: Adenauers Gegner — Gescheitert? Spät gerechtfertigt?
■ Ein Buch gegen die politische Heiligsprechung des ersten Bundeskanzlers. Adenauers Gegner waren — wenn auch auf verlorenem Posten — dennoch mehr als eine hoffnungslose Randgruppe „extremistischer Spinner und Schreihälse“
Das Buch Rainer Zitelmanns kommt zur rechten Zeit — gerade weil es nicht einstimmt in den angeblich zeitgemäßen Chor der Adenauer-Verherrlicher, die den Alten aus Rhöndorf zum Säulenheiligen der Nachkriegsdemokratie und zum schließlich doch noch siegreichen Begründer eines freien und einigen Deutschland stilisieren.
Der Streit, ob der 3.Oktober 1990 das Werk Adenauers triumphal krönte oder aber das von ihm geschaffene Nachkriegsmodell der Bonner Kanzlerdemokratie endgültig aus dem Rennen warf, wird noch eine Zeitlang mit jener Verbissenheit geführt werden, die für längst entschiedene Schlachten typisch ist. Aber alle, die für die politisch-historische Heiligsprechung Adenauers plädieren, werden es in Zukunft schwer haben mit der Behauptung, es habe zum Weg der Remilitarisierung und Westintegration der BRD keine Alternative gegeben. Nach dem Erscheinen dieses Buches wird sich lächerlich machen, wer weiterhin versucht, die Gegner Adenauers als eine hoffnungslose Randgruppe extremistischer Spinner und Schreihälse abzutun.
Zumindest hätte sie vieles wissen können, wenn sie es denn gewollt hätte. Leider sind die Versuche, aus Gründen der Ideologie oder der tagespolitischen Zweckmäßigkeit unbequeme Wahrheiten zu verfälschen und zu verdrängen, gerade bei der Behandlung der deutschen Nachkriegsgeschichte Legion.
Anhand von vier seiner fünf Protagonisten — Gustav Heinemann (bis 1952 CDU, seit 1957 SPD), Jakob Kaiser (CDU), Kurt Schumacher (SPD), Thomas Dehler (FDP) — belegt Zitelmann, daß es nach 1945 in den drei großen westdeutschen Parteien nicht nur an der vielbeschworenen Basis, sondern bis in die höchste Führungsebene hinein Verfechter einer auf Selbstbestimmung, Einheit und gesamtdeutsche Handlungsfreiheit ausgerichteten Politik gab. Zugleich steht Gustav Heinemann stellvertretend für eine starke Strömung im politischen Protestantismus, die sich in kritischer Distanz zur Remilitarisierung wie zu den Tendenzen gesellschaftlicher Restauration befand.
Zitelmanns fünfte „Bezugsperson“, Paul Sethe, 1949—1955 Mitherausgeber und Ressortleiter Politik der 'FAZ‘, repräsentiert in gewissem Maße das Element der parteiunabhängigen Intelligenz — in einer konservativen, aber keineswegs reaktionären Tönung.
Rainer Zitelmann selbst nennt mehrere Namen bedeutender Gegner Adenauers wie Augstein oder Pfleiderer, die auch eine kritische Würdigung verdient hätten. Leider engt er sich hierbei allzusehr ein auf den Rahmen „offizieller“, „etablierter“ Politik. Um die geschichtlichen Zusammenhänge verstehen und gerecht beurteilen zu können, sollten auch jene genannt und untersucht werden, die zwar in ihrem Engagement für die Einheit nur Minderheiten hinter sich wußten und sich so gut wie gar nicht auf Gruppierungen in den großen Parteien stützen konnten, die aber doch wichtige Anstöße gaben. Ich denke hier vor allem an die zwischen alle Fronten des Kalten Krieges geratenen Verfechter strikter deutscher Neutralität wie Professor Ulrich Noack („Nauheimer Kreis“), Wolf Schenke (Herausgeber der 'Neuen Politik‘), August Haußleiter (Mitbegründer der CSU und bis 1949 deren stellvertretender Vorsitzender, später Gründer der „Deutschen Gemeinschaft“ und der „AUD“, 1980—83 einer der Sprecher der Grünen) oder wie der ehemalige Reichskanzler Josef Wirth („Bund der Deutschen“).
Unerwähnt bleiben bei Zitelmann auch Menschen wie Alfred Kantorowicz, die als Kommunisten versuchten, die Gulagisierung der SBZ und die Spaltung Deutschlands zu verhindern. Das „Deutschland einig Vaterland“ J.R. Bechers drückte eben mehr aus als eine raffinierte Einheitsparole der SED. Auch unter den deutschen Kommunisten gab es 1945 viele Tausende, die ein besseres, demokratisches Deutschland wollten, eine antifaschistische Republik politischer Koexistenz und sozialen Kompromisses — und nicht das von Stalin und Ulbricht langfristig geplante russische Kolonialgebiet.
Wenn die Gegner Adenauers in ihrer Zeit auf verlorenem Posten kämpften, was haben sie uns heute zu sagen? Sie entschieden sich für den Vorrang deutscher Lebensinteressen vor der „Integration eines Teils von Deutschland mit gewissen Mächten“ (Kurt Schumann 1952). Ist ihre Kritik der blinden Europa-Begeisterung, ihr Infragestellen der bedingungslosen Übernahme und Verinnerlichung fremder Vorbilder nicht heute äußerst aktuell? Stehen wir doch vor der Entscheidung zwischen einem konföderativ aufgebauten Gesamteuropa der Vaterländer und einem zentralistisch organisierten Wirtschaftsblock „Kleineuropa Incorporated“.
Gerade die Überlegungen Thomas Dehlers zur Einbettung des wiedervereinigten Deutschlands in ein übergreifendes Sicherheitssystem sind von großer Aktualität, ebenso das Konzept des „deutschen Weges“ bei Jakob Kaiser, Deutschland zur Brücke zwischen Ost und West zu machen, wenn auch „Ost“ heute eher auf einen historisch von orientalisch- orthodoxer Weltsicht geprägten Raum verweist als auf den längst zerfallenen ideologisch-militärischen Machtblock unseligen Angedenkens.
Und gegenüber allen Träumen vom fernen „Vaterland Europa“ und vom „Patriotismus des Weltbürgertums“, die auch ein Kurt Schumacher träumte, bleibt die nüchterne Einsicht Thomas Dehlers gültig, daß realitätstüchtig und zukunftsreich nur ein „freies Zusammenfügen von Einzelstaaten“, ein Bündnis von souveränen Nationen, ein Europa der Vaterländer sei.
Ist die von Jakob Kaiser kritisierte „Dienstbeflissenheit der deutschen Vertreter gegenüber der für sie zuständigen Besatzungsmacht“ und die von Kurt Schumacher den deutschen Politikern attestierte „unwiderstehliche Unterschreibewut“ und „Nachgiebigkeit gegenüber alliierten Zumutungen“ damit verschwunden, daß an die Stelle der Besatzungs- die Stationierungstruppen der Nato traten? Existiert nicht weiterhin ein vorauseilender Gehorsam gegenüber den Stationierungsmächten und anderen, die Aktien in Sachen Deutschland halten? Haben nicht schon die offenkundigen politischen Manöver verschiedener westlicher Politiker Ende 1989 und Anfang 1990 (von dem Ränkespiel hinter den Kulissen ganz zu schweigen) bewiesen, was Gustav Heinemann 1952 schrieb, daß die Westmächte „jedenfalls zur Zeit überhaupt keine deutsche Einheit wollen“? Nicht nur Herr Andreotti und Frau Thatcher, sondern auch ihre Vorgänger Jahre zuvor sahen in der „Spaltung Deutschlands [...] geradezu die ideale Lösung der deutschen Frage“ (Heinemann 1951).
Ist Kaisers Mahnung: „Deutschland ist nicht auf die heutige Bundesrepublik begrenzt“ dadurch schon historisch erledigt, daß die Bundesrepublik um die ehemalige DDR vergrößert wurde? Oder bleibt es nicht unsere Aufgabe, wie es Thomas Dehler 1967 in einem Gespräch mit Günter Verheugen beschrieb, vom Bismarck-Staat auszugehen und zu versuchen „zu retten, was von ihm übrig geblieben ist“? Hat Kurt Schumachers Kritik des auf die Sowjetunion orientierten Kommunismus nicht trotz mancher Überspitzungen mehr Substanz und geschichtliche Wahrheit als die lauwarme Detailabmalerei, mit der die Sowjetologen der 70er und 80er Jahre sich um eine klare Charakterisierung und Stellungnahme herumdrückten?
Die Degeneration des Sowjetkommunismus von der räterevolutionären Idee zur russischen Staatspartei, von der Russifizierung des Marxismus unter Lenin bis zum Stalinschen Sozialchauvinismus hat kaum jemand so hellsichtig und scharfzüngig gegeißelt wie Kurt Schumacher.
Ist die Ablehnung der „Blockbildung nach Osten und nach Westen“, die auch Kurt Schumacher vertrat, heute nicht dadurch aktueller als je zuvor, daß nur eine Politik des Ausgleichs, des Gleichgewichts, der Interessenabwägung noch Frieden stiften kann? Hatte Gustav Heinemann wirklich unrecht, als er in der Zugehörigkeit zur Nato nur ein Durchgangsstadium, aber keine „Endstation der Deutschland-Politik“ sah?
Längst nicht überholt ist die klare Einsicht Jakob Kaisers von 1952, wohin es führt, wenn die notwendige Selbstkritik der Deutschen mißbraucht wird, um Selbsthaß und Selbstzerstörung zu erzeugen: „Mißachtetes Nationalempfinden ist stets Nährboden für falschen und aggressiven Nationalismus.“ Es ist an der Zeit, daß die Deutschen endlich zu jenem selbstkritischen Selbstbewußtsein finden, das Kurt Schumacher 1947 so beschrieb: „Ein Selbstbewußtsein gleich fern dem hysterischen und unverschämten Nationalismus der Vergangenheit, der auch heute noch so unter der Decke geistert, und der jammervollen Kriecherei der Leute mit dem Ergebenheitsdiener.“ Rolf Stolz
Rainer Zitelmann: Adenauers Gegner. Streiter für die Einheit. Verlag D. Straube, Erlangen- Bonn-Wien 1991, 229 Seiten, 28,— DM.
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