Gesamtdeutsche Verantwortung-betr.: "Das erste Pogrom" von Ulrich Hausmann, taz vom 27.9.91

betr.: „Das erste Pogrom“ von Ulrich Hausmann, taz vom 27.9.91

[...] Ich war ja erst ganz begeistert von der Schärfe der Argumente: ja, bei den Vorfällen von Hoyerswerda wurden tatsächlich Grundrechte mit Füßen getreten, die Kommentare der Politiker gehen völlig an der Sache vorbei, die Debatte über das Asylrecht hat mit der Verletzung von elementaren Rechten zunächst überhaupt nichts zu tun (nach meiner Meinung handelt es sich bei den massiven Angriffen gegen die Ausländerwohnheime sogar um Landfriedensbruch oder sowas ähnliches), es ist besonders den Ostdeutschen klarzumachen, welche demokratischen Grundrechte vehement verteidigt werden müssen und so weiter.

Aber dann geht es mir so, daß ich dastehe wie ein begossener Pudel oder wie ein Schüler, der vom Direktor gerügt wird für ein Verbrechen, an dem er überhaupt nicht beteiligt war. Da heißt es plötzlich: „Jawohl, es gilt den ,Ossis‘ klarzumachen, daß wir sie als Volksgenossen nicht wollen. Als Partner in einer Demokratie ja. Aber wie man sieht, erfordert das Umerziehung im Osten...“ Und wieso hat sich beispielsweise Wolfgang Ullmann mit dem Sieg der Demokratie im Westen immer noch nicht abgefunden? Schließlich ist er wohl auch nur ein Ossi? Ich kenne wenige Parlamentarier, die so klare rechtsphilosophische und staatsrechtliche Erklärungen zur Demokratie abgegeben haben. [...]

Nach meiner Meinung gibt es eine gesamtdeutsche Verantwortung für die Ausländer in der Bundesrepublik und wenn man die Menschen ernst nehmen will (alle), dann darf man nicht unterscheiden in demokratiereife und -nichtreife. Die Randalierer haben sich genauso an den Grundregeln des Zusammenlebens vergangen wie die tatenlosen oder zögerlichen Polizisten und Behörden, die die Grundrechte schützen sollten. Beteiligt sind aber auch beifallspendende Bewohner, ausweichende Kommunal- und Landespolitiker und schließlich auch die Politiker, die asylsuchende Ausländer wie einen Schwarzen Peter einfach formal auf die neuen Länder verteilten, ohne die Bedingungen genauer zu sondieren oder vorzubereiten. Und ein solches Versagen muß man öffentlich anprangern und die verschiedenen Ebenen aufdecken. Eine pauschale Verurteilung der „Ossis“ bringt da wirklich keinen Nutzen.

Und wer Erziehungsprogramme plant, die mit Belohnung und Bestrafung für ganze Bevölkerungsteile arbeiten, muß sich fragen lassen, aus welchem Paragraphen des Grundgesetzes er solches ableitet. Oder gilt das Grundgesetz doch noch nicht so richtig im „Beitrittsgebiet“, wie der Autor sich freundlicherweise auszudrücken beliebt? Das Grundgesetz muß auch im Osten verteidigt werden, da stimme ich völlig zu. Es gilt für alle. Allerdings auch für die, die sich nicht dran halten. Matthias John, Jena