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Industrialisierungsopfer klagen an

IWF-Tagung: Gegengipfel fordert Gesetze gegen verantwortungslose Industrialisierung  ■ Aus Bangkok Sven Hansen

Gestützt auf ihre Begleiterin, humpelt Sakamoto Shinobun auf das Podium. Die Beine der hageren Japanerin sind mißgebildet. Sie nimmt hinter dem Mikrophon Platz, fängt mit stockender Stimme an zu sprechen. Nur mit Mühe bringt sie die Laute hervor. Sie verdreht dabei den Kopf, verzieht die Lippen. Gelegentlich rutscht die Zunge heraus. Trotz des Mikrophons ist sie kaum zu verstehen. Im Saal ist es totenstill, nur das Surren der Ventilatoren ist zu hören. „Ich komme aus einem Fischerdorf an der Bucht von Minamata im Südwesten Japans“, sagt die 35jährige. „Ich habe die Minamata- Krankheit, das ist eine Quecksilbervergiftung, im Bauch meiner Mutter bekommen.“

Das war 1956. Eine Fabrik des japanischen Chemieunternehmens Chisso leitete giftige Abwässer in die Minamata-Bucht. Das Quecksilber vergiftete erst die Fische, dann die Menschen. 200.000 Menschen wurden laut Sakamoto im Laufe der Jahre von der Krankheit betroffen, aber nur 1.700 von ihnen offiziell als Geschädigte anerkannt. Erst 1968 wurde das Einleiten von Quecksilber in die Bucht gestoppt; so lange hätten Politiker und Firmenchefs unter einer Decke gesteckt und die Verantwortung von sich gewiesen. Da die Fabrik ein großer Arbeitgeber war, seien die Opfer bei ihren Mitmenschen auf wenig Verständnis gestoßen. „Die Katastrophe passierte, als Japan sich so schnell entwickelte wie Thailand heute. Wir müssen an die Opfer von früher denken und verhindern, daß es neue gibt“, sagt Sakamoto unter Beifall.

Die Japanerin ist eine Zeugin, die das „Internationale Tribunal der Völker über Industrie- und Umweltschäden und Menschenrechte“ zur Anhörung nach Bangkok geladen hat. Das Tribunal, durchgeführt von verschiedenen internationalen Organisationen, ist Teil des „People's Forum“, das parallel zur offiziellen IWF/Weltbank-Tagung stattfindet. „Wir versuchen, den Opfern der Industrialisierung Gehör zu verschaffen und uns für ihre kollektiven Rechte einzusetzen“, sagt Clarence Dias. Der indische Anwalt aus Bombay ist Präsident des „Zentrums für das Gesetz im Entwicklungsprozeß“ in New York. „Wir wollen international verbindliche Umwelt- und Sicherheitsstandards für gefährliche Industrien durchsetzen, für ihre Einhaltung sorgen und dafür, daß Verstöße auch geahndet werden.“

Das scheint nötig. Dinker Rao aus Bhopal in Indien berichtet, wie er im Dezember 1984 bei der größten Chemiekatastrophe der Welt seine Eltern verlor. Als aus einer Düngemittelfabrik giftige Gase austraten, starben 3.000 Menschen. Inzwischen hat sich die Zahl der Toten auf 20.000 addiert. Während der 22jährige Rao noch heute unter Übelkeit, Schwindel, Seh- und Atembeschwerden leidet, sei von den verantwortlichen Managern des Union-Carbide-Konzerns niemand bestraft worden.

Aus Malaysia berichten AnwohnerInnen der Asian-Rare- Earth-Fabrik in Bukit Merah von ihrem Kampf gegen die Verseuchung durch radioaktive Abfälle. „Seltene Erden“, etwa das für High-Tech- Zwecke gesuchte Selen, haben eine Vielzahl radioaktiver Isotope; an der Asian Rare Earth ist der japanische Mitsubishi-Kasei-Konzern beteiligt. Bis jetzt, berichtet ein Arzt, hätten sie sich nicht durchsetzen können, obwohl es schon Fälle von Leukämie gebe.

Einen aktuellen Fall liefert auch Bangkok. Anfang März kam es im Hafen Klong Toey zu einem Großbrand. Ein Lager für hochgiftige Chemikalien, direkt neben einem Slum gelegen, war explodiert. Eine Wolke mit giftigen Rußpartikeln regnete auf Teile der Stadt. Heute klagen zahlreiche Menschen über Atembeschwerden und Hautkrankheiten. Die thailändischen Machthaber, das Militär, hatten keine Interesse daran, den Fall aufzuklären. Schon länger war bekannt, daß im Hafen illegal Giftmüll lagert. In einer Nacht-und- Nebel-Aktion brachten nun Soldaten die beschädigten Fässer in die östliche Provinz Kanchanaburi. Seitdem kämpft dort die Bevölkerung gegen die nach Protesten nur notdürftig gesicherte Giftmüllkippe.

Die auf dem Tribuanl präsentierten Fälle deuten auf ein weltweites Muster. „Wir haben uns bei dieser Anhörung auf Asien beschränkt, weil wir regionale Strukturen der Betroffenen förden wollen“, sagt Clarence Dias. Ziel der Veranstaltungsreihe ist, weltweit gültige Sicherheits- und Umweltstandards zu entwickeln und Vorschläge für deren Überwachung auszuarbeiten. Denn es ist immer wieder das gleiche: Wenn es in einzelnen Ländern überhaupt entsprechende Vorschriften gibt, sind sie noch lange nicht ausreichend, werden sie noch weniger eingehalten — und wenn Katastrophen wie in Bhopal oder in Bangkok passieren, werden die BewohnerInnen über die Folgen bewußt im dunkeln gelassen. Dies gilt um so mehr für die zunächst unspektakulären Fälle wie die aus der Minamata-Bucht.

Illusionen über Gesetze als Allheilmittel macht sich allerdings niemand. Dias sagt zum Abschluß: „Schon beim Bau der Chemiefabrik in Bhopal ist gegen die nationalen Gesetze verstoßen worden. Auch die Slumbewohner von Klong Toey hätten theoretisch vor Gericht klagen können. Aber da sie illegale Squatter sind, war die Angst vor Vertreibung groß. Nur wenn der öffentliche Druck groß ist, kann sich etwas ändern.“

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