piwik no script img

Dritter Weg gescheitert

■ Der Wohlfahrtsstaat kann weiterleben

Die Wunde ist tief und auch zwei Wochen nach den Parlamentswahlen noch nicht verheilt: Schwedens Sozialdemokratie befindet sich in der schwersten Krise ihrer Geschichte. Der Wähler hat der Partei den Rücken gekehrt, die wie keine andere dem Wohlfahrtsstaat ihren Stempel aufgedrückt hat.

Olof Palme hatte vom „dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und Sozialismus gesprochen: er scheint gescheitert. Selbst Osteuropa, das zu Beginn der Umwälzungen noch immer mit dem „Modell Schweden“ geliebäugelt hatte, zeigt jetzt die kalte Schulter. Auf einmal ist Schweden nicht mehr Vorreiter, sondern Nachzügler.

Die Gründe für die Wende, Modell Schweden, sind vielschichtig: Das Land, jahrzehntelang Vorbild auf den Gebieten der Sozial- und Umwelt-, Friedens- und Sicherheitspolitik, hat handfeste Probleme. Schluß ist mit dem Wachstum, die Inflation liegt mit acht Prozent auf europäischem Spitzenniveau, die Arbeitslosenrate hat sich im letzten Jahr auf knapp vier Prozent verdoppelt, Tendenz steigend.

In dieser ungewohnten Situation zogen die erfolgsgewohnten Sozialdemokraten unter Ingvar Carlsson die Notbremse. „Bürgerliche“ Politik wurde nun gemacht, es gab Steuersenkungen für die, die es am wenigsten nötig haben, Subventionsgeschenke an die Industrie. Gleichzeitig wurden absolute Tabus aufgegeben:

Vor einem Jahr noch war eine Mitgliedschaft des neutralen Efta- Landes in der Europäischen Gemeinschaft undenkbar. Seit dem 1.7.1991 liegt in Brüssel das offizielle Beitrittsgesuch — sogar ohne ausdrücklichen Neutralitätsvorbehalt. Auch andere Tabus fielen in einer solch rasenden Fahrt, daß viele bei dem Tempo ganz einfach nicht mehr mithalten konnten: Plötzlich ist die Privatisierung staatlicher Betriebe denkbar, Privatunternehmen konkurrieren mit der Post, ein dritter durch Werbung finanzierter Fernsehkanal darf den Schweden zugemutet werden.

Die Positionen der Sozialdemokraten und der bürgerlichen Parteien wurden immer schwieriger voneinander trennbar. Der Wähler suchte sich schließlich das Original aus, nicht die Kopie.

Nun soll sich die nach 52 Regierungsjahren schwerfällig gewordene Partei von innen heraus reformieren. Eine schwierige Aufgabe, zumal die Umwälzungen im Osten den Handlungsspielraum sozialdemokratischer Politik zusätzlich einengen.

Von einem Ende des Wohlfahrtsstaates zu sprechen, scheint dennoch übertrieben. Auch eine bürgerliche Koalitionsregierung wird das engmaschige Netz, das die Sozialdemokraten im letzten halben Jahrhundert geknüpft haben, nicht demontieren können. Außerdem: Die Sozialdemokraten sind trotz ihrer schweren Niederlage weiterhin die mit Abstand stärkste Partei in Schweden. Helmut Steuer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen