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Der Mensch, ein Haus, die Zeit

■ Den Ranzen auf dem Rücken, schleppte Charlotte von Mahlsdorf alias Lothar Berfelde schon mit sieben Einzigartiges nach Mahlsdorf hinaus/ Heute steht dort in einem Spätbarockbau das »Gründerzeitmuseum«, aufrechterhalten trotz finanzieller Sorgen — Leidenschaft als Contra zur Realität

Sie wirkt wie ein Engel: schön, pfiffig, beinahe kindlich; schlohweißes Haar, grazile Ästhetik und liebe Augen. Freunde sagen Charlotte von Mahlsdorf zu Lothar Berfelde. Ihr Zuhause ist ein Museum, ein Lebenswerk.

Der Vorort am östlichen Stadtrand Berlins hat selbst etwas Museales. Zweigeschossige Ackerbügerhäuser, Reste von Kastanien-, Platanen- und Lindenalleen. Das »Gründerzeitmuseum« dort ist eines der letzten spätbarocken Gebäude im Großberliner Raum (s.Foto).

Sie erzählt ruhig, feinsinng lächelnd und bestimmt. Im Jahre 1928 geboren, sammelte sie schon als Siebenjähriger.

Mitunter bekam Lothar etwas geschenkt. Und so, den Ranzen auf dem Rücken, die Möbel vor dem Bauch, wurde heute Einzigartiges nach Mahlsdorf hinausgeschleppt. Jahrelang. Es war noch die Zeit der offenen Perrons und der Pferdefuhrwerke. Vorerst aufbewahrt wurde die Sammlung im Haus eines Onkels. Dort auch fühlte sich der Junge wohl, und die empfundene Geborgenheit ging über in die Authentizität der gesammelten Gegenstände. Von der Brotmaschine über Grammophone bis zu großen Anthrazitöfen; Nippes aller Art, Trödel en masse, im Stil der Jahre 1880-1900.

Tragischer Hintergrund: 1942 wurden die Trödler von den Nazis verpflichtet, alle Einrichtungen jener Wohnungen aufzukaufen, deren Bewohner/innen verschleppt worden waren. Damals war Berfelde vierzehn. Inzwischen hat sie, sofern es möglich war, vieles dieser Judennachlässe an die ursprünglichen Besitzer oder Erben zurückgegeben. Anderes der über die Jahre hinweg riesig gewordenen Sammlung wurde von ihr gestiftet, verliehen oder einfach verschenkt. Unter anderem an das Märkische Museum, wo sie 1950-53 als Konservator lernte.

Ihr Haus jetzt — während der Kindheit ein Reiz in der Nachbarschaft — hatte es Berfelde seit jeher angetan. 1957 endlich konnte es übernommen werden, als Ruine. Teilweise herausgerissene Dielung, eingestürzte Decken, zum Teil fehlende Wände und Türen, weder Wasser, Strom noch Toilette.

Der Magistrat hatte gerade 60.000 Mark für den Abriß bewilligt.

Berfelde bot Leidenschaft als Contra. Aus anderen Ruinen, von umliegenden Abrißhalden wurde Ersatz herangeschafft. Bis hin zu den Türschlössern sanierte sie möglichst originalgetreu, in Eigenarbeit. Selbst der Grundriß wurde nach historischen Gesichtspunkten erarbeitet und rekonstruiert. Extreme Genügsamkeit war kennzeichnend für die bisher schwerste Zeit. »Ich lebte von der Hand in den Mund. 13 Jahre viehische Arbeit«, sagt sie leise und blickt auf ihre Hände. 1960 war die erste, kleine Ausstellung. Gesichert war damit gar nichts. Privatmuseen galten wie jede Form der Eigeninitiative in der einstigen DDR als unerwünscht. Drangsalierung und Schikanen behördlicher Willkür hinterließen mehr als nur eine Geschichte. Sie schüttelt verbittert den Kopf.

»Warmen Regen« brachten Einnahmen aus Filmaufnahmen der DEFA im historischen Ambiente. Berfeld entlieh auch Einrichtungsgegenstände für Fernseh- und Kinoproduktionen. Und daselbst spielte sie kleinere Rollen, bisweilen als Frau. Ihre Augen glänzen.Sie schwärmt, sobald sie Persönliches erwähnt, verbunden mit Namen, Menschen, lebenden Erinnerungen. Und die Stimme zittert empört, wenn bornierte Ignoranz, die Gefahren der Intoleranz zur Spache kommen. Sie kennt die 20er Jahre im »Scheunenviertel«, die Kneipe »Mulackritze«, Institution Berliner Kultur in der Mulackstraße 15, des Milieus und regelmäßiger Aufenthaltsort von Heinrich Zille. Sie erlitt und erleidet Naziterror und die aktuelle Gewalt faschistoiden Irrsinns, Überfälle und Zerstörung. Die »Mulackritze«, Mulackstraße 15, Scheunenviertel, vibrierender Puls des Mythos Alt-Berlin, lokale Unterwelt, »Ringervereine«, Schwule, Lesben, Transvestiten, Schriftsteller, Schauspieler, Zuhälter.

Prostitution — Souveränität im Miteinander. »Andersartige« überlebten dort versteckt den Nazi-Terror; die letzte Original-Zille-Kneipe Berlins; Gäste waren auch Max Pallenberg, Brecht und Gründgens, Wilhelm Bendow, Henny Porten, Fritzi Massari, Claire Waldorf, Marlene Dietrich, der Sexualforscher Magnus Hirschfeld, Liebermann und eben Zille neben Anderen. Obgleich unter Denkmalschutz, wurde die Kneipe 1961 abgerissen. Berfelde erfuhr davon einen Tag, ehe die Bagger kamen. Das Gastwirtepaar waren sehr gute Freunde, die Einrichtung wurde nach Mahlsdorf geschafft, vollkommen. Sie steht heute, authentisch inszeniert, im Keller des Museums, bereit für melancholische Seufzer. Das Haus hat sie im letzten Jahr vollends gekauft. Allein, der Grund und Boden ist weiterhin städtisches Eigentum. Die Zukunft, die Finanzierung ihres Musuems, ihres Lebens ist auch heute kaum gesichert. Arbeiten im und am Haus finden kein Ende. Zwei Freundinnen, mitwohnend, helfen.

Führungen bringen kaum Gewinn, da ohnehin kostenlos. »Wie in der Kirche«, lächelt sie, wer etwas daläßt, sei »herzlich bedankt«. Rechtliche Hürden bereiten zusätzliche Sorgen. Es komme für sie nur das Ausland in Frage, sobald das Leben in Mahlsdorf unerträglich werde. Aber sie weiß: »Du mußt immer ein bißchen verrückt sein, sonst läuft gar nischt.« Kay Pabst

Hultschiner Damm 333, S-Bahnhof Mahlsdorf, von da aus Straßenbahn.

Führungen ohne vorherige Anmeldung: sonntags 11 bis 12 , 12 bis 13 Uhr, mittwochs 17 bis 19 Uhr.

Spenden auf Konto-Nr. 6772-34-70437 (BLZ 12056772)

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