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Klassiker und Krimis gehen immer

■ Premiere im Goethetheater: Schillers „Kabale und Liebe“ / Die Karikatur als Inszenierungsidee

„Klassiker gehen immer“, munkelt man im Foyer: Der hochwohlgeborene Ferdinand soll die Louise Millerin nicht kriegen, sondern eine standesgemäße Partie machen. Bei Hofe gestreute Unwahrheiten ruinieren die bürgerliche Ehre der Hofmusikantenfamilie Miller. Der Vater wird in den Knast gesteckt, die Tochter Louise erpreßt. Schillers Trauerspiel endet tödlich und gibt einen klassischen Krimi-Plot ab. Sex and crime oder „Kabale und Liebe“, Premiere war am Samstag im Schauspielhaus.

Regisseur Reinhard Hellmann hatte sich den Schiller mal so richtig zur Brust genommen und das klassische Personal nach Hollywood-Serienmuster nachgestrickt. Mit schwelgenden sinfonischen Tuschs und rieselndem Konfetti erweckt der Regisseur den Eindruck, die Vorstellung finde unter einer Schneekugel statt. Archetypen aus der Film- und Fernsehwelt schillern vor bebenden Prospekten. Spiegel- und Lackfolien zittern bei jedem Schritt. Der Aufzug in der Mitte spuckt das Personal für die Aufzüge des Dramas aus. Adel und Bürgertum bewegen sich zwischen Schaufensterpuppen, denen ein Arm oder ein Bein fehlt, die aufgesägte Bauchdeckel oder eine blutrote Spur auf der Brust aufweisen. Auf dem Eisenrost ist ein ärztlicher Untersuchungsstuhl das einzige Sitzmöbel. Ein Requisit der Umgangsformen, mal bei den bürgerlichen Millers und mal beim adligen Präsidenten von Walter. Man untersucht einander sehr genau, läßt sich daraus skalpellscharf schließen.

Ein Kantrohr umspannt die Bühne wie ein Geländer, eine Grenze: Laufstall oder Boxring. Auch romantische Liebe zieht Verzückung aus gesellschaftlichen Grenzen. Nur einmal lehnt sich der heldengleiche Ferdinand über das Geländer, um Haferbrei in den Orchestergraben zu erbrechen, weil ihn die boshaften Intrigen zu Zweifeln an Louises Liebe trieben. Er, der sich zunächst als eine potente Mischung aus Buck Rogers und Frank–n Furter eingeführt hatte — Dirk Diekmann gelingen die großen Posen nonchalant — findet mit Mühe die Fassung wieder, richtet sich auf und schnellt als edles Opfer in den Kreis der Intriganten zurück. Seinen Vater, den Präsident von Walter, zeigt Ullo von Peinen als ein Klon aus Flash Gordon und Django. Entsprechend ist der Fahrstuhl bei seinem Erscheinen erleuchtet. Im Gegenlicht erscheint er mit seinem Hofstaat wie mit einer Bande von Zeiträubern im modernen Märchen. Seltsam flach wirkt sein Gehabe eines erpreßbaren Emporkömmlings, jeder hat seine Leiche im Keller.

Das paßt zu Hellmanns Methode, aus dem Trauerspiel eine Karikatur desselben zu kreieren. Daheim geruht der Präsident, sich während seiner Audienzen massieren zu lassen, was ein gesundes Machtempfinden andeutet. Drei Girls in Kitteln und Strapsen umschwirren ihn. Die Worte perlen dem Präsidenten so schnell über die Lippen, daß sie in ihrer verschwörerischen Hetze gelegentlich gar nicht mehr zu verstehen sind — ein durchtriebener Regieeinfall. Den hinterhältigen, Louise vergeblich liebenden Hofsekretär Wurm macht Thomas Bammer zum Versicherungsvertreter. Gewandet in einen flotten Anzug steht er dem Präsidenten bei Fuß, wirbelt wie ein hilfbereites, geschäftiges Frettchen umher und nutzt die kleinen Mißverständnisse, das Klima zu seinen Gunsten zu verpesten. Immer korrekt der Mann, immer schaurig-korrekt.

In Operettenuniform tänzelt gepudert und geziert auf weißen Schühchen der Marschall von Kalb ins Geschehen. Wolfgang Pauls als devote, intrigante Tunte, die Leibesfülle stets erschrocken beisammenhaltend. Ähnlich hilflos Vater Miller. Rudolf Holz ist der geknickte Mann von nebenan, der Vater, der seine Tochter in der Umarmung zu ersticken droht. Wie das natürliche Mädchen vom Hausboot hebt sich die Louise, Ute Rauwald, naiv, aufrichtig und gut von der Künstlichkeit der übrigen Charaktere in der Schneeglaskuppel ab.

Bühnenbild und Kostüme von Dieter Klaß versetzen die Geschichte in eine zeitlose und schrille Szenerie. Fast medienpädagogisch wirkt die Schau der Mißverständnisse im Kabinett des wie mit zeitgenössischen Charaktermasken aus dem TV- Vorabendprogramm agierenden Ensembles. Klassiker gehen immer, auch als Karikatur. Julia Kossmann

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