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Getreuer Buchhalter des Weltgeistes

■ Nachruf auf „Mister Tagesschau“ Karl-Heinz Köpcke

„Ich bin ein langweiliger Mensch“, sagte Karl-Heinz Köpcke von sich, als er vor vier Jahren — im Zorn mit der ARD, wie man damals munkelte — Abschied vom Fernsehen nahm. Daran war viel Wahres. Unauffällig war sein Beruf. Als personifizierte Nachricht war der Mensch nur unsichtbar gegenwärtig; schon eine bunte Krawatte, ein Augenzwinkern konnte die Fiktion zerstören.

Köpcke hatte sich ins Bild zu setzen, um darin zu verschwinden. Dreißig Jahre lang ein getreuer Buchhalter des Weltgeistes, dem Horrornachrichten mit derselben Unbewegtheit über die Lippen gingen wie flotte Schmankerl; selbst seine seltenen Versprecher („Aufpitschmuttel“ oder „Bundesaußenseiter“ Brandt) schienen eine höhere Wahrheit zu verraten. Da war kein listiges Zucken um die Mundwinkel, keine zweideutige Modulation der sonoren Stimme: Er war der Fels in der Brandung der Ereignisse, der Sprecher an sich.

Zu seinen besten Zeiten, als die Politiker noch Autorität und einen Ruf zu verlieren hatten, hielten ihn zwei Drittel der Deutschen für den Regierungssprecher. Der diskrete elektronische Hausfreund, dessen „Guten Abend, meine Damen und Herren“ aller Tage Abend einläutete, war bekannt und beliebt wie kaum ein zweiter Deutscher.

Selbst sein Lebenslauf war vorbildlich unspektakulär, so typisch deutsch, wie es sich für „Mister Deutschland“ ('Bild‘) geziemte: Sohn eines Hamburger Technikers, kaufmännische Lehre, Arbeitsdienst, Soldat, Gefangenschaft; 1946 kam Köpcke als Sprecher zu Radio Bremen und heiratete bald.

Kein Skandal trübte seinen 98prozentigen Sympathiebonus — nicht die unerhörte Sensation seines Urlaubsbartes, nicht seine literarischen Exzesse und schon gar nicht die berüchtigte „Gähn-und-Raschelaffäre“ von 1978, mit der er seine Versetzung an den Katzentisch der Tagesthemen sabotieren wollte. „Wenn Köpcke geht, werfe ich meinen Fernseher aus dem Fenster“, drohten damals Damenkränzchen republikweit.

Ihrer war Köpcke, ihn, das männliche Neutrum, ließ man gern in die gute Stube, wo er dann sein schattenhaftes Doppelleben zum Flimmern brachte: 200 bis 300 Briefe gingen täglich an den Hundenarren und Chefsprecher, Heiratsangebote, Rosen und sogar Hausschlüssel.

Mit Köpcke, der in der Nacht zum Samstag, einen Tag vor seinem 69. Geburtstag, in Hamburg einem Krebsleiden erlag, tritt nicht nur ein Nachrichtensprecher ab, sondern ein Typus, der Archetypus der Gründerzeit des deutschen Fernsehens. Er war, gerade weil er 5.000mal keine Individualität und keine Leidenschaft zeigte, der letzte gute Onkel der öffentlich-rechtlichen Ära, treu, unwandelbar und zuverlässig. Seinen mythischen Bariton hat er, kein Zufall, auch als Ruheständler nicht durch Werbeauftritte korrumpiert oder ans Privatfernsehen verraten.

Längst hat das Fernsehen diese übermenschlichen Organe der Verlautbarung durch flotte „Anchormen“ ersetzt, die „News“ als Unterhaltung präsentieren. Locker vom Hocker und ironisch gebrochen. Karl- Heinz Köpcke war der Götterbote, der mit beflissenem Ernst und olympischer Unbeteiligtheit das Ungeheurlichste auch dann noch vom Blatt las, als es keine Götter mehr gab. Martin Halter

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