: Askese als Lernziel einer Universität
■ Gastredner Ivan Illich provozierte den Stolz des regionalwirtschaftlichen Technologiezentrums
Die Bremer Universität ist Zentrum eines Technologieparks, die Universität stellt sich ihrer regionalen Verantwortung, die Universität als Bremer Institution, die „auch bei den Gewerkschaften, in der liberalen Öffentlichkeit und der SPD verankert“ sein muß, die Universität als Magnet für eine „Viertel Milliarde an Drittmitteln für Forschungsvorhaben“ — so lobt der Rektor der Bremer Uni, Timm, sein Institut und seine Konsolidierungserfolge zum 20sten Jubiläum.
Zur Festrede hatte die Universität allerdings einen Redner eingeladen, der es liebt, gegen den Zeittrend zu bürsten und der das Gegenteil einer Techno-Uni loben wollte: Ivan Illich, Sozialphilosoph wenn man will, Priester, Universitätslehrer, Buchautor, Redner.
Illich ist ein faszinierender Redner. Er spricht frei, er denkt sichtlich beim Reden, macht mal eine Pause, wenn er nach dem rechten Wort sucht, tippt sich an die Stirn, wenn diese Geste die Worte unterstreichen kann. Illich führt dieser Klein-und Arbeitsgruppen-Universität den Typus von Vorlesung vor, der Spaß an Bildung und Spaß am Zuhören vermitteln kann.
Wissenschaft sei längst nur noch mit dem „Austüfteln von Machbarem“ befaßt, begann Illich seine Ausführungen über „Text und Universität. Geschichte einer einzigartigen Institution“. Wissenschaft ist „Forschung des Bezahlbaren“ geworden, käuflich, und hat den Anspruch auf Ansehen und Vertrauen verloren. Der Hymnus auf die Wissenschaftlichkeit, spottete Illich, erscheine ihm wie ein Beschwörungszeremonial.
Warum wird über „Reform“ geredet als ginge es um Verwaltung, Zugangsberechtigung und das Aufhäufen von Drittmitteln? llich empfahl der Bremer Universität, ihre Chance in der Krise der Wissenschaft zu sehen: Wenn Wissenschaft in einer Legitimationskrise ist, dann brauche die Uni das „Mäntelchen der Wissenschaftlichkeit“ nicht mehr.
Illich predigt die Besinnung auf die Frage: „Wes Geistes Kind ist die Universität?“ und geht dazu einige Jahrhunderte in der Geistesgeschichte zurück. Im Klosterhof des 13. Jahrhunderts sah er die Ursprünge der „geistigen Gemeinschaft“, aus dem sich Universität als „Institutionalisierung eines technologischen Durchbruches“ nur wegentwickelt habe. Der „Text“, erläuterte Illich seine provozierende These mit historischem Rückgriff, sei bis ins 12. Jahrhundert hinein „fürs Ohr geschrieben“, wie eine Partitur: Lesen war immer „murmelndes“ Lesen gewesen, meist auch Vor-Lesen, Lesen als Reden für andere. Im Silentium des Klosters durfte konsequenterweise auch nicht gelesen werden.
Der Sinn von „Text“ veränderte sich in dem Maße, wie seine Rezeption sich individualisierte. Lange vor dem Buchdruck wurde Lesen ein „schweigend mit den Augen kontemplieren“. Hier entstand „universitas“, die „textbezogene Überlegung“ sei vornehmste Aufgabe der Universität, sagte Illich.
Im Zeitalter der Bilder, die vordergründige Gewißheit vorspiegeln, ist die „Schriftlichkeit“ in die Krise gekommen. Eine junge Uni könne die wissenschaftskritische Erschütterung der Universität als Chance nutzen, das textbezogene Lesen zu erneuern. „Bildung“, die die Verfeinerung der inneren Sinnlichkeit zur Voraussetzung hat, „Askese“ als Weg, die eigene Sinnlichkeit und Vorstellungskraft zu verfeinern.
Nur wenige Studierende waren gestern ins Rathaus gekommen, um dem Vortrag Ivan Illichs zuzuhören. Zu ihnen kommt er in diesem Wintersemester als Gast: vom 8. November an ist eine Vorlesung mit Diskussion „Askese der Sinne. Die Haltung zu den menschlichen Sinnen im Abendland“ angekündigt. K.W.
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