piwik no script img

Japans Premier Kaifu abgesägt

Regierungschef Toshiki Kaifu kündigt Rücktritt für Ende Oktober an/ Kaifu scheiterte an den Reformgegnern in der eigenen Partei/ Liberaldemokraten wollen einen starken Regierungschef  ■ Aus Tokio Georg Blume

Kein Politiker trauerte, kein Parteifreund weinte, als der japanische Premierminister Toshiki Kaifu gestern abend in Tokio seinen Rücktritt für Ende Oktober ankündigte. Statt dessen lobten die Führer der liberaldemokratischen Regierungspartei schon Minuten nach dem Rücktrittsentscheid das Einsehen des Premierministers. Von den Verdiensten Kaifus sprach kaum einer mehr. So schnell verschwindet ein japanischer Regierungschef von der Weltbühne.

Kaifu teilte den Mitgliedern seiner Parlamentsfraktion am Nachmittag mit, daß er für eine Fortführung seines Amtes nicht mehr zur Verfügung stehe. Eine eigene Begründung dafür lieferte er bisher nicht. Regierungssprecher Misoji Sakamoto kündigte an, daß Kaifu seine Entscheidung „an geeignetem Ort zu geeigneter Zeit“ offiziell bekanntgeben werde. Turnusgemäß wählt die liberaldemokratische Regierungspartei (LDP) Ende Oktober einen neuen Parteichef, dem automatisch auch das Amt des Regierungschefs übertragen wird. Bislang galt Kaifu als aussichtsreichster Bewerber für seine eigene Nachfolge.

Ohne Bedauern, so beteuerte Kaifu vor seinen letzten verbliebenen Parteifreunden, lege er sein Amt nieder. Schließlich habe sich in seiner Amtszeit die Welt verändert. Genau deshalb, argumentieren freilich seine parteiinternen Gegner, brauche Japan endlich einen neuen, starken Regierungschef. Kaifu wird öffentlich vorgeworfen, nicht genug Entschlossenheit an der Spitze gezeigt zu haben. Deshalb, so sagen die Kaifu-Gegner in der LDP, seien die Gesetzentwürfe zur Wahlgesetzreform und zur Entsendung von Blauhelmen für UN-Missionen bislang im Parlament gescheitert. Tatsächlich schloß gestern das japanische Unterhaus seine Sitzungsperiode in diesem Jahr ab, ohne in einer dieser beiden Fragen zu entscheiden. Weiterdiskutiert wird erst im nächsten Jahr.

Kaifu hatte sein politisches Schicksal besonders mit dem Wahlreformgesetz verbunden. Immerhin hat er bis heute nicht vergessen, daß er vor zwei Jahren als Youngster angetreten war, um eine im Skandalsumpf um die Firma Recruit-Cosmos versunkene Politikerklasse wieder ins Trockene zu setzen. Damals hatten Politiker aus Aktien-Insidergeschäften Nutzen gezogen, um den Wahlkampf zu finanzieren. Genau solche Ruchlosigkeiten sollte das neue Wahlgesetz unterbinden. Die Einführung von Wahlkreisen mit jeweils nur einem Mandat hätte die kostspieligen und skandalträchtigen Kämpfe der Fraktionen in der LDP abgedämpft, die bisher im Wahlrennen gegeneinander antreten. Doch weil es gegen die Fraktionsinteressen stand, scheiterte Kaifus Wahlgesetz.

Diejenigen, die vor zwei Jahren der Bestechung überführt wurden, forderten nun seinen Rücktritt: die Fraktionsführer Miyazawa und Watanabe. Die stärkste LDP-Fraktion um Expremier Takeshita, die bisher Kaifu unterstützte, hielt den parlamentarischen Boykottmanövern der anderen Fraktionen in den letzten Wochen nicht mehr stand.

Kaifu stürzte, weil er den Wählerauftrag zumindest noch stückweise ernst nahm. Sein Reformprogramm, wie fragwürdig auch immer, gab er nicht auf. Wohl noch nie erfreute sich ein japanischer Premierminister zum Zeitpunkt seines Abtritts einer derartig hohen Beliebtheit in den Umfragen wie heute Kaifu. Im Gegensatz zu all denen, die nun um sein Amt streiten werden, hat sich Kaifu den in Japan seltenen Ruhm bewahrt, seine Stellung nicht mit Geld erlangt zu haben.

Nach Kaifus Sturz können sich seine Mitbürger nun keinen Illusionen mehr hingeben. Japanische Politik war bis zum Recruit-Cosmos- Skandal ein dreckiges Geldgeschäft, und sie ist es auch heute noch. In den nächsten Tagen gewinnt der Kandidat, der den Parlamentsabgeordneten die größten Geldquellen versprechen kann. Denn diese Abgeordneten wollen keinen Staatsmann, sondern einen Scheckträger an ihrer Spitze.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen