolle der Warschauer Bank Handlowy auf Spuren gestoßen, wonach mit Hilfe des Polnischen Schuldenfonds gewaltige Unterschlagungen begangen worden waren. Experten schätzen die Summe, die so verschwunden ist, inzwischen auf mindestens mehrere hundert Millionen Dollar.

Der Fonds wurde Mitte Februar 1989 gegründet. Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, daß Polens Kommunisten zumindest einen Teil der Macht würden abgeben müssen. Der Runde Tisch ging in seine heiße Phase. Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit verabschiedete das von der PVAP und ihren Blockparteien beherrschte Parlament ein Gesetz, mit dem Polens Schuldendienst aus der Bank Handlowy, Polens größter staatlicher Devisenbank, ausgegliedert wurde. Bis dahin hatten die gesamten Staatsschulden die Bilanz der Bank belastet.

Chef des Schuldenfonds wurde Grzegorz Zemek, seine Stellvertreter waren Janina Chim und Marek Gadomski. Sie erhielten den Auftrag, insgeheim einen Teil von Polens Schulden bei kommerziellen Westbanken zurückzukaufen. Deren Wert war in manchen Monaten auf weniger als 20 Prozent des Nominalwerts gesunken, so daß die Prozedur recht erfolgversprechend aussah. Da solche Praktiken zwar bei Schuldnerländern sehr beliebt, aber zugleich aufgrund der Schuldenabkommen meist illegal sind, erhielt die Fonds-Leitung nahezu unbegrenzte Vollmachten. Jahrelang arbeitete der Fonds unbehelligt von Kontrollen und Aufsichtsgremien im geheimen, er durfte Kredite vergeben, Kredite aufnehmen, investieren, ja sogar Anteile an ausländischen Betrieben erwerben. Bei seinen ausländischen Partnern galt der Fonds schlicht als „polnische Staatsbank“, obwohl er dem polnischen Bankengesetz nicht unterlag. In Wirklichkeit funktionierte er als Selbstbedienungsladen für Zemek, Chim und deren Mitverschworene.

Im April 1989 erwarb der Fonds 80 Prozent der Aktien des französischen Agrarkonzerns Agri International, angeblich über den Warschauer Elektrokonzern Elpol SA. Die Elpol steht jedenfalls im Handelsregister von Lille als Hauptaktionär. Die Warschauer Geschäftsführung von Elpol weiß allerdings nichts von ihrem Glück. Die Konzession der französischen Behörden für die Agri-Übernahme wurde nämlich auf den Schuldenfonds ausgestellt. Vor den Untersuchungsbehörden soll Zemek— der inzwischen verhaftet wurde — ausgesagt haben, die Aktien seien über eine Option an die Luganer Mediocredito Commerciale Bank gelangt und damit aus dem Zugriffsbereich der polnischen Behörden verschwunden. Das ist um so peinlicher, als Teile des somit verschwundenen Agri-Kapitals in Polen wieder angelegt wurden. Agri International lieferte 1990 für insgesamt 3,5 Millionen Francs Landmaschinen nach Polen und gründete anschließend ein Joint- venture mit drei polnischen Staatsfirmen, von dem nun auch niemand zu sagen weiß, wem es tatsächlich gehört. Nach wie vor figuriert Untersuchungshäftling Grzegorz Zemek als offizieller Agri-Repräsentant im Handelsregister von Lille. Dieses Muster wiederholt sich noch bei anderen Transaktionen — sie haben gemein, daß man im allgemeinen heute kaum noch feststellen kann, wer tatsächlich davon profitiert. Grzegorz Zemek und seine Stellvertreterin Janina Chim wurden im Juli 1990 wegen ihrer dubiosen Buchhaltung aus der Führung des Fonds entlassen. Zemek blieb allerdings Berater seines Nachfolgers und verhandelte weiter mit seinen ausländischen Kontrahenten. Nur er kannte sich in dem Durcheinander, das er angerichtet hatte, wirklich aus. Kurz darauf gründeten Zemek und Chim zusammen mit dem Chef des polnischen Außenhandelskonzerns Universal, Dariusz Przywieczerski, die Privatfirma „Trading Assets Company“, die versuchte, einen Teil der Fonds-Transaktionen auf eigene Rechnung weiterzuführen. Die Büroräume beider Firmen wurden im Gebäude von Universal angemietet, Universal-Chef Przywieczerski übernahm ein Drittel der Anteile. Die Firma, so Przywieczerski heute, sollte mit Wechseln handeln und Schulden aufkaufen. Das tat sie auch, bis die Staatsanwälte dann bei einer Haussuchung Dokumente des Schuldenfonds in den Büros und in Zemeks Privatwohnung fanden. Tatsächlich hatten Zemek und Chim manche der Transaktionen des Fonds auf eigene Rechnung weitergeführt. Davon will Przywieczerski allerdings nichts gewußt haben.

Von Anfang an herrschten zwischen Fonds, Trading Assets und Przywieczerskis Firmenimperium besondere Verhältnisse. Przywieczerski hatte 1989 bereits mit zahlreichen Prominenten die private „Bank für Wirtschaftsinitiativen“, werbewirksam abgekürzt: BIG- Bank, gegründet, die sich in kürzester Zeit zur erfolgreichsten Bank Polens entwickelte. Einer der Mitgründer hieß Andrzej Olechowski, inzwischen Vizeminister für Außenhandel. Stellvertretender Verwaltungsratspräsident wurde der frühere Vizefinanzminister Slawomir Marczuk, Verwaltungsratsmitglied ist Janina Boniuk, zugleich eine der Hauptaktionäre und Schwester des amtierenden Vizefinanzministers Jan Boniuk. Boniuk und Marczuk hätten als Aufsichtsräte des Schuldenfonds eigentlich Zemeks Tätigkeit überwachen sollen — statt dessen profitierten sie indirekt davon.

Die BIG-Bank erhielt am 20.2.90 aus dem Schuldenfonds über die Nationalbank einen Vorzugskredit von 160 Milliarden Zloty. Nur sechs Tage später überwies sie 100 Milliarden an die staatliche PKO-Sparkasse weiter und verdiente so an der Zinsdifferenz 2 Milliarden Zloty. Kurz darauf versorgten sich zahlreiche Prominente aus dem PVAP-Umfeld bei der anstehenden Kapitalerhöhung der BIG-Bank mit Aktien: Neben Przywieczerski und Marczuk war auch der ehemalige kommunistische Regierungssprecher Jerzy Urban mit von der Partie.

1989, als Przywieczerski als „unabhängiger Kandidat“ mit dem Segen der Kommunisten gegen Solidarność bei den Wahlen antrat, trug auch Zemek sein Schärfchen bei. Josef Weinfeld, damals Großkunde des Fonds: „Wir erhielten damals eine Überschuß- Überweisung des Fonds von 310.000 Dollar, von denen ich in einem Koffer wieder 250.000 Dollar nach Polen mitbringen sollte. Zemek sagte, das Geld sei für den Wahlkampf seines Freundes Przywieczerski.“ Zemek, damals immerhin im Range eines Vizeministers, schmuggelte Weinfelds Geldkoffer am Zoll vorbei und kutschierte den Belgier anschließend nach Wloclawek, wo Przywieczerski gerade eine Wahlparty gab. Przywieczerski weist den Vorwurf, er habe seinen Wahlkampf auf Staatskosten geführt, weit von sich. Seine Finanzierung sei 1989 amtlich überprüft und nicht beanstandet worden. Stimmt: 1989 schickte Przywieczerskis Parteifreund und damaliger Außenhandelsminister Dominik Jastrzebski zwei Prüfer zu Universal, die dem Firmenboß auch prompt einen blütenweißen Persilschein ausstellten. Der Vorwurf, eine Viertelmillion Dollar eingesteckt zu haben, war ihnen damals allerdings nicht bekannt, und so überprüften sie ihn auch nicht. Sollte Przywieczerski das Geld bekommen haben, so befindet er sich in guter Gesellschaft. Auch die Demokratische Partei, damals noch prokommunistisches Anhängsel der PVAP, wurde über eine parteieigene Firma mit billigen Krediten subventioniert. Tadeusz Bien, heute Abgeordneter von Bieleckis Liberalen und damals Führungsmitglied der Demokratischen Partei: „Im Frühjahr 1990 hatte die Partei plötzlich eine Unmenge Geld, dessen Herkunft uns Parteichef Mackiewicz nicht erklären wollte.“ Ein Teil der Führung trat daraufhin aus der Partei aus. Heute weiß man, daß es sich um einen 4,8-Milliarden-Zloty-Kredit handelte, den Zemeks Schuldenfonds der Partei gewährt hatte. Sicherheit war ein 500.000-Dollar- Guthaben der Partei bei der Mediocredito Commerciale in Lugano. Wer es allerdings dort einbezahlt hat, konnte Mackiewicz bisher nicht erklären.

Daß unzählige Spuren in der Schuldenaffäre ausgerechnet bei der MCC-Bank in Lugano enden, ist kein Zufall. Allein zeichnungsberechtigter Direktor der Bank ist ein guter Bekannter Zemeks, beide arbeiteten bis 1989 zusammen in der Führungsetage der Luxemburger Filiale der Bank Handlowy. Die MCC, die zu 51 Prozent zur Attel-Investmentbank-Gruppe gehört, ist alles andere als ein bekanntes Kreditinstitut. Einen Schalterverkehr führt sie überhaupt nicht, in den gemieteten Räumen in der Via Greina 2 arbeiten ganze acht Personen. Kapital hat die Bank genau so viel, wie das Schweizer Bankengesetz vorschreibt: 2 Millionen Franken. Als Bankverbindungen der MCC treten die sowjetische Außenhandelsbank und eine „Vietnamese Bank of Foreign Trade“ in Hongkong auf — und natürlich die Luxemburger Bank Handlowy, bei der Zemek arbeitete. Daß Zemeks Schuldenfonds über die MCC prokommunistische Parteien und Kandidaten finanzierte, ist das eine. Daß er möglicherweise auch versuchte, Vermögen der Kommunisten nach dem Machtwechsel vor der Konfiszierung zu retten, das andere. Als Zemek und Chim im Juli letzten Jahres ihre Posten als Chefs des Schuldenfonds verloren und die Privatfirma „Trast“ gründeten, da beschlossen sie, eine Firma namens Transakcja für 5 Milliarden Zloty zu übernehmen. Die Firma ist Polens Ermittlern aber nur zu gut bekannt.

1989 ließ das Zentralkomitee der PVAP die Warschauer Firma Transakcja gründen. Die Firma gründete anschließend Tochterfirmen in allen Wojewodschaften Polens, mit deren Hilfe versucht wurde, staatliches Vermögen, das bis dahin der Partei unterstand, in Sicherheit zu bringen. Zu Geld kam sie, in dem sie bei der inzwischen für illegal erklärten Privatisierung des Lebensmittelkonzerns Iglopol ein größeres Aktienpaket übernahm und sich auf illegale Bartergeschäfte — grusinischer Cognac gegen IBM-Computer — einließ, denen der Rechnungshof dann einen Riegel vorschob. Als sich die PVAP im Januar 1990 auflöste, überschrieb sie ihr gesamtes Vermögen der Nachfolgepartei „Sozialdemokratie der Republik Polen“, kurz SdRP. Mit der Übernahme der Transakcja wäre Trast vermutlich an den Schlüssel zum PVAP-Vermögen gekommen. Doch im Herbst 1990 erließ das Parlament das Gesetz zur Auflösung des PVAP-Vermögens und setzte im Frühjahr dann einen Verwalter ein. Da habe man dann von der Übernahme Abstand genommen, sagt Przywieczerski heute.

Das unheilige Bündnis aus altem und neuem Polit-Establishment in den führenden Gremien, besonders von Finanzministerium und Nationalbank, ist dafür verantwortlich, daß Zemeks seltsame Geschäfte erst möglich wurden. Insider halten es nicht für einen Zufall, daß der Fonds zu einer Zeit gegründet wurde, als Polens Kommunisten bereits mit dem Rücken zur Wand standen. Als der Skandal dann aufflog, zeichnete sich die obere Etage des Finanzministeriums vor allem dadurch aus, daß sie versuchte, dessen Ausmaß zu bagatellisieren. Aufsichtsratspräses Janusz Sawicki, Balcerowicz-Stellvertreter und Bevollmächtigter Polens bei den Umschuldungsverhandlungen, mußte schließlich gehen. Grzegorz Wojtowicz, Ex-Nationalbank-Präses und ebenfalls Mitglied des Aufsichtsrats, wurde verhaftet. Unbehelligt blieben bisher sowohl Przywieczerski als auch Zemeks Stellvertreter Marek Gadomski, der inzwischen in eine Exportversicherung abgewandert ist — und Zemeks Nachfolger, die dessen Geschäfte tolerierten. So sehr, daß Zemek noch bis kurz vor seiner Verhaftung Millionenbeträge ins Ausland überweisen konnte.

Kurz vor seinem unrühmlichen Abgang Mitte letzten Jahres trat Zemek so noch kurz eine 16-Millionen-Dollar Forderung des Fonds gegenüber einer Düsseldorfer Kreditvermittlungsagentur an eine Briefkastenfirma namens NEKA, registriert auf der Kanalinsel Jersey, ab. Obwohl bis heute nicht bekannt ist, auf welcher Grundlage die Abtretung erfolgte und ob der Fonds von NEKA dafür irgendeine Gegenleistung erhielt, bestätigten sowohl Gadomski als auch der offizielle Fonds-Liquidator Jerzy Dzierzynski die Abtretung schriftlich. Lediglich der Düsseldorfer Kreditmakler zweifelte bisher die Rechtmäßigkeit der seltsamen Transaktion an und weigerte sich zu zahlen, worauf er von NEKA verklagt wurde. Hinter der Off-shore- Gesellschaft steht nach Ansicht polnischer Ermittler eine Bank aus dem Nahen Osten. Die Überweisungen an die Düsseldorfer Finanzfirma liefen dagegen in mehreren Fällen über die Luganer Mediocredito Commerciale. Die scheint nach Ansicht mancher Ermittler eine Art „schwarzes Loch“ Zemeks zu sein: „Wann immer etwas verschwunden ist, taucht die Bank auf.“

Polens Staatsanwälten ist es inzwischen gelungen, Zemek den Besitz eines westlichen Bankkontos nachzuweisen, worauf sie den Straftatbestand prompt von „Verschwendung“ auf „Veruntreuung“ erweiterten.

Mehr als zweifelhaft ist allerdings, ob ihnen dies auch in der Schweiz gelingt— und dort dürfte der Löwenanteil der verschwundenen Gelder liegen, deren Höhe inzwischen auf bis zu 9 Billionen Zloty (knapp 1 Milliarde Dollar) geschätzt wird. Antol Lawina, Direktor im Obersten Rechnungshof, spricht sogar davon, daß Teile des Fonds-Vermögens im internationalen Waffenhandel, der Mafia oder der Terrorszene verschwunden sein könnten.

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