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Hünxe will nicht Hoyerswerda sein

■ An vielen Orten entstehen Aktionen der Solidarität mit den bedrohten AusländerInnen. In Hünxe, wo ein Molotowcocktail zwei libanesische Mädchen schwer verbrannte, haben sie einen schalen Beigeschmack

Die elfjährige Salma kämmt eine rothaarige Puppe: „Die schööönen Haare!“ Sie will die Puppe ihrer Schwester Mogades mitbringen, die mit schweren Verbrennungen in einer Duisburger Klinik liegt. Mit zweien ihrer Geschwister hatte Mogades in dem Bett geschlafen, das Hünxer Rechtsradikale zum Tag der deutschen Einheit mit einem Molotowcocktail in Brand setzten. Noch elender als Mogades geht es Zeinab, die in Hamburg behandelt wird. Die Haut der Achtjährigen an Armen, Beinen und Unterleib ist verbrannt. Von seinem ersten Besuch in der Hamburger Klinik brachte Vater Fauzi S. das zu einem Zopf gebundene lange Haar seiner Tochter mit. Die Ärzte hatten Zeinab kahlscheren müssen, um die Brandwunden am Kopf behandeln zu können. Salma beschließt, daß sie heute abend auch eine Bürste mitnehmen wird, damit Mogades im Duisburger Krankenhaus die Haare der Puppe kämmen kann — sobald es ihr besser geht.

Seit dem Anschlag lebt Salma S. mit ihren Eltern und den drei unverletzten Geschwistern im evangelischen Gemeindehaus. Voller Angst wehrt sie sich dagegen, daß die Familie heute abend wieder in das Haus für Asylsuchende zurückgehen soll. Mit ihnen waren alle 53 Flüchtlinge in der Brandnacht aus ihren Wohnungen an der Dorstener Straße hierher geflohen, kehrten aber in den letzten Tagen in die Unterkunft zurück. Noch stehen die Notbetten im Gemeindesaal. Das Pfarrerehepaar Duscha und einige andere blieben rund um die Uhr bei den Flüchtlingen. Für die Familie S. wurde Geld gespendet. Einige Leute fahren die Eltern in die Kliniken nach Duisburg und Hamburg, die Kinder zur Schule. Und ständig erscheinen am Gemeindehaus Frauen mit Spenden, Spielzeug und Kleidern. „Sie sehen doch“, sagt trotzig eine blonde Frau, die Spielsachen bringt, „wie hier geholfen wird!“

Hünxe will nicht Hoyerswerda sein. Jetzt, nach dem Anschlag, haben sich auch der CDU- und der SPD-Ortsverein für die allnächtlichen Wachen an der Asylbewerberunterkunft eingetragen. Noch am Montag vor dem Anschlag hatten CDU, SPD und FDP im Hünxer Rat gegen die Stimmen der Grünen mit einer Resolution eine „konsequente Abschiebepraxis“ verlangt. Und Bürger, die gegen ein neues Übergangsheim im Ortsteil Drevenack Unterschriften sammelten, wollten wissen, „wie die Gemeinde uns vor Übergriffen schützt“. Vor Übergriffen durch Flüchtlinge wohlgemerkt.

Schnellstens hat die Gemeinde Handwerker beauftragt, die Spuren des Brandanschlags zu tilgen. Die Zimmer der Familie S. sind schon fast renoviert, alle Wohnungen haben jetzt Panzerglasscheiben. Ein Junge reißt die Bekanntmachung ab, mit der die Polizei 10.000 DM Belohnung für die Ergreifung der Täter ausgesetzt hat. Gleichwohl, erklärt der Duisburger Staatsanwalt Martin Hein am Montag, hätten Zeugen aus den Nachbarhäusern die Ermittlungen nach dem Anschlag durch äußerst zurückhaltende Aussagen „eher behindert“. Jürgen Greis, Jugendleiter der evangelischen Kirchengemeinde, wird deutlicher: „Die Hünxer haben gemauert.“

Als am Montag die Namen der inzwischen verhafteten Täter in Hünxe die Runde machen, zeigt sich, daß viele die drei kennen. Die blonde Frau mit dem Spielzeug — die, wie die meisten hier, ihren Namen nicht nennen will — bedauert die Mutter eines der Jugendlichen: „Das verkraftet die nie!“ Das alles, meint sie unbestimmt, sei „ja ziemlich schrecklich, auch für Hünxe“. Und dann sagt sie es doch, was hier viele auch nach dem Anschlag noch denken: „Es kommen aber auch zu viele Asylanten. Wo sollen wir denn hin mit denen?“ Daß sich die Täter mit Gleichgesinnten in Bomberjacken und Stiefeln regelmäßig auf dem Hünxer Marktplatz getroffen haben, weiß in Hünxe fast jede/r. „Und sogar ich wußte“, erzählt Heinz-Werner Mangelmann vom Arbeitskreis Flüchtlinge, „daß der Volker (einer der Täter, die Red.) sein Zimmer mit Hakenkreuzen und Hitlerbild dekoriert hatte.“ Er habe „auch öfter diese Nazilieder gehört, wenn die sich getroffen haben“.

Mangelmann gehört zu dem überwiegend von Frauen getragenen Arbeitskreis und ist damit einer der wenigen Hünxer, die die Asylsuchenden schon länger tatkräftig unterstützen. Ute Schneider und Hannelore Schmidt kennen besonders die Familie S. gut, die 1988 aus dem Libanon nach Hünxe kamen. Man besuchte sich gegenseitig. Ihr Engagement halten die beiden Frauen für selbstverständlich: „Ich möchte mich nicht eines Tages von meinen Kindern fragen lassen: „Wo warst du?“ „Dennoch“, so die Pastorin Antje Reichow, die mit dem Arbeitskreis eine allwöchentliche Teestube für die Flüchtlinge im Gemeindehaus einrichtete und sie zum Gemeindefest einlud, „wir waren immer nur eine Handvoll Leute.“

Daß auch nach dem Mordanschlag der Hünxer Protest trotz Demo am vergangenen Donnerstag und nächtlicher Wachen vor den Wohnungen der Flüchtlinge recht dürftig ausfällt, findet die 18jährige Katja Cirener. Sie hilft den Flüchtlingskindern bei den Schularbeiten. „Fast 14.000 Leute leben in Hünxe“, sagt Katja. „Wo sind die jetzt?“ Auch sie kennt Volker L. „vom Jugendwerk der Arbeiterwohlfahrt“. Lange hätten sie dort versucht, Volker trotz seiner rechtsradikalen Gesinnung „nicht auszugrenzen“. Erst als er zu einer Vorstandssitzung „mit einem Hakenkreuz an seiner Kette erschien, habe ich gesagt: Jetzt ist Schluß. Entweder der hört hier auf oder ich.“

Vor dem Jugendzentrum im Hünxer Ortsteil Bruckhausen sitzen am Montag abend ein paar Jungen und Mädchen auf Bänken und trinken Bier. „Niemand“, hat Jugendleiter Greis beobachtet, „erscheint mehr in Bomberjacke und Stiefeln. Vor dem Verbrechen war das salonfähig, weil es eben geduldet wurde.“ Greis hat mit vielen Jugendlichen gesprochen und versucht, sie zurückzuholen. „Jetzt, nach dem Anschlag, wollen einige nicht mehr dazugehören.“

Die Jugendlichen draußen sind verunsichert, doch sie geben sich unbeirrt. „Ja klar, dat waren Kollegen von uns“, sagt einer. Sie kennen alle drei, Jens, André und Volker, haben sich oft mit ihnen getroffen. Für sie ist die Sache schnell klar: „Volker, der fette Sack, hat die bequatscht. Jens und André hätten das nie gemacht. Die waren doch im Vollrausch!“ Daß die Brandsätze gezielt ins Schlafzimmer der libanesischen Familie geworfen wurden, spielt für sie keine Rolle. „Aber das Experiment ist gelungen“, höhnt einer: „Libanesenkinder brennen doch!“ „Psst, halt die Klappe“, sagt ein Mädchen. Brandsätze gegen Kinder? „Die werden auch mal erwachsen“, kommt als Antwort. „Ich glaub' das nicht, daß André und Jens das wirklich waren.“ „Egal“, meint ein anderer trotzig, „ich schäme mich nicht für die beiden.“ Bettina Markmeyer, Hünxe

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