Lust auf Stadt

■ Besinnliches Kunsterlebnis und zauberhafte Betonidylle gehören zum Kurztrip nach Paris, London oder Berlin genauso wie Mousse au chocolat. Edith Kresta zum Trend Städtetourismus

Besinnliches Kunsterlebnis und

zauberhafte Betonidylle gehören zum Kurztrip nach Paris, London oder Berlin genauso wie Mousse au chocolat. EDITH KRESTA

zum Trend Städtetourismus

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andra Rhodes (49), Modedesignerin in London, schaut für die Leser eines deutschen Reisejournals in ihren Filofax: Auftakt des japanischen Filmfestivals „Big Fifty“ im Barbican-Centre und die Ausstellung Fine Art&Antiques Fair sind angesagt. Auch der französische Kulturminister Jack Lang verrät seinen persönlichen Kulturtip: „Hubert de Givenchy — Retrospektive zum 40jährigen Jubiläum des berühmten Modehauses im „Musée de la Mode“. Monika Diepgen, Frau des Regierenden Bürgermeisters zu Berlin, empfiehlt die Komische Oper im Ostteil der Stadt und eine besonders reizvolle Kunst- und Antiquitätenmesse in der Orangerie des Charlottenburger Schlosses. Gina Lollobrigida, Rom, mag's klassisch. Sie geht auf ein Konzert anläßlich des internationalen Festivals der Kammermusik im Innenhof des Palazzo Murat. Kultur im europäischen Maßstab.

Prominenten Tips im Traumziel-Journal 'Holiday‘ für den verlängerten Wochenendtrip von Donnerstag bis Sonntag, höchstens noch Montag, bei dem das Kunsterlebnis anschließend bei einer Avocado-Terrine oder einem Salat von Entenbruststreifen und Gänseleber gebührend verdaut werden kann. Die Nouvelle Cuisine, ein Hauch davon blieb in jedem besseren Restaurant hängen, hat Europa kulinarisch genormt und geschmacklich angeglichen: Sie vereint im Wiener Tafelspitz wie bei der Berliner Flußmakrele Tradition und Moderne. So veredelte bodenständige Küche hat sozusagen leicht verdaulichen Europastandard. Und der Zeitgeist lockt genußvoll ins Dickicht der Städte zu besinnlichem Kunsterlebnis und sinnlichem Mousse au chocolat. Urbanität wird bei Touristikern, Bürgermeistern und linken Kulturstrategen gleichermaßen im Munde geführt. Modezeitschriften, Trend- und Lebensstilmagazine bringen regelmäßig Metropolenvergleiche und fördern so die modische Selbstdarstellung der Städte. Diese kostenlose PR ist wesentlich effektiver als die offiziellen betulichen Prospekte der Fremdenverkehrsämter.

Der Kulturtrip in die Stadt, zwischen Museum, Restaurant und Boutique, verzeichnet ein steigendes Plus. London, Paris, Rom, Lissabon, Athen sind die klassischen Renner. Berlin erlebte mit dem Mauerfall den absoluten Boom und hofft als Metropole der Zukunft und lebendige Kulturstadt noch weitere Jahre gut davon zu leben. Denn, „Berlin tut gut“, so der vertrauenserweckende Slogan, der meist von optimistisch dreinschauenden, unkonventionellen, buntgrellen, jungen Menschen untermalt wird. Berlin ist die „In-Destination“, so der Pressesprecher des Berliner Verkehrsamtes, Michael Brodersen.

Bürgerlicher, wohlhabender, voller schöner Künste, Multis und Konzerne gibt sich Frankfurt, das mit einem mächtigen Kulturetat hektisch um seinen Platz unter den großen Kulturmetropolen kämpft. „Kultur pur“, verheißt der Prospekt, und „bei den schönen Künsten schöpft Frankfurt aus dem vollen“. Auch „München ist mehr“, mehr als Hofbräuhaus, Bier und Wiesn, die zu lange das Image der „Weltstadt mit Herz“ prägten. Schließlich gibt's auch hier eine flotte Schickeria, Vernissagen, lohnt sich immer wieder der Besuch der Pinakothek, des Deutschen Museums, das Shopping in der Fußgängerzone oder der luxuriöseren Maximilianstraße. Madrid gilt als heimliche Metropole ungeahnter Kreativität und lange unterdrückter Lebensart, die in der movida endlich zum Zuge kam. Madrid me mata, Madrid bringt mich um, so das vielversprechende Motto der aufstrebenden Kultstadt. Paris schließlich hat seinen Anspruch als europäische Kulturhauptstadt mit dem monströsen Centre Pompidou nachhaltig zum Ausdruck gebracht. Wien hingegen („Wien ist anders“) kokettiert nach wie vor mit der Tradition, der Rückständigkeit: Fiaker, Franz-Josef-Bärte, Caféhaus, das verspielte Hundertwasserhaus. Wien im Dämmerschlaf, in den der vor zweihundert Jahren verstorbene Mozart mit verträumten Weisen wiegt. Rom hat inzwischen zwar eine schlechte Presse aufgrund seiner chaotischen Verkehrsverhältnisse. Dafür ist es ewig und damit beim sowieso geplanten Trip in den italienischen Süden unumgänglich.

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b nostalgisch, chic oder in, für die mobilen Dreißig- bis Fünfzigjährigen ist der Städte-Kultur- Trip en vogue. Seit Jahren erleben die Reiseveranstalter von City-Flügen und Kurzreisen ständig steigende Zuwachsraten. Der Veranstalter „airtour Städtereisen“ führt 107 Städte im In- und Ausland auf dem Programm. Vor allem Selbständige und leitende Angestellte nehmen die Dienstleistungen des Veranstalters in Anspruch. „75 Prozent der Reisenden“, so airtours Pressesprecher Claasen, „buchen ohne Kinder.“ Der klassische Yuppie-Trip also? Auch, aber nörgelnde Kinder passen nun mal nicht zum Image des Metropolen-Hais. Ungestörtes Flanieren, Schauen, Entdecken. Bildungsbürger und Flaneur, der sich in der Poesie der Stadt verliert. Ein Großteil der europäischen Städtetouristen würde sich sicherlich in dieser Beschreibung wiederfinden. „Ein Rausch kommt über den, der lange ohne Ziel durch Straßen marschiert“, beschrieb Walter Benjamin die Lust am Flanieren. Doch der zeitgenössische Flaneur ist nur bedingt ziellos. Eine Palette von Reiseführern steht ihm zur Auswahl, um ihn zur rechten Zeit einfühlsam zum rechten Ziel zu führen. Drei bis vier Tage Kurztrip lassen Spontaneität und bodenlosen Müßiggang eben nur beschränkt zu. Und so vielschichtig die Bedürfnisse der Reisenden, so vielschichtig die Angebotspalette der Reiseliteratur: Geschäftsreisende, Tramper, Senioren, Frauen, Männer, Jeansträger, richtig und anders Reisende. Für jedes Bedürfnis wird das Wien, Berlin oder Paris produziert.

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nders als für Urlaubsgebiete, für die mit Blick auf die Gäste Infrastruktur geplant und bereitgestellt wird , sind es nicht in erster Linie touristische Angebote, die eine Stadt interessant für einen Besuch machen, sondern die Stadt selbst ist die Attraktion“, schreibt Walter Lohmann in einer Untersuchung zum Thema Städtetourismus. Die schillernde, faszinierende, pulsierende, aufregende und wohltuende Metropole ist gefragt. Städtenamen wie Paris, Lissabon, Athen und Rom rufen dabei, dank ewig wiederbesungener und beschriebener Klischees, von vornherein andere Großstadtbilder wach als Stuttgart oder Essen. Ein eindeutiger PR-Vorteil. Die Aschenbrödel unter den Städten müssen sich bei diesem Wettlauf um Attraktivität schon einiges einfallen lassen. So trumpft beispielsweise Essen im Verbund mit anderen Ruhrgebietsstädten seit einigen Jahren in doppelseitigen Illustriertenanzeigen mit dem Slogan „Ein starkes Stück Deutschland“ auf. In der Broschüre „Essen schafft Kultur“ werden Grillo-Theater, Gruga-Halle, Folkwang- Museum, die alte Synagoge aufgeführt. Allen Image-Kampagnen ist gemeinsam, daß sie den Erlebnis- und Unterhaltungswert der Stadt in den Vordergrund stellen. Und der ist überall verdächtig förderungswürdig. Ob Hamburg und Bochum Musicals wie Cats oder Starlight Express auftreten lassen oder Max Hergé in Paris Hochhäuser mittels riesiger Dia-Projektoren in Projektionsflächen verwandelt, ob André Heller ein phantastisches Feuerwerk vor dem Berliner Reichstag entfacht oder Off-Theatergruppen zu neuem Ruhm und Ehre kommen: der Wettlauf um städtische Attraktivität läuft auf vollen Touren. Wenn Millionen- Budgets für PR und Selbstinszenierung ausgegeben werden, zeigt sich der Hunger, ein Stück vom touristischen Kuchen abzukriegen. Hotels, Restaurants, Taxifahrer, Museen, Theater, Konzerte, Geschäfte etc. wollen schließlich auch was zum Knabbern haben. Und da die herkömmlichen Industrie- und Handelszweige, wie das Beispiel der Ruhrmetropole Essen am deutlichsten zeigt, ihrem Ende entgegengehen, kämpfen die Städte um neue Wirtschaftsbereiche. Ein vielversprechender ist der Fremdenverkehr. Den Bewohnern bringt dieser Konkurrenzkampf neben lukrativen Einnahmequellen neue beschauliche Plätze und plätschernde Brunnen, polierte Renommierfassaden und überall nett arrangierte Sitzgruppen. Infrastrukturelle Maßnahmen, die über den unverwechselbaren, sterilen Charme einer Fußgängerzone häufig nicht hinaus kommen.

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it steigenden Investitionen im Kulturbereich und Ausbau der gastronomischen Infrastruktur versuchen die Städte dem verfeinerten touristischen Metropolen- Trend gerecht zu werden. Bei all dem kultivierten Großstadtfieber will man aber auch den unkomplizierteren Kunden aus Übersee nicht aus dem Auge verlieren. Gastronomie und Kulturangebote sind für diesen Weithergereisten nur am Rande interessant. Ihm geht es um das große Ganze, um das Brandenburger Tor und den Eiffelturm. Ein Brachial-Flaneur sozusagen: Berlin-Paris- Moskau in zehn Tagen. Oder die romantischere Südschiene: Heidelberg, Rothenburg ob der Tauber, Nürnberg, München, Wien. Amerikaner, so wissen die Werbefachleute, reisen nicht in eine Stadt, sondern nach Europa. Berliner Werbemanager schlagen folgerichtig vor, daß man sich für den US-Markt zusammen mit anderen europäischen Metropolen präsentieren solle. Berlin, Paris und London im Benetton- Stil als united destination dargestellt. Für den innerdeutschen Markt rührt schon längst ein Städteverbund von Berlin bis Stuttgart für die inzwischen „magic ten“ die Werbetrommel in den Vereinigten Staaten.

Städte wie München konnten bislang zu 45 Prozent mit ausländischen Touristen rechnen, in Berlin hingegen ist dieser Anteil mit 25 Prozent sehr gering. Während man im Münchner Verkehrsamt die wachsende Konkurrenz von Städten wie Budapest und Prag fürchtet — sie verkürzen den München-Aufenthalt des durchschnittlichen US-Amerikaners, der nun schon mal in der Nähe ist und jetzt ohne psychologische Barriere nach Prag fahren kann —, hofft Berlin, so Michael Brodersen, „zu einer Drehscheibe für den Osten zu werden und damit erst einmal mehr ausländische Touristen anzuziehen“. Denn Berlin sei nun nicht mehr end-destination. Offensichtlich. Der Reisestrom aus dem Osten in Städte wie Berlin und Wien, aber auch München und Paris ist unübersehbar. Ein neue touristische Zielgruppe, die sich von den aufwendigen Imagekampagnen der PR-Leute wohl kaum angesprochen fühlt. Der wenig finanzstarke, mehr schulterzuckend hingenommen als erwünschte Touristenstrom aus dem Osten, von bettelnden Rumänen bis zu Einkaufstaschen schleppenden Polen, paßt letztendlich wunderbar zum In-Profil einer wahren Metropole: multikulturelles Biotop zwischen Opernhaus und Schwulenkneipe, Toprestaurant und Kebabbude, Luxusmeile und Babystrich, Floh- und Schwarzmarkt. Je vielfältiger, desto mega-in.