: EG gibt Scheitern der Vermittlung zu
■ Serbien und die Armee sehen Interpretationschwierigkeiten bei Waffenstillstandsvereinbarung / Während die EG an ihrem Verhandlungsgeschick zweifelt, gehen die Kämpfe an allen Fronten weiter
Belgrad (afp) — Die Europäische Gemeinschaft ist offenbar nicht länger bereit, im jugoslawischen Bürgerkrieg zu vermitteln, solange die Konfliktparteien den Waffenstillstand nicht einhalten. Ein erneutes Ultimatum der EG-Mission in Kroatien für eine Einhaltung des Abkommens zwischen der jugoslawischen Armee und den kroatischen Behörden vom Dienstag verstrich am Freitag um 12.00 Uhr MEZ ohne sichtbare Anzeichen eines Einlenkens der Konfliktparteien. In Ostslawonien begann die Armee einen neuen massiven Angriff auf die Stadt Vukovar. Die Einigung, die am Donnerstag nach Angaben des niederländischen Außenministers Hans van den Broek zwischen Vertretern der Bürgkriegsparteien in Den Haag getroffen wurde und den Abzug der Armee innerhalb von vier Wochen im Falle einer politischen Loesung des Konflikts vorsah, war angesichts der Reaktion des jugoslawischen Verteidigungsministeriums und der weiterhin ungelösten grundlegenden Probleme ohne Aussicht auf Erfolg.
Diese Lösung erscheint angesichts der verhärteten Positionen so gut wie ausgeschlossen. Die kroatische Führung ist jetzt zwar willens, der serbischen Minderheit in Kroatien Autonomierechte zu gewähren. Die Serben sind jedoch nach Angaben des serbischen Außenministers Vladislav Jovanovic „unter keinen Umständen“ bereit, in einem unabhängigen Kroatien zu leben, sondern fordern den Anschluß der von ihnen besiedelten Gebiete in Kroatien an Serbien. Dies bekräftigte gestern auch das von Serben beherrschte Staatspräsidium. Das jugoslawische Verteidigungsministerium erklärte am Freitag morgen, in Den Haag sei am Donnerstag „kein Abkommen über den Abzug der Armee aus Kroatien“ unterzeichnet worden. „Inhalt und Ergebnisse der Vereinbarung“ würden offenbar unterschiedlich interpretiert.
In Ostslawonien setzte die Armee unterdessen ihre Offensive gegen die strategisch wichtige Stadt Vukovar fort. Die Bundesarmee und Einheiten der serbischen Territorialverteidigung hätten die Stadt, etwa 150 Kilometer westlich von Belgrad, mit Mehrfachraketenwerfern, Raketenwerfern, Panzerkanonen und Mörsern angegriffen, meldete Radio Zagreb. In den vergangenen 24 Stunden seien über 3.500 Geschosse auf die ostslawonische Stadt abgefeuert worden. Kaum eines der Gebäude sei noch in einem intakten Zustand. In einigen Vierteln der Stadt komme es zu Mann-gegen-Mann-Kämpfen, dabei seien bis gestern Nachmittag neun Menschen getötet und 50 verletzt worden. Die etwa 12.000 Menschen, die noch in der Stadt seien, litten bereits Hunger. Seit vier Wochen ist Vukovar ohne Wasser, Strom und Telefonleitungen. Ein Konvoi mit Hilfsgütern für Vukovar und Vinkovci wurde am Freitag mit einem Mörser beschossen. Auch in Karlovac, etwa 50 Kilometer südlich von Zagreb, wurde das Waffenstillstandsabkommen verletzt. In der Gegend um Pakrac und Nova Gradiska, etwa 280 Kilometer westlich von Belgrad, kam es ebenfalls zu Kämpfen. Bei Gefechten in Sisak wurden zwei Menschen getötet und sieben weitere verletzt. Die in der Vereinbarung vorgesehene Aufhebung der Blockaden der Adriahäfen hatte nach Angaben des kroatischen Fernsehens am Freitag teilweise begonnen. Der Hafen von Zadar wurde nach einem Abkommen zwischen den örtlichen kroatischen Behörden und der Armee am Donnerstag freigegeben. In Split sollte der Schiffsverkehr am Freitag nachmittag wieder aufgenommen werden. In Zagreb wurde am Freitag die Blockade der Borongaj-Kaserne aufgehoben. Die Panzersperren wurden nach Angaben einer 'afp‘-Korrespondentin an die Seite gerückt, allerdings in der Nähe der Kaserne postiert, so daß sie innerhalb weniger Minuten wieder in Stellung gebracht werden konnten.
Die Truppen aus der Kaserne sollten nach einer Vereinbarung zwischen kroatischen Behörden und Armeevertretern vom Freitag ins bosnische Bihac verlegt werden, meldete Tanjug. Die Stadt Dubrovnik war hingegen auch am Freitag weiterhin eingekesselt. Ein Sprecher der Armee teilte nach Angaben von Tanjug mit, die Belagerung der Stadt werde erst aufgegeben, wenn „der Feind entwaffnet ist und sich ergeben hat“.
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