: Berliner Wohnungsbau für morgen?
■ Eine Ausstellung im »Stadttor« präsentiert Bemühungen zur Lösung der Wohnungsfrage
In den Räumen des Vereins »Stadttor« im Bahnhof Schlesisches Tor werden seit vergangenem Montag auf einer Vielzahl von Schautafeln in der als »Werkstattbericht« ausgegebenen Ausstellung Projekte für den Wohnungsbau von Morgen Ergebnisse der Bemühungen gezeigt, die ein weiteres Mal sich dieser Lösung annehmen. Diese Werkschau ist aber leider wieder einmal eine Leseausstellung. Die Texte auf den Tafeln sind für ihre Länge einfach zu oft in sehr fachspezifischem Jargon gehalten.
Städtebauliche Gutachten werden dabei ebenso in eine Bildsprache zu übersetzen versucht wie z.B. illustrierte sogenannte »Vertiefungsstudien« oder Gutachten, ganz so, als ob es ausreichen würde, gedruckte und für ein Fachpublikum gedachte Broschüren hochzuvergrößern und hinter Plexiglas zu hängen.
Die als Werkstattbericht konzipierte Ausstellung versteckt sich oft hinter diesem Wort »Werkstatt« — und zwar immer dann, wenn man von ihr Ergebnisse und nicht Einblicke in die laufende Arbeit fordert. Daß es keine leichte Aufgabe ist, eine Senatsverwaltung von der Größenordnung der für Bau- und Wohnungswesen mit einem derart umfangreich beschriebenen Aufgabenbereich zu koordinieren, daß es vielfältiger Anstrengungen aller Beteiligten bedarf, und daß geschicktes Taktieren innerhalb aller Senatsressorts Voraussetzung allen Gelingens ist — das stimmt ja. Aber eben weil es so ist und wir das wissen, wäre einem mehr daran gelegen, nicht nur schwer nachvollziehbare Arbeitsschritte von Planern und Architekten präsentiert zu bekommen.
Was die ästhetische Qualität der ausgestellten Arbeiten betrifft — sei es als Wettbewerbsergebnis oder als städtebauliche Leitidee —, fragt man sich schon, ob denn das alles ist. Der Geist des genius loci, die Architektur, kurz: die hehre Baukunst, von der man seit IBA-Zeiten in dieser Stadt ja wieder gerne spricht, scheint irgendwo zwischen Köpenick und Spandau, Marzahn und Potsdam auf der Strecke geblieben zu sein. Natürlich ist es vermessen, immer wieder und überall feinste Qualität einzufordern, aber wir wollen in dieser Stadt auch Hochkultur und nicht nur Mittelmaß. Die Frage ist hier anzuschließen, nach welchen Kriterien die präsentierten Arbeiten denn ausgesucht wurden: Viele Wohnbauprojekte sind zwei Jahre alt und einige wichtige Projekte und Architekten dieser Stadt werden der Einfachheit halber — oder will man über bestimmte Dinge gar nicht erst diskutieren? — fallengelassen.
Die Prioritäten, die in den nächsten Jahren gesetzt werden sollen und in der Ausstellung formuliert sind, lesen sich wie folgt:
—Erhaltung des preiswerten Mietwohnbestandes in Altbauquartieren
—Forcierung der sozialen Stadterneuerung, wie sie von der IBA initiiert und formuliert wurde, und
—Ausbau des Programms des öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbaus.
Aber auch dieses Programm ist nicht neu und auch nicht besonders originell — sondern hat am Anfang aller Überlegungen zu stehen.
Die größte Gefahr bei diesem Programm besteht darin, daß das Berliner Umland zu einem städtebaulichen Brei gerät: ganz so, wie wir das aus anderen Ballungsräumen kennen. Einige Pläne in der Ausstellung lassen Ansätze dafür schon ahnen — man sagt und zeigt das wenigstens unverhohlen. Man wird wohl daran gehen müssen, erst einmal vorhandene baulich-räumliche Strukturen auf ihre Möglichkeiten der Verdichtung hin zu untersuchen — seien es die innerstädtischen Bereiche mit den noch vielfältigen Baulücken und Plätzen oder die Siedlungen der 20er, 30er und 50er Jahre.
Die Aufforderung Nagels an die Architekten und Stadtplaner, Konzepte ähnlicher Tragweite wie die der Siedlungen der 20er Jahre zu entwickeln — er sprach während der Eröffnung von der »Gartenstadt der 90er Jahre« —, ist billig. Wenn man mit in dieser Stadt arbeitenden Architekten aber einmal spricht, schimpfen sie hemmungslos — immer aus Erfahrung — auf die Unbeweglichkeit der Baubehörden, die fachliche Inkompetenz vieler Entscheidungsträger, die unmöglich einengenden Bauvorschriften und verweisen zu Recht darauf, daß von einer Unzahl von ausgelobten und entschiedenen Wettbewerben in den letzten Jahren nur ein Bruchteil realisiert wurde.
Defizite, die Dauerbrenner sind und wohl auch vorerst bleiben werden. Herrn Nagels Aufforderung formulieren wir also um und bitten ihn recht höflich, doch die Voraussetzungen in dieser Stadt dafür zu schaffen, daß seine Aufforderungen auf fruchtbaren Boden fallen können. Martin Kieren
Veranstaltungen im Rahmen der Ausstellung:
Projekte für den Wohnungsbau von Morgen — Potentiale und Strategien , Montag, 14. 10., 18.30 Uhr. Neue Stadtteile — alte Fehler? ,Mittwoch, 16. 10., 18.30 Uhr. Große Reserven — die große Lösung? , Freitag, 25. 10., 18.00 Uhr. Kraftakt Wohnungsbauprogramm — eine Nummer zu groß? , Dienstag, 29. 10., 18.30 Uhr.
Alle Veranstaltungen im Stadttor, U-Bahnhof Schlesisches Tor, Berlin 36, Tel.: 6118036, noch bis 3. November
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