: Eisvergnügen der Frostmoderne
■ Über die Zukunft des Wintersports hat sich Rüdiger Kind Gedanken gemacht
Über die Zukunft des Wintersports hat
sich RÜDIGER KIND Gedanken gemacht.
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ie Zeiten, da Telemarkschwünge am Idiotenhügel, Schlittenfahrten in St. Petersburg und Doppelaxel auf dem vereisten Schwanenteich zum Winterglück ausreichten, sind längst vorbei. Selbst avanciertere Wintersportarten wie Heli-Skiing in Timbuktu, Zobel-Rodeln in St. Moritz, Fondue- Curling unterm Matterhorn — alles Schnee von gestern. Es ist nicht länger zu leugnen: der Wintersport ist in die Après-Moderne geraten, die alpinistische Sinnkrise schüttelt mittlerweile die letzte Pistensau. Jagertee, Enzian und andere Betäubungsmittel können nicht länger die Tatsache vernebeln, daß Skifahren eine Sache ist, die nur noch Menschen mit Sonnenstudio-Dauerabonnement gut finden können. Der frostmoderne Eiszeit-Geistler braucht härtere Drogen zum Pisten-Kick. Hier die neuesten Trends und kältesten Tips:
Lift-Slalom:
Mit dem Schlepplift rauffahren und anschließend zwischen den nachfolgenden Skifahrern im Slalom abwärts pfeifen, bringt viel Spaß und echte mitmenschliche Kommunikation. So manche Pisten-Mutti kippt beim Anblick eines heranwedelnden Geisterfahrers vor Schreck vom Bügel und sorgt so für allgemeine Erheiterung. Unten angelangt, empfiehlt es sich, die Lift-Einsteigestelle in der Direttissima anzufahren. Das erspart das lästige Warten in der Schlange. Aufgrund der Streckenführung allerdings nur für ausgekochte Tiefschneespezialisten empfehlenswert.
Sky-Skiing:
Für Freunde des Snowboards und des Gleitschirmfliegens die optimale Kombination. Den Schirm am Rücken, das Board an den Füßen und das Brett vorm Hirn, kann man problemlos dem Lockruf der Berge folgen. Gletscherspalten werden elegant überflogen, und selbst Abgründe sind nicht länger lästiges Hindernis. Einzig dichtere Bewaldung sollten die Pistenadler meiden.
Ski-Turnier:
Ein Klassiker im neuen Gewand. Die Anknüpfung an die mittelalterliche Tradition des Ritter-Turniers kommt vor allem bei der Ski-Jugend gut an. Zwei Skifahrer rasen — die Skistöcke mit der Spitze nach vorn gerichtet — in Schußfahrt von zwei gegenüberliegenden Hängen aufeinander zu und versuchen, sich gegenseitig von den Brettern zu stoßen. Ein beliebter Freizeitspaß für jung und alt — auch geeignet für größere Gruppen.
Pistenraupen-Rallye:
Viele Wintersportorte sind in den letzten Jahren gegen jede automobile Vernunft für den Autoverkehr gesperrt worden. An Entzugserscheinungen leidenden Autofahrern empfiehlt sich die Teilnahme an einer der Pistenraupen-Rallyes, die findige Touristik-Manager vielerorts veranstalten, um den PS-Rittern die Möglichkeit zu bieten, mal wieder so richtig Gas zu geben. Aber Vorsicht: Überholmanöver von ungeübten Pistenraupenfahrern enden nicht selten in der Gletscherspalte.
Lawinen-Surfen:
Waikiki-Feeling im Zillertal — der definitive Winter-Kick für alle Snowboard-Freaks. Es sollte allerdings darauf geachtet werden, auf der Lawine zu bleiben.
Mountainbike- Schanzenspringen:
Begeisterte Mountainbiker müssen auch im Winter nicht auf ihre Tretmühle verzichten. Mit speziellen Schneeketten kommt man auch verschneite Hänge hinauf. Die Abfahrt erfolgt standesgemäß über eine Skisprungschanze. Da die Landung höchste Anforderungen an Mensch und Material stellt, sollte unbedingt an die Mitnahme von Ersatzteilen (Felgen, Reifen, Holzbeine etc.) gedacht werden. Fahrer, die sich dabei trotz aller Vorsichtsmaßnahmen irreparable Schäden zufügen, haben den Trost, in den exklusiven Kreis jener tollkühnen Männer in ihren rollenden Stühlen eintreten zu können, für die Rollstuhl-Bob erfunden wurde.
Wer einmal auf zwei Rädern eine vereiste Bobbahn hinabgedonnert ist, wird den Nervenkitzel nicht mehr missen wollen. Selbst die Vorstellung eines Bungee-Sprungs von der Eigernordwand kann da nur noch ein mitleidsmüdes Lächeln hervorrufen.
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