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Bauernblues

■ Zu Franz Doblers „Tollwut“

Wenn man bösartig argumentieren wollte, dann könnte man sagen, daß die jungen deutschsprachigen Gegenwartsautoren samt und sonders nichts zu erzählen haben. Sie haben ihr Abitur gemacht, ein geisteswissenschaftliches Studium abgeschlossen und nicht den Sprung in den Schuldienst geschafft. Ihr Leben ist gleichförmig verlaufen, ohne Höhen und Tiefen. Da sie nichts Nennenswertes erlebt haben, die Umwelt ihnen mehr oder weniger gleichgültig ist, zehren sie einzig und allein von dem, was sie aus zweiter Hand haben. Man muß schon dankbar sein, wenn ein junger Schreiber von heute auch ein Leser ist. Immerhin versetzt das die Intelligenteren unter ihnen in die Lage, sich in hochartifiziellem, sprachlichem Kunsthandwerk zu versuchen.

Man muß diesen Hintergrund kennen, um ermessen zu können, welche Qualität das neue Buch von Franz Dobler hat. Der 1959 im oberbayerischen Schongau geborene, seit Jahren in München lebende Dobler ist nämlich das genaue Gegenteil der allermeisten Kollegen seiner Generation. Mit Tollwut, seinem ersten Roman, hat er jetzt ein Buch abgeliefert, das nicht nur von bewundernswerter stilistischer Konsequenz ist, sondern auch ein eminent politisches Problem zum Thema hat. Dobler erzählt in einer originären, dem bayerischen Sprechduktus angelehnten Sprache ein exemplarisches Stück deutsche Wirklichkeit: Die systematische Vernichtung des Berufsfeldes Landwirt.

Matthias ist der Sohn eines Bauern, aufgewachsen in einem Donaumooser Weiler mit drei Häusern. Er ist ein Eigenbrötler, ein Rockabilly. Mit der Landwirtschaft seines Vaters hat er nichts am Hut. Mehr als Melken und Ackern interessieren ihn Schallplatten von Willie Nelson, Jerry Lee Lewis, Chuck Berry oder Eddi Chochran. Seine Eltern haben sich mehr als 50 Jahre auf ihrem Hof krummgelegt. Für nichts und wieder nichts. Den knallharten Bedingungen der freien Marktwirtschaft konnten sie nichts entgegensetzen — weder einen technisch hochgerüsteten Betrieb, noch einen Stammhalter, der den Kampf mit der Konkurrenz hätte aufnehmen wollen.

„Ein Bauer verkauft sein Land niemals, das war das eine Gesetz. Und das andere erlaubte ihm nicht, in die Fabrik zu gehen und die Landwirtschaft als Wochenendvergnügen zu betreiben.“ Matthias beobachtet alles mit wachem Verstand. Er sieht, wie dem Vater „der Wind ins Gesicht haute“, wie dieser sich immer tiefer in die Schuld der Banken begibt, weiß im Grunde, was die Zeichen der Zeit verlangen und wie die Geschichte ausgehen wird. „Das haben sie bei der Bank gleich gesehen, daß er keine Ahnung von dem Kram hat, und dann haben sie sich gesagt, dem geben wir einfach den Kredit und dann den, kein Problem, der hat ja was, und wenn es einmal ganz schnell gehen muß, dann geben wir ihm diesen, sehr günstig, das freut ihn, allerdings nur günstig, wenn man ihn sehr schnell zurückzahlt, der wird sich wundern, und dann kriegt er noch diesen, und wenn er was merkt, gehört schon alles uns...“

So kommt es, die Eltern gehen pleite. Die Münchener Immobilienfirma Resser und Co. kauft den Hof. Die „flotten Enddreißiger“ planen, auf dem Gelände einen Freizeitpark für die Städter zu bauen. Die Eltern müssen nach „Kazettstadt“ ziehen, wo sie in einer Schuhschachtel weiterleben dürfen, „ohne Garten, ohne Hühner, dafür ein schöneres Bad“. Matthias hockt am Tag des Auszugs mit seinen Eltern im Schatten des Bauernhauses. Er schaut auf seinen gebrochenen Vater, und da kommt in ihm nicht nur die kalte Wut, sondern auch eine Erkenntnis hoch: „Er war kein Bauer mehr, und ich war nicht mal mehr ein halber. Aber genau genommen, vielleicht stimmte es, daß man immer einer blieb, wenn man einer gewesen war, und weit draußen wohnten wir immer noch...“ Die Einsicht und die Schuldgefühle treiben ihn in die Natur: „Dann saß ich wieder stundenlang am See und stierte hinein, konnte den Gedanken nicht mehr loswerden, daß ich eine Mitschuld hatte und daß die groß war. Denn ich wäre schon lange alt genug gewesen, alles zu übernehmen und die Karre aus dem Dreck zu ziehen, aber ich hatte mich rausgehalten; so war es, und so war es nicht. Jetzt war es zu spät.“

Das erste Mal in seinem Leben sieht Matthias seine Verantwortung. Mit dem vom Großvater geerbten Gewehr geht er auf den Immobilienhai los, als dieser den Auszug der Eltern beschleunigen will. Es kommt nicht zum Blutvergießen, aber von nun an ist Matthias ein Fall für die Justiz: unerlaubter Waffenbesitz, Nötigung mit einer Waffe und Landfriedensbruch. Obwohl es der zuständige Polizist anfangs mit ihm gut meint, gerät Matthias immer tiefer in den Schlamassel, weil er die ihm zur Last gelegten Delikte als moralisch gerechtfertigt betrachtet. Er zieht sich in die Wälder zurück und beginnt, unterstützt von Freunden, seinen privaten Rachefeldzug gegen die Invasoren aus der Großstadt.

Matthias wird ein Seelenverwandter von Michael Kohlhaas, Robin Hood, den einsamen good bad guys aus Westernfilmen und von den bayerischen Lokalgrößen Mathias Kneißl und Theo Berger alias dem „Capone vom Donaumoos“. Der Westernliebhaber Dobler hat sich von den alten Legenden und Mythen inspirieren lassen.

„Die Nächte waren sehr kühl geworden, und seit ein paar Tagen flogen die Schwalben sehr tief, ein Zeichen, daß der Sommer vorbei war und es in der Nacht oder am nächsten Tag einen kalten Regen geben würde. Aber sie machten es schon seit Tagen so und trotzdem war jeder nächste Tag wieder schön gewesen. Nichts stimmte mehr. Sogar die Schwalben hatten keine Ahnung mehr. Nichts stimmte mehr, und nichts konnte einem helfen, außer das Trinken, das sollte mir helfen, endlich einen langen Schlaf zu erwischen, so einen, wo du dann aufstehst und dich fragst, ob es jemals irgendetwas gegeben hat, weswegen du die Hände zum Himmel gehoben hast. Wolfgang Rüger

Franz Dobler: Tollwut . Edition Nautilus, 178 Seiten. 32 Mark.

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